Nicht wenige bäuerliche Genossenschaften haben in den letzten Jahren ihre ursprüngliche Bestimmung verloren, oder bewirtschaften nur mehr Immobilien. Das können Milch- und Käsereigenossenschaften, aber auch Landwirtschaftliche Genossenschaften sein. Nicht selten sind bei geplanten Auflösungen aber beträchtliche finanzielle Mittel vorhanden, von denen die Genossenschafter profitieren können. Dabei interessiert allerdings, wie solche Ausschüttungen zu versteuern sind.

Reduzierte Besteuerung

Bis zum Jahr 2014 mussten im Aargau solche Dividenden von Genossenschaften offenbar nur reduziert besteuert werden, sie wurden nur zu 40 Prozent des Einkommenssteuertarif berechnet. 2015 änderte aber das kantonale Steueramt die Praxis, und Ausschüttungen von Genossenschaften sind seither zu 100 Prozent als Einkommen zu versteuern. Dies wurde den Mitgliedern der Aargauer Milchgenossenschaft Niederwil, die vor der Auflösung steht und deshalb begann, das Vermögen gestaffelt an die Mitglieder auszuschütten, zum Verhängnis. So erhob stellvertretend der Präsident Gottfried Stöckli Anfang 2017 Einsprache gegen seine persönliche Steuerveranlagung des Jahres 2015, welche beim Einkommen auch einen Teil vollumfänglich zu besteuernde Ausschüttungen der Milchgenossenschaft beinhaltete. Die kantonale Steuerkommission wies die Einsprache aber ab, so dass der Landwirt und Genossenschafter ans Spezialverwaltungsgericht gelangte. Dieses kam mit Urteil vom Januar 2018 zum Schluss, dass der Rekurs vollumfänglich gutzuheissen sei. Der entsprechende Einkommensanteil sei als «qualifizierter Beteiligungsertrag» reduziert zu besteuern.

Widersprüchliche Urteile

Dies wiederum akzeptierte das kantonale Steueramt nicht und gelangte ans Aargauer Ver-waltungsgericht. Dieses kehrte den Entscheid mit Urteil vom Juli 2018 und hob das Urteil des Spezialverwaltungsgerichtes auf. Die von der Milchgenossenschaft ausgeschüttete «Dividende» dürfe nicht privilegiert besteuert werden. Der zitierte Paragraf 45a des kantonalen Steuergesetzes könne nicht herangezogen werden. Dieser besagt, dass eine reduzierte Besteuerung von Einkommen aus Beteiligungen an Genossenschaften nur möglich ist, wenn die steuerpflichtige Person mindestens zehn Prozent am Aktien-, Grund- oder Stammkapital halte. Und die entsprechende Genossenschaft habe eben keine Anteilscheine herausgegeben und verfüge über kein Grundkapital. Damit entfalle die Voraussetzung für privilegierte Besteuerung dieses Ertrages.

Ein Fall fürs Bundesgericht

Der Präsident der Milchgenossenschaft suchte aufgrund der Verwirrung und unterschiedlichen Urteile der Gerichte um Rat bei Treuhandstellen und auch beim Bauernverband Aargau BVA. Diese sicherten ihm finanzielle Unterstützung an die Rechtskosten zu, wenn er den Fall weiterziehe. Dies, weil es um grundsätzliche Fragen gehe und auch weitere Genossenschaften in andern Kantonen betroffen sein könnten, wie BVA-Geschäftsführer Ralf Bucher gegenüber der BauernZeitung erklärt.

So wurde gegen das Urteil des Aargauer Verwaltungsgerichtes im September 2018 beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht. Doch dieses bestätigte mit Urteil vom 20. August 2019 (2C_812 / 2018 f) den Entscheid der Vorinstanz und wies die Beschwerde ab. Und zwar in Fünferbesetzung statt wie üblich mit drei Richtern, was doch aussergewöhnlich sei und auf die rechtliche Brisanz hinweise, wie die Anwältin von Stöckli feststellte.

«Das Urteil des Bundesgerichts kann auch andere Genossenschaften betreffen.»

Ralf Bucher, Bauernverband Aargau

Anteilscheine zwingend

Im Urteil heisst es, dass zwar die Kantone bei Vorliegen einer qualifizierten Beteiligung die wirtschaftliche Doppelbelastung von Körperschaften und Anteilsinhabern aufgrund des eidgenössischen Steuerharmonisierungsgesetzes mildern könnten. Das Bundesgericht bezog sich aber auf das Gesetz über die direkte Bundessteuer, worin Genossenschaftsanteile explizit genannt seien.

Dividenden, Gewinnanteile, Liquidationsüberschüsse und geldwerte Vorteile aus Aktien und Anteilen an Genossenschaften seien nur bei Beteiligungsrechten von mindestens zehn Prozent am Kapital einer Genossenschaft mit 60 Prozent reduziert steuerbar (siehe Kasten).

Zwar könne eine Genossenschaft gemäss Obligationenrecht in ihren Statuten eine Verteilung des Reinertrages durchaus vorsehen, auch wenn kein Grundkapital und keine Anteilscheine bestehen. Ohne diese beiden Voraussetzungen seien solche Ausschüttungen aber kein Beteiligungsertrag im Sinne des Gesetzes, und somit könne auch keine reduzierte Besteuerung geltend gemacht werden.

Das erwähnte Bundesgerichtsurteil finden Sie Online unter www.bger.ch ▶ Rechtsprechung ▶ Rechtsprechung (gratis) ▶ weitere Urteile ab 2000 ▶ Suchabfrage 2C_812/2018 f

 

Der Gesetzesartikel

Das Bundesgerichtsurteil bezieht sich auf Art 20 des Gesetzes über die direkte Bundessteuer. Demnach gilt: «Dividenden, Gewinnanteile, Liquidationsüberschüsse und geldwerte Vorteile aus Aktien, Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Genossenschaftsanteilen und Partizipationsscheinen (…) sind im Umfang von 60 Prozent steuerbar, wenn diese Beteiligungsrechte mindestens 10 Prozent des Grund- oder Stammkapitals einer Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft darstellen.»

 

 

Statuten anpassen

Das abschliessende Urteil des Bundesgerichts dürfte nach Ansicht von Ralf Bucher vom Bauernverband Aargau einige Auswirkungen haben und ein Präjudiz darstellen. Im Aargau hätten in letzter Zeit mehrere Genossenschaften mit der Auflösung aufgrund der Rechtsunsicherheit zugewartet. Noch bestehende finanzkräftige Genossenschaften seien gut beraten, allenfalls ihre Statuten zu ändern und die Ausgabe von Anteilscheinen vorzusehen. Das müsse aber mindestens fünf Jahre vor einer Auflösung geschehen, damit dies bei der Besteuerung berücksichtigt werde. Bucher weist aber darauf hin, dass sich so ein Umstrukturierungsaufwand nur lohne, wenn bei einer Auflösung nur mehr zehn oder weniger Genossenschafter vorhanden sind. Ansonsten könne aufgrund des zitierten Bundesgesetz-Artikels ohnehin nicht von einer bevorzugten Besteuerung ausgegangen werden.

 

 

Einige Genossenschaften betroffen

Wie viele Genossenschaften schweizweit vom Bundesgerichtsurteil tangiert sein könnten, ist schwierig abzuschätzen, wie Anfragen bei den Schweizer Milchproduzenten SMP und bei Fenaco ergaben. In den beiden Dachverbänden sind die meisten bäuerlichen Genossenschaften vereint. Aufgrund des Strukturwandels wurden einige in den letzten Jahren bereits aufgelöst, haben fusioniert oder haben ihre Zweckbestimmung verloren.

Mitgliederlisten nicht aktuell

Aktuell gebe es schweizweit noch rund 650 Käsereien, die meisten sind als Genossenschaften organisiert. Dies vor allem in der Zentral- und Westschweiz, weniger aber in der Ostschweiz, sagt Thomas Reinhard vom SMP. Er weiss, dass bei einigen nicht mehr aktiven Genossenschaften die Mit-gliederlisten nicht mehr à jour sind, was zu Problemen bei einer Liquidation führen könne. Auch seien bei den Mitgliedern teils Illusionen vorhanden, wie hoch denn die Vermögenswerte einer Genossenschaft seien und wie viel bei einer Liquidation effektiv an die Mitglieder verteilt werden könnte.

Jährlich einige Auflösungen

Robert Schwarz von den Zentralschweizer Milchproduzenten ZMP macht jährlich einige Beratungen für Auflösungen von Genossenschaften. Er stellt fest, dass die meisten Genossenschaften keine Anteilscheine führen. Um bei Gewinn-Ausschüttungen Steuerprogressionen zu vermeiden, sei eine Staffelung der Verteilung über Jahre zu empfehlen. Nach seiner Kenntnis mussten aber solche Bezüge jeweils vollständig als Einkommen versteuert werden.

Kaum mehr Spielraum

Paul Furrer von der Luzerner Dienststelle Steuern erklärt die Situation auf Anfrage folgendermassen: Bei Genossenschaften ohne Anteilscheine und mit maximal zehn Genossenschaftern konnte im Kanton Luzern bisher praxisgemäss die Teilbesteuerung in Anspruch genommen werden. Mit dem Bundesgerichtsurteil musste diese Praxis aufgegeben werden. Gemäss dem Urteil gelte dies auch für das Steuerharmonisierungsgesetz, so dass die Kantone keinen Handlungsspielraum mehr hätten.

Eine privilegierte Besteuerung könne in der Steuererklärung im Wertschriftenverzeichnis gleichwohl deklariert und beantragt werden. Die Steuerbehörden würden dann prüfen, ob die qualifizierten Erfordernisse erfüllt seien. So insbesondere die Mindestbeteiligungsquote von zehn Prozent.