«Ich stelle einen gewissen 'Schwiegertochterrassismus' fest». Ein harter Begriff, den Brigitte Gross da verwendet. Aber die Seeländer Bäuerin weiss, wovon sie spricht. «Das Problem ist nicht, dass die Schwiegertochter keine Gardinen mehr an den Fenstern will oder aus der Stadt stammt, sondern, dass die ältere Generation nicht loslassen kann», beginnt sie ihre mehrstündigen Ausführungen zum Thema. Gross hat selber erfahren, was es heisst, ein schwieriges, ja zermürbendes Verhältnis mit den Eltern des Ehemannes zu haben. Und dabei nennt sie diese bewusst nicht Schwiegereltern. Sie habe seinerzeit eigentlich den Mann heiraten wollen und nicht seine Eltern. 

Nicht thematisiert

Lange hatte sie sich mit diesen Generationenkonflikten alleine gefühlt. «Man sprach nicht darüber, weder in den eigenen vier Wänden noch irgendwo sonst.» Schuld an allem Negativem hatte einfach die Schwiegertochter – schliesslich gab es ja vor ihrem Erscheinen keine Probleme. Und obwohl die Kommunikation offener geworden sei und jüngere Generationen sich eher über Schwierigkeiten austauschen, seien gewisse Themen, zu denen Gross auch Generationenkonflikte zählt, auch heute noch tabu. So werde auch nicht über  Beziehungsprobleme gesprochen. Dabei wäre das so wichtig, weil Störungen in der Beziehung viele Ehen – und damit auch den Landwirtschaftsbetrieb – belasten würden. Über die Anschaffung einer neuen Maschine oder den Milchpreis werde gesprochen, da würde mit Kollegen diskutiert, da würden Preise verglichen, Erfahrungen ausgetauscht – Gefühle jedoch seien tabu – vor allem auch die negativen. Ob dies mit der Erziehung zu tun haben könnte, lässt Gross im Raum stehen. Sie hat nicht einfach eine simple Erklärung für alles. Aber sie will es genauer wissen. Sie hat zahlreiche Kurse besucht, unzählige Bücher gelesen. Immer wieder unterstreicht sie im Gespräch mit der BauernZeitung ihre Ausführungen mit wissenschaftlichen oder geschichtlichen Aussagen.

Das Zepter halten

Brigitte Gross hat irgendwann nach zehn Jahren Ehe begriffen, dass sie das eigene Leben fast vollständig aufgegeben hatte. Sie kam in das vorgegebene Schema der Familie ihres Mannes und hat sich rundum angepasst. Ihr Mann blieb – wie so viele andere Bauernsöhne – in erster Linie der Sohn seiner Eltern. Und dies, obschon die Betriebsführung bereits vor der Heirat in den Händen der beiden lag. Und hier ortet die Bäuerin die grundlegende Problematik. Obwohl die Hierarchie ändert, und der Sohn zusammen mit seiner Frau die Betriebsleitung innehat, hält die ältere Generation das Zepter weiter in der Hand, weil sie es nicht abgeben kann oder will und die jüngere Generation überlässt es ihr. Der Hofnachfolger, bislang meist der Sohn, ist in diesem Konstrukt aufgewachsen, er wurde von seinen Eltern erzogen, kennt die Gepflogenheiten, die für ihn meist auch kein Problem darstellen. Schwierig wird es erst, wenn die Person von aussen, meist die Schwiegertochter, neue Ansichten und eine andere Landkarte mitbringt. «In den meisten Fällen stehen die Männer nicht hin und sagen ihren Eltern klipp und klar, wer hier das Sagen hat und dass sie seine Frau, ihre Schwiegertochter, kommentarlos zu akzeptieren hätten. Das wäre aber grundlegend wichtig», ist  Gross sicher, denn die Nichtakzeptanz der Schwiegertocher zeigt auch eine gewisse Respektlosigkeit dem Sohn gegenüber – und Nichtakzeptanz sowie Respektlosigkeit bilden keine gute Grundlage für das zukünftige Zusammenleben der Generationen. ​

Mit Problemen alleine sein

Und obwohl die Generationenkonflikte heute vermehrt thematisiert würden und auch viel mehr in Zeitungen darübergeschrieben werde, als früher, bleibe das Gefühl, alleine mit dem Problem zu sein, weit verbreitet. «Was mir damals geholfen hätte, wäre das Wissen gewesen, nicht alleine mit diesem Problem zu sein», erinnert sich die Bäuerin, die heute auch aktiv in einem Arbeitskreis des Inforama mitmacht, der sich unter anderem auch mit Generationenproblemen befasst. «Es gibt haarsträubende Geschichten und das muss sich ändern», ist sie sicher. «Und all die Ratschläge, die man bekommt, was ist, wenn sie nichts nützen? Was tut ein Mensch in seiner Verzweiflung, wenn er einfach nicht mehr aushält, wie ihm begegnet wird, wie man mit ihm umgeht?», fragt Gross.

«Krug geht zum Brunnen…»

Die Seeländerbäuerin, die bald 65 Jahre alt ist und kurz vor der ausserfamiliären Übergabe des Betriebes steht, hat eine Webseite zum Thema gestaltet. Dort will sie Frauen, aber auch Männer, zum Thema sensibilisieren und ihnen aufzeigen, dass der Krug zum Brunnen geht, bis er bricht. Mit der Seite schwiegertochter.ch will Brigitte Gross Inhalte vermitteln, die erklären und weiterhelfen. Und zwar ganz konkret. Denn «die Probleme sind tiefgründiger», weiss sie. Den Frauen fehle es entscheidend an Selbstbewusstsein. Die Gesellschaft sei ins Männliche gekippt. Dafür zieht sie ein einfaches Beispiel herbei: «Der Bundesrat wird kein Stück weiblicher, nur weil wir Bundesrätinnen  wählen!» Es seien die männlichen Werte, die männlichen Attribute, die eine Frau in Politik oder Arbeitswelt erfolgreich machen. Nicht die Weiblichen. «Wir Männer wie Frauen leben im Alltag vor allem einen Teil des männlichen Prinzips, wie Karriere machen, Kontrollieren und Wachsen und vernachlässigen daneben einen wichtigen Teil des männlichen Prinzips wie Sicherheit geben und Unerschrockenheit. Auch das weibliche Prinzip wie Fühlen, Geborgenheit geben und ein Miteinander fehlt», erklärt die Bäuerin. So bilanziert sie in Sachen Gleichberechtigung: «Frauen und Männer haben heute fast die gleichen Rechte aber das Weibliche hat viel weniger Stellenwert als früher.»  Denn vor 30 Jahren sei das Erledigen der Haushaltung inklusive der Werte Geborgenheit, Füreinander, Miteinander und weiteres noch etwas wert gewesen. «Heute schämen wir uns ja geradezu, in einer Runde zu sagen: Ich bin nur Hausfrau!»

 

Der Sinn der Website

Die Website www.schwiegertochter.ch sei von Schwiegertöchtern ins Leben gerufen worden, die mit ihrem Ehemann und dessen Eltern zusammen wohnen (müssen) und damit – trotz Beratungen, Coaching, Mediation, usw. – sehr grosse bis «unlösbare» Probleme haben. Die Webseite soll Schwiegertöchtern Unterstützung geben, die ebenfalls in einer schwierigen Situation sind, soll aber auch «frischgebackene» Schwiegertöchter unterstützen, die mit viel gutem Willen zusammen mit Ehemann und Schwiegereltern auf dem Hof oder im Geschäft am gleichen Strick ziehen wollen und dabei denken: «Mir passiert so etwas nie!» 

 

Suche nach Lösungen

Doch wo sind die Lösungen, wohin muss die Reise gehen? Brigitte Gross denkt nach. «Viele Männer wissen gar nicht, wie todunglücklich sie eigentlich sind», beschreibt die Bäuerin. Man arbeite an den Betrieben, aber nicht an den Beziehungen. Frauen hätten zahlreiche Beziehungsprobleme und andere, Männer vor allem mit der kaputten Melkmaschine, weil ihnen der Zugang zu ihren Gefühlen fehle. Wohl erziehungshalber, wie Gross vermutet. «Es braucht nun auch eine Emanzipation des Mannes», sagt sie. Indem sie auch ihre weiblichen Seiten an sich zulassen, werde das weibliche Prinzip in unserer Gesellschaft gestärkt. Erst dann sei es möglich von weiblichen und männlichen Eigenschaften zu reden und nicht nur von Mann und Frau. Die Frage, warum das Weibliche in der Gesellschaft weniger wert ist, wird Brigitte Gross noch einige Zeit beschäftigen. Und mit ihr viel andere Frauen auch.  

 

Kommentar von Simone Barth

Schweigen ist kein Weg
Rassismus steht für Fremdenfeindlichkeit und Fremdenhass. Das Wort, das Bäuerin Brigitte Gross in ihren Ausführungen verwendet, mag im ersten Augenblick für Kopfschütteln sorgen. Denkt man einen Moment darüber nach, sieht es anders aus. Es gibt tatsächlich Situationen auf Höfen, die mit Feindlichkeit und Hass umschrieben werden können. Oder wie will man einen Zustand beschreiben, wenn man sich nicht grüsst, sich beschimpft, oder sich gar handgreiflich begegnet? Nicht selten wird gedroht. «Wenn …, dann!» Wenn du das tust, dann bringe ich dich um!» Solche oder ähnliche Sätze belasten den Alltag. Aus einer Eltern-Kind-Beziehung wird ein Horror-Szenario, das durch Abhängigkeiten genährt und durch schwere Demütigung und Respektlosigkeit geprägt wird. Niemand will das. Niemand sucht danach. Und wohl niemand kann sich am Anfang der ganzen Geschichte vorstellen, dass es dereinst so enden könnte. Welcher Weg führt aus einer solchen Situation heraus und welcher Weg gibt Sicherheit, dass er nicht eines Tages im Horrorszenario endet? Es gibt kein Patentrezept. Aber eines ist sicher: Schweigen ist niemals eine Lösung.
s.barth(at)bauernzeitung.ch