Das Whatsapp-Bild ist ungewöhnlich: Es zeigt im Zentrum eine Kuh der Rasse Swiss Fleckvieh auf einer steilen Weide. Auf der linken Bildhälfte kämpft sich eine Frau mit einem Kalb auf den Schultern und in Gummistiefeln durchs unebene Gelände. Das Gesicht der Frau sieht man nicht.
«Die Kuh hiess Enzijana.» Daran erinnert sich Fabienne Klarer noch genau. «Das Bild wurde auf einer Alp in der Nähe von Habkern im Berner Oberland aufgenommen. Dort war ich zwei Sommer lang.» Heute sieht ihr Leben anders aus, doch die Sehnsucht ist geblieben.
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Eindeutiger Berufswunsch
Fabienne Klarer lebt im eher städtischen Muttenz BL, sie hat im Haus ihrer Grosseltern eine eigene Wohnung. «Meine ganze Familie wohnt in der Nähe, das ist mir wichtig», sagt die 27-Jährige am Tisch im lauschigen Garten. Sie war schon früher viel bei den Grosseltern, als damals im Stall ganz hinten im Garten zwei Pferde standen. Als Teenager sei sie viel geritten.
Weder Eltern noch Grosseltern sind Bauern. Daher war die Familie doch etwas erstaunt, als Fabienne gegen Ende der Schulzeit den Wunsch äusserte, eine Lehre als Landwirtin zu machen. «Das war bei einem Bauernzmorge bei einer befreundeten Landwirte-Familie. Ich wusste plötzlich, was ich wollte.»
Alles neu lernen
Die Eltern legten ihr nahe, auch noch in anderen Berufen zu schnuppern, etwa in der Pflege. Doch auch nach den Stippvisiten blieb Fabienne Klarer dabei: Sie wollte Landwirtin lernen, auch wenn es in der Familie keinen Hof gab. Das erste Lehrjahr machte sie auf einem Betrieb in Lotzwil mit Milchwirtschaft und Mast-Remoten. «Ich war der erste Lehrling dort, das war auch für den Landwirt Neuland.»[IMG 3]
Da nicht auf einem Hof aufgewachsen, musste sie alles von null an lernen, etwa das Traktorfahren. «Der Lehrmeister richtete mir auf einer Wiese extra einen Parcours ein.» Die langen Arbeitstage und die körperliche Anstrengung waren manchmal hart. Doch bereut hat sie ihren Berufsentscheid nicht.
Das zweite Lehrjahr absolvierte Fabienne Klarer in Läufelfingen, und für das dritte Jahr bekam sie die Bewilligung, auf den ersten Hof zurückzukehren. «Als Landwirtschafts-Neuling hatte ich manchmal Mühe mit der Schule. Mit dieser Lösung musste ich mich nicht auf einen neuen Betrieb einstellen, sondern konnte mich ganz auf den Unterricht konzentrieren.»
Nach der Lehre war sie auf verschiedenen Höfen als Betriebshelferin tätig, arbeitete zwei Sommer auf der Alp und auch in der Landi. «Ich wusste nicht so recht, was ich machen wollte.» Aber längerfristig brauchte sie einen Ganzjahresjob. Daher arbeitet Fabienne Klarer heute Vollzeit in einem Sportartikelgeschäft.
Ein besonderer Einsatz
Doch diesen Sommer hat die ausgebildete Landwirtin noch eine andere Aufgabe: Sie ist eine der zwölf Ehrendamen des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfestes (ESAF), das vom 26. bis 28. August in Pratteln BL stattfindet. Sie komme aus einer Schwinger-Familie, erzählt sie. Vater Rolf Klarer war der «jüngster Kranzschwinger aller Zeiten», wie er auf der ESAF-Website schreibt. Er amtet als einer der Vize-Präsidenten des Gross-Anlasses. «Selber Schwingen hat mich aber nie gereizt», sagt seine Tochter. Was ihr gefalle, sei das Bodenständige, fast schon Nostalgische an den Schwingfesten. «Das holt mich ab in dieser schnellen Welt.»
Fürs ESAF getestet
Wer ESAF-Ehrendame werden wollte, musste ein Casting bestehen. Dabei stellten sich die Anwärterinnen selbst vor und absolvierten einen Test mit Fragen zur Schweizer Politik und zum Schwingen. Nach dem Auswahl-Verfahren wurden die jungen Frauen in sieben Modulen für ihren Einsatz geschult; zu den Themen gehörten Schweizer Politik, Verhalten den Medien gegenüber und das eigene Auftreten.
Im Juni letztes Jahr trafen sich die Ehrendamen erstmals alle in ihren massgeschneiderten Baselbieter Festtagstrachten, um die offiziellen Fotos und Videos zu erstellen. Die Tracht setzt sich aus 14 Teilen zusammen und wiegt rund 6,5 Kilo. «Doch ich fühle mich wohl in Tracht und ich trage sie mit einem gewissen Stolz.»
Sie freue sich schon darauf, am ESAF mit den anderen Ehrendamen drei Tage lang gemeinsam unterwegs zu sein. Mit dabei ist auch ihre jüngere Schwester Michelle Klarer. Für das Fest wünscht sich Fabienne Klarer: «Trockenes Wetter und 20 Grad. Und dass am Anlass die gleiche friedlich-festliche Stimmung herrscht wie in früheren Jahren.»
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Das Los entscheidet
Zu den Aufgaben einer Ehrendame gehört, den Gästen auf dem Festgelände Auskunft zu geben, Ehrengäste einzuweisen, bei Apéros dabei zu sein, Rednerinnen und Rednern bei ihren Ansprachen zu flankieren und natürlich am Sonntag die Kranzschwinger auszuzeichnen. Steht schon fest, wer den König küren darf? Fabienne Klarer schüttelt den Kopf. «Darüber wird das Los entscheiden.» Etwas aufgeregt sei sie schon. «Doch es geht ja nicht um mich, ich begleite nur. Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt.»
[IMG 5]Kritische Stimmen zu ihrem Einsatz als Ehrendame hörte sie keine. «Die kämen wohl eher aus dem städtischen Umfeld.» Doch mit der Stadt habe sie wenig zu tun. Denn Fabienne Klarer ist immer noch mit ihrem Lehrberuf eng verbunden.
Sie verbringt fast die ganze Freizeit in der Landwirtschaft, ist viel auf einem Betrieb von Bekannten. Dort hilft sie etwa beim Heuen oder Silieren und übernimmt an einem Wochenende pro Monat das Melken. Vielleicht ergebe sich längerfristig eine Vollzeitstelle auf einem Hof in der Region, hofft die Landwirtin. Oder es gäbe die Gelegenheit, einen Hof zu pachten. «Aber nicht allein.» Also einen Bauern heiraten? Fabienne Klarer lacht und winkt ab. «Nur, wenn die Chemie stimmt.» Doch die Arbeit auf dem Land tue ihr einfach gut. «Wenn ich Arbeitsschuhe und Überhosen anziehe, werde ich ruhiger. Dann fährt mein System herunter.»
Weitere Informationen: www.esaf2022.ch