Die hellgrünen Matten liegen im Gadmertal wie Inseln zwischen Felsen, Wald und Lawinenzügen. Der Hof von Rolf und Martina Kehrli liegt hier auf rund 1000 Metern im Talboden. Links und rechts steigen die steilen Bergflanken auf über 2000 Meter hoch.
Kühe zügeln im Winter
«Das Land ist überall verteilt», sagt Rolf Kehrli. Sechs Hektaren haben sie ausserhalb des Tals am Hasliberg gepachtet, sie gehören zum Heimetli der Mutter und werden dreimal geschnitten. Der vierte Aufwuchs wird als Herbstweide genutzt. Anschliessend werden die Kühe dort mit dem vorhandenen Heu gefüttert. Das reicht bis etwa Januar. Dann folgt der grosse winterliche Umzug ins Gadmertal.
Mittlerweile erfolgt die winterliche Züglete per Viehtransporter. Früher wurden die Tiere noch zu Fuss vom Hasliberg ins Gadmertal getrieben. Die Strecke beträgt rund 20 km und 500 Höhenmeter, höchster Punkt ist die Winterlücke auf 1400 Metern. Schnee und Eis machten den Viehtrieb zum Abenteuer. Rolf hat die Zügelei zweimal mitgemacht: «Passiert ist zwar nie etwas, aber man hat den Tieren die Anstrengung doch angemerkt.»
Wertschöpfung dank Alp
Insgesamt werden 50 Hektaren bewirtschaftet. Herzstück des Betriebs ist die Milchwirtschaft mit 19 Kühen. Auf dem Talbetrieb wird an der Fressachse im Laufstall gemolken. Für die Zukunft denkt Rolf an einen Melkstand. Ein Melkroboter komme angesichts der Betriebsgrösse aber nicht in Frage. «Im Sommer würde der sowieso stillstehen», sagt er. Die Milch wird alle zwei Tage hinunter nach Innertkirchen gebracht. Das sind gut sieben Kilometer Fahrt. Gemessen an den steigenden Energiepreisen werde der Verdienst zusehends geringer. Von Mitte Juni bis Ende September geht es mit den Kühen z Alp. «Dank der Alpkäserei ist die Wertschöpfung in den Sommermonaten etwas grösser», sagt Rolf.
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Kampf gegen Verbuschung
Wie das Land sind auch die Alprechte über ein weites Gebiet verteilt. Das Jungvieh und elf Kühe verbringen den Sommer über der Waldgrenze an der sonnseitig gelegenen Alp Birchlaui. Durch die Bewirtschaftung der sechs Hektaren an Hasliberg kommen dort weitere Alprechte dazu. Sechs Kühe besuchen deshalb die Hasliberger Alp Baumgarten im Gental, einem Seitental des Gadmertals, das sich zum Engstlensee und dem Jochpass hochzieht. Neben Kühen und Jungvieh halten Rolf und Martina auch Burenziegen. Mit Bock sind es insgesamt 13 Stück. Die Ziegenhaltung dient der Waldrandpflege. «Die Verbuschung im Griff zu halten, ist hier eine Herausforderung», sagt Rolf. «Der Druck ist gross.» In den vergangenen Jahren habe sich das Problem verstärkt: Der Schnee liegt weniger lang, die Vegetationsperiode ist länger geworden. Besonders auf den Alpen sei die Veränderung unübersehbar.
Viele geben auf
Ein nomadisches Leben führen nicht nur die Tiere, sondern auch die junge Bauernfamilie selbst. Der Laufstall und das elterliche Bauernhaus liegen etwa 1,5 Fahrkilometer vom Wohnhaus entfernt. «Wir pendeln die ganze Zeit hin und her», sagt Rolf. Das soll sich aber bald ändern. Die Familie konnten eine Haushälfte in direkter Nachbarschaft zum Stall übernehmen. Diese soll zum Wohnsitz ausgebaut werden – «mit viel Eigenleistung», wie Rolf sagt.
Von einem anderen Landwirt, der pensioniert wurde, konnte die Bauernfamilie auch weiteres Land in Pacht nehmen. Land zu finden, ist im Tal weniger schwierig als andernorts. Viele Betriebe bleiben hier ohne Nachfolge. «Die meisten sind froh, wenn jemand ihr Land bewirtschaftet», sagt Rolf. Die kleinen Bergbetriebe könnten nur im Nebenerwerb geführt werden. «Die jüngere Generation nimmt das nicht mehr auf sich», sagt Rolf. «Wenn einer auswärts einen guten Job hat, will er in seiner Freizeit nicht noch bauern»
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Verschnaufpause im Sommer
Schnee liegt im Gadmertal oft noch bis im April, manchmal bis im Mai. In den letzten Jahren sei der Frühling aber oft schon früher gekommen, stellt Rolf fest. Und: «Als Winteranfang hat früher die Zeit um den 20. Oktober gegolten, jetzt kommt der Schnee aber oft erst im November.» Der erste Schnitt erfolgt gegen Ende Mai, im Juni folgt der zweite. Anstelle eines dritten Schnittes gibt es auf einem Teil des Landes Herbstweide. Die Ökowiesen werden nur einmal geschnitten.
Als Ergänzung wird im Sommer auch Bergheu gemäht, sonnseits im steilen Gelände oberhalb der Waldgrenze. Drei Hektaren werden so genutzt. «Das ist ein richtiger Familienanlass», sagt Rolf. Seine zwei Schwestern und sein Bruder helfen jeweils mit, das Heu wird anschliessend ins Tal geflogen. Überhaupt ist der Sommer die Zeit, in der sich die Bauernfamilie auch einmal Zeit für sich nehmen kann. Weil die Kühe fort sind, liegen nach dem ersten Schnitt sogar ein paar Tage Ferien drin.
Unsichtbare Gefahr
Für Martina Kehrli war das Leben im Gadmertal am Anfang eine Umstellung. Sie kommt aus Lungern. Bergbauern und Alpwirtschaft gibt es zwar auch im Obwaldnischen. «Aber es sind andere Berge hier», sagt sie. Neu war für sie die Stille im Winter, aber auch die Lawinengefahr. Wenn es gefährlich ist, müssen die beiden Kinder im Haus bleiben: Zu gross ist die unsichtbare Gefahr, die von der Druckwelle der niedergehenden Staublawinen ausgeht. «Das kannte ich so nicht», sagt Martina: «Wenn man von auswärts kommt, kann man sich die Gefahr gar nicht so recht vorstellen.»
Betriebsspiegel
Name: Rolf Kehrli
Ort: Nessental, Gemeinde Innertkirchen BE
Fläche: 50 ha
Höhenlage: ca. 1000 m ü. M. (Bergzone III + IV)
Nutztiere: 19 Kühe, 31 Stück Jungvieh, 13 Ziegen
Mitarbeiter: 4–5, ein Lehrling
Landmaschinen: 1 Terratrac, 1 Transporter, 2 Motormäher