«Gibt es das in der Schweiz überhaupt?» Diese erstaunte Frage bekam Prisca Pfammatter zu hören, als sie sich für ihre Masterarbeit bei verschiedenen landwirtschaftlichen Institutionen und Verbänden nach queeren Bauernhöfen erkundigte.

Queer ist ein Sammelbegriff für Personen, deren geschlechtliche Identität und/oder sexuelle Orientierung (wen sie begehren oder wie sie lieben) nicht der heteronormativen Norm entspricht. Pfammatter hat kürzlich ihren Master in ökologischer Landwirtschaft an der Universität Wageningen (Niederlande) abgeschlossen. Für die Masterarbeit beschäftigte sie sich mit nicht-traditionellen Geschlechterrollen in der Schweizer Landwirtschaft.

Vier Betriebe wirkten mit

Sie suchte queere Frauen, die eigene Landwirtschaftsbetriebe leiten. Sie wurde fündig, nicht über Institutionen, «da kam ich kaum vorwärts», aber über einen Artikel in der BauernZeitung und über informelle Kontakte. Für ihre Arbeit konnte sie vier Betriebe besuchen. Sie sprach unter anderem mit sieben in der Landwirtschaft tätigen Personen, die lesbisch oder trans sind, arbeitete teilweise auf den Höfen mit und konnte auch dort übernachten.

Durch mehrere Praktika im landwirtschaftlichen Kontext habe sie gemerkt, «wie männerdominiert die Schweizer Landwirtschaft und auch die Agrarpolitik ist», erzählt die 26-Jährige. Oft sei sie die einzige Frau im Raum gewesen.

Zur Person

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Prisca Pfammatter (26) wuchs in einem ländlichen Gebiet des Tessins auf und interessierte sich schon immer für Umweltschutz und feministische Themen.

Sie studierte erst Geowissenschaften an der Uni Basel, danach ökologische Landwirtschaft an der Universität Wageningen (Niederlande).
 

«Starke Rollenbilder»

Auch erstaunt war sie darüber, dass die Ausbildung so geschlechterspezifisch sei, also dass es explizit eine «Bäuerinnenschule» gibt. «Die Rollenbilder in der Schweizer Landwirtschaft sind sehr stark. Auch die Arbeiten und Erwartungen sind sehr geschlechterspezifisch aufgeteilt», sagt Pfammatter. «Mich interessierten Fragen, wie: Wer zählt als Frau? Wer als Familie?» Studien zu Genderfragen und Sexualität in der Schweizer Landwirtschaft gebe es noch überhaupt nicht.

Familienbetriebe zelebriert

Durch die Erfahrungen der befragten Personen wird laut Pfammatter deutlich, dass das landwirtschaftliche Bildungssystem von traditionellen Geschlechternormen durchdrungen ist. Als Frauen sozialisierte Personen würden so in die Bäuerin-Ausbildung und als Männer sozialisierte Personen in die Landwirt(in)-Ausbildung gelenkt. «Diese Ausbildungen verfestigen heteronormative Modelle sowie die Wissenskluft – und damit das Machtgefälle – zwischen Bäuerin und Landwirt(in)», sagt Pfamatter. Heteronormativität bezeichnet eine Weltanschauung, welche die Heterosexualität als soziale Norm postuliert.

Geschlecht, Gender, Sexualität

Geschlecht, Gender und Sexualität sind drei getrennte, aber miteinander verwobene Begriffe. So erklärt sie Prisca Pfammatter in ihrer Masterarbeit:

Geschlecht: Das Geschlecht ist das, was uns bei der Geburt zugewiesen wird, basierend auf unserer Biologie und Genetik. Wenn ich also zum Beispiel in der Schweiz ein Kind bekomme, habe ich drei Tage nach der Geburt Zeit, das Neugeborene als männlich oder weiblich zu registrieren – andere Kategorien gibt es rechtlich nicht.

Gender: Nach der Geschlechtszuweisung beginnt die Kons­truktion des Genders. Gender wird in der Zeit und durch Wiederholung konstruiert. Wenn mir also ein weibliches Geschlecht zugewiesen wird, dann wird mir auch Weiblichkeit zugewiesen, und ich muss ein bestimmtes Verhalten an den Tag legen, um ein bestimmtes Gender auszudrücken, das vielleicht nicht das Gender ist, mit dem ich mich identifiziere.

Sexualität: Die Sexualität, die an der Schnittstelle oder in unseren Interaktionen mit anderen zu finden ist, umfasst, zu wem ich mich sexuell und/oder romantisch (nicht) hingezogen fühle.

Die Tessinerin stellt die These auf, dass potenzielle Bäuerinnen und Bauern heute aufgrund ihrer Geschlechtsidentität und ihrer Sexualität vonder Landwirtschaft abgehalten werden. Gründe dafür: In den Medien und der Politik würden klassische heterosexuelle Familienbetriebe zelebriert und in der Schule, in landwirtschaftlichen Organisationen und in anderen Institutionen herrsche teilweise Diskriminierung.

Sexualität verstecken

Prisca Pfammatter erfuhr, dass diese Diskriminierung verschiedene Formen haben kann. Sie hörte davon, dass die eigene Sexualität vor anderen Bauernfamilien oder in der Landwirtschaftsschule versteckt oder auf die Frage danach ausweichend geantwortet wurde («ich bin in einer Beziehung»). Selbst die heterosexuelle Lernende des einen Betriebs habe ihr gesagt, dass man ihr die Lehre nicht zugetraut hätte oder sie gegenüber den männlichen Lernenden Nachteile erfahre. Einen Schulbesuch zusammen mit der jungen Frau an einem landwirtschaftlichen Bildungszentrum in einem katholischen, eher konservativen Gebiet fand Prisca Pfammatter ziemlich abschreckend – Welten prallten aufeinander.

Als gute Hausfrau taxiert

«Ich lebe in einer Blase, in der feministische Themen und Genderfragen sehr verbreitet sind.» An der Landwirtschaftsschule sei sie sich vorgekommen wie ein Objekt, schreibt sie in ihrer Arbeit, «eine Aussenseiterin, über die geredet wird, aber mit der man nicht spricht». Sie hätte das Gefühl gehabt, nur dahingehend taxiert zu werden, ob sie eine gute Hausfrau für einen Betrieb abgeben würde, schildert sie. Später habe sie aber erfahren, dass es durchaus auch anders sein könne und es gerade in der Bioausbildung viele Frauen habe.

Schere im Kopf

Auch eigene Unsicherheiten beschäftigten Prisca Pfammatter, wie sie in ihrer Arbeit schreibt, etwa als sie sich für die Arbeit auf dem ersten Betrieb bereit macht: «Was soll ich anziehen? Ich trage Jogginghosen, unangebracht, zu feminin. Ich fühle alle Blicke auf meinen Beinen. Ich bin sicher, dass ich zu feminin aussehe. Als ich auf dem Hof ankomme, binde ich meine Haare zusammen und trage meinen ältesten Pullover. Ich bewege mich männlicher.» Wie kam es zu diesen Gedanken? Sie hat schon auf verschiedenen Höfen im Tessin mitgearbeitet. «Ich musste dabei immer aufpassen, was ich anziehe, sonst kamen Kommentare. Irgendwie passt es nicht, sich feminin anzuziehen, wenn man auf einen Hof geht. Oder wenn man sich zu maskulin gibt, ist man automatisch lesbisch.»

Alle sollen alles dürfen

Für die Zukunft der Schweizer Landwirtschaft wünscht sich Prisca Pfammatter: «Dass niemand Angst hat, wenn man bei einer Person nicht sagen kann, ob das eine Frau oder ein Mann ist. Dass alle alles machen können und dürfen. Aber dafür braucht es noch viel.» Dafür müsse nicht nur auf den Höfen noch viel passieren, sondern auch in Ausbildung, Verbänden und Politik. Ende März wird sie ihre Arbeit an der vierten internationalen deutschsprachigen Konferenz «Frauen in der Landwirtschaft» vorstellen. Danach möchte sie weiter in dem Themengebiet Sexualität, Gender und Landwirtschaft forschen.