«Die Landwirtschaft wird die grosse Verliererin sein», ist Gemüsebauer Hans Graf überzeugt. Im Rheintal sei es immer wieder zu Verlust von Kulturland gekommen, auch weil sich die Gegend in den letzten Jahren wirtschaftlich stark entwickelt hat. «Doch handelt es sich hier um 140 Hektaren auf einmal, das ist ein harter Schlag.» Graf spricht vom Hochwasserschutzprojekt Rhesi, welches das obere Rheintal betrifft. Genauer gesagt, von der Illmündung auf der Höhe zwischen Oberriet und Rüthi bis zum Bodensee, wo der Rhein auf einer Strecke von 26 Kilometern aufgeweitet werden soll.
Nur noch einjährige Verträge
Hans Graf ist selbst betroffen: Sein Gemüsebetrieb befindet sich in Oberriet in Rheinnähe. 9 von 30 Hektaren Land, die er gepachtet hat, liegen im Rheinvorland, zwischen dem Damm und dem Rhein, und gehören der Internationalen Rheinregulierung (IRR). Diese Flächen werden von Milchbauern aus der Gemeinde bewirtschaftet. Graf baut im Abtausch auf deren Land Gemüse an. Dies war bis anhin für alle Beteiligten eine ideale Lösung.
[IMG 2]
Doch die IRR hat die langfristigen Pachtverträge bereits gekündigt. Erneuerungen gibt es jeweils nur noch auf ein Jahr befristet, und ab Baubeginn ist auch damit Schluss. Dann fällt das Pachtland im Rheinvorland weg und somit auch der Landabtausch mit den Milchbauern.
Keine Etappierung vorgesehen
Hans und Irene Graf können auf eine lange Betriebsgeschichte zurückblicken: Auf dem Feldhof, welcher der politischen Gemeinde Oberriet gehört, fingen sie 1988 als Betriebsleiterpaar an. Nach zehn Jahren konnten sie den damaligen Milchvieh- und Ackerbetrieb in Pacht übernehmen. Im Jahr 2000 stellten sie die Tierhaltung ein und setzten fortan auf Gemüseanbau.
Das Ehepaar Graf fand einen ersten Grosshändler als Abnehmer und begann, mit anderen Bauern Anbauverträge abzuschliessen. Der eigene Betrieb, der im Laufe der Jahre angewachsen ist, dient als Zentrale, in dem das Gemüse gewaschen, gerüstet und verpackt wird. Heute arbeitet der Feldhof mit rund 80 Produzenten zusammen. «Damit haben wir eine Ausweichmöglichkeit, wenn wir einen Drittel unseres Pachtlandes verlieren», sagt Hans Graf. «Auf den Eigenanbau sind wir dennoch angewiesen, da wir auf diesen Flächen gemeinsam mit Züchtern und Forschungsanstalten Sortenversuche durchführen.»
Bodenverbesserer aus Sedimenten
Auch das Hochwasserschutzprojekt Rhesi hat eine lange Geschichte. «2012 wurden wir zu einer ersten Sitzung eingeladen, an welcher das Konzept präsentiert wurde.» Daraufhin hätten die Pächter gemeinsam die IG «Pro Kulturland und Hochwasserschutz am Alpenrhein» gegründet. Sie seien von der Rhesi-Projektleitung immer gut informiert worden, so Graf. Man habe Inputs geben können, zudem seien die am meisten betroffenen Betriebe einzeln betrachtet worden. «Doch auf unsere Anliegen wurde nicht eingegangen», sagt der Rheintaler, inzwischen Präsident der IG. Eine Forderung lautet, das Aushubmaterial aus dem Rheinvorland als Bodenverbesserer für Fruchtfolgeflächen in der Region einzusetzen. Doch die Übernahme der Kosten durch das Rhesi sei nicht abschliessend bewilligt worden. Graf meint dazu: «Das wäre doch lächerlich wenig im Vergleich zu den 1,4 Mrd. Franken, die für das Rhesi gesamthaft veranschlagt sind.» Dazu sagt Markus Mähr, Rhesi-Gesamtprojektleiter, im Hochwasserschutzprojekt sei vorgesehen, das Material der Vorländer abzuschwemmen. «Wir sorgen dafür, die Optionen für die landwirtschaftliche Nutzung dieser Feinsedimente offenzuhalten.» Doch die Finanzierung könne das Rhesi nicht tragen, dies obliege dem Bund, dem Kanton und den Gemeinden.
Sanierung wäre dringender
Die IG fordert zudem, das Land bis zur jeweiligen Bauetappe weiterhin bis anhin zu bewirtschaften können. So wie es auf der österreichischen Seite des Rheins vorgesehen ist. Mit dem schweizerischen Gesetz der Gewässerraumausscheidung sei dies jedoch nicht möglich. Demnach erfolge die Extensivierung des betroffenen Rheinvorlands auf einmal. «Aber bei einem Generationenprojekt müsste dies doch möglich sein», so der Präsident. Anstatt den Betroffenen während der Bauzeit von gut 20 Jahren Zeit zur Anpassung zu geben, werde hier auf einen Schlag eine grosse Anzahl an Härtefällen geschaffen.
Er betont, er sei nicht gegen den Hochwasserschutz, im Gegenteil. «Bereits seit ein paar Jahren ist bekannt, dass die alten Dämme den Anforderungen nicht mehr genügen.» Diese müsste man sofort sanieren. «Das wäre viel dringender als die Revitalisierung und Ökologisierung des Rheins.» Die Bewirtschaftung entlang des Rheins erfolgt laut Graf seit Jahrzehnten im Sinne des Hochwasserschutzes. So ist die Grasnarbe geschlossen zu halten, das Land direkt entlang der Dämme wird nicht beweidet und das Gras muss hoch gehalten werden.
Die Ungewissheit bleibt
Der Gemüsebauer stört sich zudem daran, dass für den Verlust des Pachtlandes kein Ersatz vorgesehen ist. Von dem Gesamtverlust von 140 Hektaren Kulturland sind insgesamt 30 Pächter betroffen. Einige davon trifft es besonders hart, sie verlieren bis zu über 50 Prozent ihrer landwirtschaftlichen Nutzfläche. «Dabei will niemand die Verantwortung übernehmen, nicht einmal im moralischen Sinn», stellt Graf fest. «Es wäre etwas anderes, wenn man sich gemeinsam an einen Tisch setzen und Lösungen suchen würde.» Aber dies ist bis heute nicht passiert.
Schwierig ist für die beteiligten Landwirtschaftsbetriebe auch die Ungewissheit. Das Projekt zieht sich seit Jahren hin: «Sicher ist, Rhesi wird dereinst umgesetzt, nur weiss niemand, wann.» Er selbst geht in zwei, drei Jahren in Pension. Dann werden seine Frau und er den Betrieb an Mitarbeiter weitergeben.
Die BauernZeitung thematisiert in der losen Serie «Kulturland unter Druck» den Kulturlandverlust in der Ostschweiz. Wir zeigen pro Kanton auf, bei welchen Projekten in den nächsten Jahren Land der Produktion entzogen wird, und besuchen jeweils einen betroffenen Bauernbetrieb. Alle vorherigen Artikel finden Sie im Dossier.
Beispiel 1: Rhesi
Mit dem Projekt «Rhesi» (Rhein – Erholung – Sicherheit) soll die Abflusskapazität des Rheins erhöht werden, um den Hochwasserschutz im St. Galler und Vorarlberger Rheintal zu verbessern. Dazu sind Dammsanierungen und eine Aufweitung des Rheins auf einer Länge von 26 Kilometern, zwischen der Illmündung und dem Bodensee, geplant. Für die Landwirtschaft bedeutet dies, dass rund 140 Hektaren Kulturland, das bis anhin von 30 Betrieben gepachtet wurde, verloren gehen. Bei dem Projekt, das die Schweiz und Österreich gemeinsam lanciert haben, wird mit Kosten von 1,4 Mrd. Franken gerechnet. Die Planungsarbeiten für das «Rhesi» laufen seit 2011. Derzeit befinden sich der Staatsvertragsentwurf und das technische Projekt in Überarbeitung. Mit dem Baubeginn ist gegen Ende des Jahrzehnts zu rechnen. Eswird von einer Bauzeit von mindestens 20 Jahren ausgegangen.
Beispiel 2: Wilwest
Zwischen Wil und den beiden Thurgauer Gemeinden Sirnach und Münchwilen ist ein Industrie-Areal mit bis zu 3000 Arbeitsplätzen geplant. An dem Projekt «Wilwest» wollen sich nebst den beiden Kantonen 23 Gemeinden der Region beteiligen. Dabei sollen insgesamt 18 ha Kulturland, grössenteils Fruchtfolgeflächen, überbaut werden. 12 ha betreffen den Kanton St. Gallen. Dieses Land wurde bis anhin als Gebrauchsleihe bewirtschaftet, es bestehen keine Pachtverträge. Im letzten September lehnte das St. Galler Stimmvolk einen 35-Millionen-Sonderkredit für «Wilwest» ab. Die Regierungen der beiden Kantone liessen daraufhin verlauten, man wolle am Projekt festhalten, dabei jedoch die Nachhaltigkeit stärker gewichten. Nebst dem Verlust an Kulturland wurde Kritik laut, dass der Kanton St. Gallen die 12 ha Bauland zu einem Spottpreis von 3 Mio. Franken an den Kanton Thurgau verkaufen will. Darüber soll in nächster Zeit entschieden werden.
Beispiel 3: Thursanierung
Um die Hochwassersicherheit zu verbessern, plant der Kanton St. Gallen zusammen mit der Gemeinde Wattwil in der Region die Sanierung des 100-jährigen Thurbauwerks. Dieses wurde vor gut 100 Jahren im Rahmen der Thurkorrektion gebaut und ist teilweise stark beschädigt. Beim Sanierungsvorhaben sollen unter anderem der Flussraum verbreitert sowie die Uferverbauungen erneuert werden. Gesamthaft muss mit einem Verlust von 6 Hektaren Kulturland gerechnet werden. In einer ersten Etappe soll der Abschnitt oberhalb der Brücke Waisenhausstrasse auf einer Länge von 400 Metern saniert werden, mit einer Verbreiterung der Thur auf bis zu 40 Metern. Die «Interessengemeinschaft vernünftiger Hochwasserschutz» kritisiert den hohen Verbrauch an Kulturland. Zudem befürchtet sie, dass sich das Flussbett infolge der Verbreiterung in eine Steinwüste verwandelt, welche die Hitze abstrahlt.
