Da ich meine Kindheit im Kanada der 60er-Jahre verbracht habe, bringe ich mit dem Wort Halloween im Gegensatz zu vielen Schweizern nur schöne und freudige Erinnerungen in Verbindung. So bastle ich emsig mit den Enkelkindern schwarze Spinnennetze aus Abfallsäcken und schnitze Fratzen in Kürbisse. So wie wir es auch als Kinder in Kanada gemacht haben.
Kostüme selbst gebastelt
Masken zeichneten wir damals auf braune Papiersäcke und suchten Stoffe und Vorhänge für Kostüme. Die Kostüme mussten unter oder über unsere warmen Winterkleider und Stiefel passen. Am Halloween-Abend fuhr unser Vater mit uns zu unseren Nachbarn für das «trick or treat» (im deutschsprachigen Raum «Süsses, oder es gibt Saures», Anmerkung der Redaktion). Fast immer war es schon recht kalt. In meinen Erinnerungen schneite es oft das erste Mal pünktlich zu der Zeit, als wir uns in den Pick-up drängten. Mom blieb zu Hause, um anderen Kindern Süssigkeiten zu verteilen.
Damals war noch keine Strasse geteert. Dad fuhr bei den Nachbarn vor, wir stiegen aus, rückten unsere Kostüme etwas zurecht und klopften aufgeregt an der Tür. «Trick or treat!», riefen wir aus, als die Tür aufging. Würden sie uns erkennen? Wenn nicht, waren unsere Kostüme wirklich gelungen! Klar kannten sie uns – sie mussten ja nur auf das Auto schauen oder auf die Anzahl und Grösse der Kinder. Aber meist gaben sie sich überrascht: «Ja, wer könnte das denn sein?» Dann steckten sie uns etwas Süsses in unsere wiederum meist braunen Papiersäcke.
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Von Farm zu Farm
Am liebsten gingen wir zu Frau Parker oder ihrer Tochter Marlyse. Die machten fast immer diese gewaltig leckeren «Caramel Popcorn Balls». Da vermischt man Popcorn und eine Caramelsauce und formt sie zu Kugeln. Das klebt zwischen den Zähnen und ist total lecker! Die Junggesellen Bob Hall und Stanley Kemp verlangten immer zuerst ein Lied, ehe sie uns etwas in die Säcke gaben. Wir Lehmanns waren bekannt dafür, dass wir gut singen konnten. Bei Stanley kam Dad auch mit hinein auf einen kleinen Schwatz und ermutigte uns zum Singen. Er freute sich halt an seinen Töchtern.
Natürlich bettelten wir unseren Vater immer an, noch zu einem weiteren Nachbarn zu fahren. Die Häuser waren ja nicht so nahe beieinander. Damals hatte es noch mehr Farmen als heute, aber jeder Nachbar war mindestens einen Kilometer oder sogar mehrere vom nächsten entfernt. Eine Halloween-Fahrt zog sich so über eine grössere Distanz und Zeit. Eigentlich finde ich es sehr lieb von meinen Eltern, dass sie so mitmachten bei einer Tradition, die ihnen so fremd war. Kamen wir heim, wurde die «Beute» auf dem Tisch ausgekippt und verglichen. Wir fanden fast alles sehr lecker, denn solche Süssigkeiten waren bei uns nicht Alltagsware. Nur die schwarze Lakritze, die klebte noch tagelang auf dem Boden, die gewann keine von uns lieb.
Jahre später, als ich mit meinem Mann und Kindern erneut nach Kanada auswanderte, durfte ich meine eigenen Kinder mit ihrer Freunde an Halloween herumchauffieren. Wieder waren die Kiesauffahrten mit nassem Schnee bedeckt, die Stiefel brachten eine Menge Dreck in den Pick-up. Das gehörte einfach dazu. Als unser jüngerer Sohn zu alt wurde für das Einsammeln von Süssigkeiten, also mit etwa zwölf Jahren, wechselte er mit seinen Freunden zu den «Tricks», den Streichen. Zum Beispiel umwickelten sie die Briefkästen von Nachbarn mit Toilettenpapier. Wahrscheinlich fuhr sie ein älterer Bruder herum, der dafür Verständnis hatte.
Viel zu tun vor dem Winter
Auf der Farm in Cecil Lake, BC, gab es noch einiges zu tun, ehe der Schnee fiel. Es war immer ein Wettlauf mit der Zeit, die Ernte, die Feldarbeiten und den Garten einzubringen und bereitzumachen. Wenn es dann so richtig kalt wurde und der Schnee einsetzte, war es damit vorbei bis im April. Im Herbst 1964 kaufte mein Vater einen Dreischarpflug.
Er schreibt, dass er diesen erst kennenlernen musste, um ihn richtig einzustellen. Er war an den Wendepflug aus der Schweiz gewöhnt, dieser neue war ein Beetpflug. Der Boden war hart und trocken, die Scharen wollten da nicht recht hineindringen. Aber es gelang ihm, einen grossen Teil der abgeernteten Felder noch zu pflügen. So hatte er einen Vorsprung für die Saat im Frühling, der ihm im vergangenen Frühjahr gefehlt hatte. Schon wieder ein Fortschritt.
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Andere Regeln
Unser Nachbar Bill Edwards half Dad beim Zäunen. Als mein Vater den Zaun zu nahe an der Strasse bauen wollte, hatte Bill nicht so Freude. Erst später sollte Dad begreifen, weshalb. Der Strassengraben, der dort breit und wenig steil war, hat ja einiges an Fläche für Gras. Aus dem Thurgau war Dad gewohnt, bis an den Strassenrand zu weiden. Man konnte doch in diesem trockenen Land das schöne Gras nicht vergammeln lassen!
In Kanada gehört der Strassengraben dem Staat. In trockenen Jahren sieht man es aber immer wieder, dass Farmer den Strassengraben heuen, aber Zäune sieht man fast nie. Als Dad wieder einmal in so einem trockenen Sommer den Strassengraben mit einem verstellbaren elektrischen Zaun verbaute, wurde Nachbar George Schweiger böse. Er war es gewohnt, da mit seinem Pferd durchzureiten auf dem Weg zum Laden und wieder zurück. Es war ja auch nicht einfach, diesem Schweizer Einwanderer, der noch kaum Englisch verstand, seine Pflichten klarzumachen.
Zur Person:
Marianne Stamm ist 1963 fünfjährig mit den Eltern vom Thurgau nach Cecil Lake ausgewandert. Dort, weit nördlich im kanadischen British Columbia ist sie auf einer Pionierfarm aufgewachsen, welche zu einer stattlichen Milchfarm heranwuchs. Als ältestes von sieben Geschwistern kam sie mit 21 zurück in die Schweiz. Gemeinsam mit ihrem Mann Robert bewirtschaftete sie für zwölf Jahre den Emmerhof in Schleitheim SH.[IMG 4]
Ende 1991 wanderte die Familie mit den zwei Söhnen (10- und 11-jährig) ein zweites Mal nach Kanada aus. Nördlich von Edmonton bewirtschafteten Stamms eine 580-ha-Getreidefarm. Sie fingen wie schon die Eltern noch einmal bei null an, und doch ganz anders. Weil keiner der Söhne die Farm übernehmen wollte, wurde sie 2006 verpachtet. Seit 2012 ist die regelmässige BauernZeitung-Mitarbeiterin wieder in Schleitheim zu Hause. Die Kinder und Enkel halten sie hier.