«Holz bedeutet für mich wachsen und leben. Es ist unglaublich respekteinflössend vor einem Baumstamm zu stehen, der 180 Jahre gewachsen ist.» Der, der das sagt, ist Reto Gertsch, gelernter Forstwart, Baumpfleger und Landschaftsgärtner. Viele Jahre lang arbeitete er beruflich mit Holz und dieses begleitet ihn heute noch in der Freizeit: Er stellt mit der Kettensäge Dekoelemente aus Holz oder Baumstümpfen her. Die Folgen eines Arbeitsunfalls vor rund acht Jahren zwangen ihn jedoch, beruflich umzusatteln, weg vom Holz. Geblieben ist das Hobby. Gertsch, der nicht als Künstler betitelt werden will, sitzt in Schwadernau, wo er seine Werkstatt hat, auf seinem aktuellen Projekt, einer Sitzbank. Die Herbstsonne wärmt, vor der Werkstatt liegen Holzstämme und es riecht nach Sägespänen. Er sei auch kein Kunsthandwerker, sondern einfach nur Handwerker, macht Gertsch in dieser Kulisse unmissverständlich klar.
Ein Pilz für die alte Dame
Begonnen hat Reto Gertsch sein Hobby bereits während der Ausbildung. Als Schlüsselerlebnis und Startschuss bezeichnet er die alte Dame, bei der er im Garten eine alte Fichte fällen musste und die darüber bitterlich weinte. Die Dame tat ihm leid. Kurzerhand liess er einen Baumstumpf stehen und formte mit der Kettensäge einen Pilz. Die grosse Freude der alten Dame bewog ihn dazu, weiterzumachen. «Wenn ein Pilz geht, geht auch etwas anderes, etwa ein Eichhörnchen», sagte sich Reto Gertsch und das Hobby entwickelte sich nach und nach weiter. Er entdeckte seine Faszination, mit grobem Werkzeug ans Limit zu gehen und Feines herzustellen. «Ein Bildhauer würde sagen, nimm den Stechbeutel für die Augen. Ich nehme die Motorsäge.» Zu 95 Prozent entstehen die Objekte mit unterschiedlichen Grössen von Motorsägen. Details werden etwa mit dem Winkelschleifer gemacht. Um optische Tiefe zu geben, kommt manchmal auch ein Bunsenbrenner zur Farbgebung zum Einsatz. Eine Zeit lang stellte sich Reto Gertsch vor, seine Freizeitbeschäftigung zum Beruf zu machen. Doch ziemlich rasch erkannte er, «dass die Freude verloren ginge, wenn ich mein Hobby zum Alltag machen würde.» Das Leuchten in den Augen der Kundinnen und Kunden, wie das der alten Dame, sei ihm mehr wert als jeder Verkaufspreis. «Geld war nie der Motor für diese Arbeit.» Und so sei es auch schwierig, den Lebensunterhalt zu verdienen und eine Familie zu ernähren.
Mit Eiche sind feine Konturen möglich
Der Handwerker verbraucht pro Jahr durchschnittlich 15 m³ Holz, welches er meist von Waldbesitzern aus der Region bezieht. Das Holz muss relativ frisch und nur leicht angetrocknet sein. Er verwendet am liebsten Weymouthsföhre. Sie gehe gut zum Sägen, spaltet wenig und er bringe mit diesem Holz gute Konturen hin. Auch Douglastanne kommt zum Einsatz. Objekte aus Douglasie seien sehr dauerhaft, das Holz jedoch schwierig zu bearbeiten, wenn es eher trocken sei. Als Königsdisziplin bezeichnet Reto Gertsch das Arbeiten mit Eiche. Sehr, sehr feine Konturen sind möglich. Dass Eiche bleischwer ist, sei hingegen ein Nachteil.
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Der persönliche Kontakt ist wichtig
Bevor sich Reto Gertsch an die Ausführung eines Auftrages macht, besucht er die Kundinnen und Kunden. «Beim persönlichen Kontakt erfasse ich die Situation und spüre, was passen könnte. Das ist sehr wichtig für mich. Denn, ob das Objekt später bei einem Ferienhaus im Jura steht oder doch bei einem Reihenhaus in der Stadt Biel, macht einen grossen Unterschied», weiss Gertsch. Für ihn sind die besten Aufträge diejenigen, bei denen er zunächst denkt: «Das ist unmöglich, da werde ich scheitern.» Er zweifelt manchmal an seinen Fähigkeiten und sagt: «Ich weiss, dass ich mit den Vollprofis nicht mithalten kann.» Der Handwerker sagt von sich selbst, dass er meist ohne Konzept und eher chaotisch ans Werk gehe. «Komischerweise kommt es immer so, wie ich es mir vorher vorgestellt habe.» Bei technischen Objekten, wie etwa der Harley, zeichne er sich lediglich Hilfslinien an. Dieser Auftrag zu einem runden Geburtstag sei eine Challenge gewesen, gesteht er und lacht dabei verschämt. Mit dem Ergebnis ist er aber zufrieden und auch der neue Besitzer ist es vollends, weiss die Schreibende. War denn diese Harley der bislang schwierigste Auftrag? Nein, erklärt Reto Gertsch. Das Schwierigste sei eine Dampflokomotive im Massstab 1:20 gewesen. «Die war am Schluss super!», erinnert er sich und strahlt dabei übers ganze Gesicht. Auf die Frage, ob ihn die Ergebnisse stolz machen würden, sagt Gertsch: «Ich empfinde Genugtuung, Stolz eher nicht. Was die Nordamerikaner mit ihren Sägen ins Holz zaubern, ist Kunst. So was herzustellen, würde mich stolz machen.»
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Die Proportionen müssen am Schluss passen
Als grösste Schwierigkeit bei seiner Arbeit bezeichnet Reto Gertsch die Proportionen. Diese so hinzubekommen, dass sie am Schluss stimmen, sei das Schwierigste. «Anders als ein Töpfer, der aufbaut, nehme ich etwas weg. Und was weggeschnitten ist, ist unwiederbringlich weg.» Reto Gertsch brennt für seine Objekte, solange sie in Arbeit sind. Sind sie weg und beim Kunden, verschwinden sie meist auch aus den Gedanken des Handwerkers. «Ich bin gegenüber dem Endobjekt meist emotionslos, mich interessiert vor allem der Weg vom Stamm zum Objekt.» Auch dies ein Faktor, warum es besser sei, diese Arbeit als Hobby und nicht beruflich auszuüben. Solange Reto Gertsch die Freude seiner Kundinnen und Kunden über ein fertiges Objekt sieht, und solange sein zeitaufwendiges Hobby ihm selbst noch Freude bereitet und auch mit der Familie vereinbar ist – ja, so lange macht er weiter.
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