Die Voraussetzung für das Betreten der Wiesen sei die Sicherheit, twitterte am Montag die Gemeinde Albula/Alvra, zu der Brienz gehört. Der Entscheid werde jeden Tag neu gefällt. Ein Besuch der Bevölkerung im evakuierten Dorf soll am Mittwoch, 12. Mai 2023, möglich sein. Für die Wohnbevölkerung sind um 10 Uhr und um 13.30 Uhr zwei Zeitfenster à 90 Minuten geplant. Voraussetzung ist eine positive Sicherheitsbeurteilung durch den Frühwarndienst am frühen Mittwochmorgen. Im Interview spricht Gemeindepräsident Daniel Albertin über die aktuelle Lage.

Herr Albertin, wie schwierig ist die Situation für die Bauernfamilien?

Daniel Albertin: Zwei Bauernbetriebe haben Stallungen in der Sperrzone. In der ganzen roten Zone haben wir 13 Bewirtschafter. Fürs Heuen ist eine Tagesüberwachung am Berg angedacht, sodass ein Geologe permanent von morgens 8 Uhr bis abends um 21 Uhr mit Messinstrumenten die Bewegung am Berg überwacht. Damit man zumindest einen Teil der Flächen bewirtschaften könnte. Dafür braucht es nicht nur etwas Ruhe am Berg, sondern auch eine gute stabile Wetterlage. Das macht es schwierig.

Wie ist zurzeit die allgemeine Situation in Brienz/Brinzauls?

Seit der Evakuierung des Dorfes ist eine konstante Bewegungszunahme am Berg zu beobachten. Ein grösserer Abbruch fand nicht statt. Laut den Experten steht ein grösserer Abbruch jedoch unmittelbar bevor.

Was bedeutet das für die Bevölkerung?

Geduld, Geduld und nochmals Geduld. Wir haben immer noch die rote Phase und das Dorf darf nicht betreten werden. Wir informieren wöchentlich die Brienzer und die Gesamtbevölkerung über die neuesten Erkenntnisse. Wenn es die Geologen verantworten können, dass man Zeitfenster für eine kurzfristige Rückkehr einrichten kann, dann wollen wir das ermöglichen. Täglich analysieren wir die Lage zusammen mit den Geologen.

Wie geht es den Leuten?

Wir haben die Bevölkerung seit 2018 mehrfach über das Szenario, wie wir es jetzt haben, informiert. Aber als der Ernstfall eingetreten ist, war es ein veritabler Schock. Und nun dauert die Evakuierung schon vier Wochen. Für die einen, die arbeiten gehen können, ist es vielleicht etwas erträglicher. Sie haben eine Tagesstruktur. Aber die latente Unsicherheit ist sehr belastend. Wie lange dauert die Evakuierung noch? Wann kommt der Berg? Gibt es einen Schuttstrom? Wird der Sondierstollen, der zum Entwässerungsstollen umgebaut werden soll, seine Wirkung zeigen? Kann man überhaupt je wieder zurück an den Ort, wo man aufgewachsen ist und sich eine Existenz aufgebaut hat?

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Gibt es auch eine seelische oder psychologische Betreuung?

Wir von der Gemeinde haben unmittelbar nach der Informationsveranstaltung zur bevorstehenden Evakuierung vom 14. April 2023 eine Hotline eingerichtet. Die Hotline macht eine Triage und hilft in allen Lebenslagen. Dahin kann man sich wenden, wenn man sich mal etwas von der Seele reden will oder Unterstützung bei organisatorischen oder rechtlichen Fragen sucht. Die Mitarbeiter unterstehen der Schweigepflicht, so kann man vertrauensvoll reden.

Die Gemeinde hat ein Spendenkonto eingerichtet. Sind Sie auf zusätzliche Spenden angewiesen?

Ja, es braucht Spenden. Die Soforthilfe kam der Bevölkerung direkt bei der Evakuierung zugute. Aber je länger die rote Phase dauert, desto mehr Kosten fallen an. Wichtig ist, dass die Familien, die in eine finanzielle Notlage kommen, sich bei der Spendenkommission melden können.

Wie belastend ist für Sie persönlich als Gemeindepräsident die Situation?

Seit dem 1. April konnte ich nicht viele Tätigkeiten auf dem Betrieb ausführen. Zum Glück managt meine Frau Tanja zusammen mit einem Lehrling den Betrieb. Wir können auch ehemalige Lehrlinge anfragen. Sie helfen, wo sie können und wissen, wie der Betrieb läuft.

«Die grosse Solidarität, der Nachbarn, Verwandten, Kollegen und der gesamten Schweizer Bevölkerung, trägt unsere Gemeinde, den Gemeindeführungsstab und die ganze Gemeinde Brienz.»

Daniel Albertin, Gemeindepräsident Brienz/Brinzauls

Das tut gut. Wenn Solidarität gefragt ist, helfen alle. Diesen Solidaritätsgedanken dürfen wir hierzulande nicht aufgeben.