Nach 32 Jahren hat Ueli Wolleb Ende September 2022 seinen letzten Arbeitstag als Lehrer und Berater am LZ Liebegg. Besonders das Rindvieh gehörte für ihn nicht einfach zum Job, sondern war eine Leidenschaft. Im Interview zieht er eine Bilanz.

Wie hat sich die Rindviehhaltung im Aargau in den vergangenen 30 Jahren entwickelt?

Ueli Wolleb: Es gibt heute viel mehr Mutterkuhbetriebe, auch die intensive Grossviehmast hat dank der Anbaumöglichkeit von Mais weiterhin eine grosse Bedeutung. Aber generell ist die Tierzahl beim Rindvieh gesunken, am stärksten in der Milchproduktion, da fand ein sehr starker Strukturwandel statt. Das erstaunt nicht, denn im Aargau gibt es Alternativen wie Spezialkulturen. Vor allem kleinere und Nicht-Herdebuchbetriebe sind aus der Milchproduktion ausgestiegen, dafür haben sich andere spezialisiert. Es ist sehr positiv, dass dabei nicht nur die Milchleistung pro Laktation gestiegen ist, sondern auch die Lebensleistung. Die Bedeutung des Tierwohls hat massiv zugenommen. Viele haben erkannt, dass sich hier Verbesserungen wirklich lohnen.

Welche Rolle spielt da die Gesellschaft?

Lange war die Aussenwirkung im Tierhaltungsbereich kein grosses Thema. Heute ist klar, dass die Bauernfamilien nach aussen über ihre Arbeit reden müssen, sie werden hinterfragt und kritisiert. Der Umgang damit fliesst auch in den Unterricht ein. Am Liebegger Jubiläum 2008 haben wir uns zum ersten Mal im grösseren Rahmen in diesem Sinn an die Bevölkerung gewendet, daraus entstand der heutige Liebegger Tag.

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Wie haben sich der Unterricht und die Schüler(innen) verändert?

Ich habe den Eindruck, dass in der Grundbildung das Feld der Minimalist(innen) grösser geworden ist. Ihnen reicht es, in der Schule gerade so durchzukommen. In der Praxis auf den Landwirtschaftsbetrieben wird es mit dieser Haltung dann aber schwierig. Tendenziell bringen die jungen Leute heute weniger Grundwissen aus der Volksschule mit, vor allem im Bereich Mathematik. Aber ich habe auch enorm motivierte und wissensdurstige Klassen erlebt, besonders bei den Bäuerinnen und in der Betriebsleiterschule.

Ich habe drei Schulreformen mitgemacht. Vor 32 Jahren gab es im Aargau noch drei Landwirtschaftsschulen. Damals habe ich an manchen Wochentagen nacheinander in Muri, Gränichen und Frick unterrichtet. Eine gute Entwicklung in neuerer Zeit war die Einführung der Agrarpraktiker-Klassen: Das verbessert den Unterricht für die schwächeren wie für die stärkeren Lernenden.

Welche Bedeutung haben Anlässe wie Eliteschau und Tierzuchtabend, die Sie mit aufgebaut haben?

Die Eliteschau hat die Milchviehzucht im Kanton definitiv weitergebracht. Die Aargauer Auktion hat als Vermarktungsplattform Bedeutung weit über den Kanton hinaus gewonnen. Mit der Einführung des Tierzuchtabends vor fast 30 Jahren sind wir aus heutiger Sicht auf der richtigen Schiene gefahren – das Ziel der Förderung von gesunden, fruchtbaren, langlebigen Tieren macht wirtschaftlich Sinn und ist politisch akzeptiert. Auch bei der Weiterbildung waren wir am Puls, beispielsweise mit dem Milchtag. Oder mit den Homöopathiekursen, welche die Liebegg früh anbot. Beim ersten Mal im Jahr 2000 kamen drei Referenten und fünf Zuhörer. Da liessen wir das Thema nochmals ruhen. Später konnten wir viele gut besuchte Homöopathie-Lehrgänge durchführen.

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Was forderte speziell heraus in Ihrer Amtszeit?

Jene Zeit, als der Vollzug des Tierschutzes bei mir lag. Das war als Übergangslösung gedacht, dauerte dann aber rund fünf Jahre. Ich war Vollzugsbeamter, Lehrer und Berater in einer Person. An einem Tag musste ich eine Strafverfügung gegen einen Landwirt unterschreiben und danach seinen Sohn in der Schule unterrichten.

Was sagen Sie zur Kritik, Rindviehhaltung habe in der landwirtschaftlichen Ausbildung zu viel Platz?

Die Lehrmittel sind effektiv rindviehlastig. Andererseits bringt Rindvieh nach wie vor zwei Drittel des bäuerlichen Einkommens aus der Tierhaltung. Es ist kaum möglich, ein Lehrmittel zu machen, das für die Landwirtschaft in der ganzen Schweiz passt. Bei den Lehrbetrieben in meinen Klassen waren in der Regel alle drei Milchviehrassen plus Mutterkuhrassen vertreten, daneben sassen Schüler(innen) von tierlosen Betrieben. Entscheidend ist die Lehrperson, die dafür sorgt, dass andere Tiergattungen nicht zu kurz kommen.

Engagiert in Pension
Ueli Wolleb, Bauernsohn und ETH-Agronom aus Lupfig, arbeitete seit 1990 als Landwirtschaftslehrer und Berater mit Schwerpunkt Rindviehhaltung im Kanton Aargau, seit der Schliessung der Schulstandorte Frick und Muri nur noch am LZ Liebegg. Nach einer längeren Phase mit gesundheitlichen Problemen geht der 60-Jährige Ende September in den Ruhestand. Kühe gibt es weiterhin in seinem Leben: Er bleibt unter anderem OK-Chef der kantonalen Eliteschau und stellt sich ab 2023 für die Geschäftsführung von Swissherdbook Aargau zur Verfügung. Daneben wird er die Zeit zum Wandern und Reisen mit seinem Fotoapparat im Gepäck nutzen.