Hansueli Zähner arbeitet seit 45 Jahren auf seinem Landwirtschaftsbetrieb. Auf 1000 Metern über Meer bewirtschaftet er in Rehetobel AR einen typischen Appenzeller Grünlandbetrieb mit braunen Milchkühen. 45 Jahre lang geht für Zähner alles gut, bis er im letzten Winter an seine Grenzen kommt.

Es geht nicht mehr

Ihn schmerzt schon längere Zeit der Rücken, aber so stark wie jetzt hat es ihn bisher noch nie getroffen.

«Jetzt muss ich handeln», sagt sich Hansueli Zähner. Er hat sich bisher wenig Gedanken darüber gemacht, wie es mit seinem Hof weitergehen und wer den Betrieb künftig weiterführen würde, doch jetzt drängt die Zeit. Seine beiden Kinder sind jung, absolvieren eine Lehre ausserhalb der Landwirtschaft. Eine andere Lösung muss her.

Hansueli Zähner wendet sich an Ueli Rindlisbacher von der Stiftung zur Erhaltung bäuerlicher Familienbetriebe. Ueli Rindlisbacher ist ein moderner «Matchmaker» und selbst Landwirt. Sein Job bei der Stiftung ist es, Betriebsleiter ohne Hofnachfolge mit Betriebsleitern ohne Hof zusammenzuführen – eine delikate Angelegenheit. Denn Landwirtschaftsland ist ein begehrtes Gut in der Schweiz. Spricht sich herum, dass ein Betrieb über keine Nachfolge verfügt oder gar aufhört zu existieren, beginnt zugleich der «Run», also das Interesse an den Flächen des Betriebs.

[IMG 3]

Erhalt von Familienbetrieben

Laut dem Bundesamt für Statistik hören jährlich etwa 900 Betriebe auf zu existieren. Ihre Flächen fallen anderen Betrieben zu, die wachsen, grösser werden und sich professionalisieren. Der familiäre Betriebscharakter des Schweizer Landwirtschaftsbetriebes geht unweigerlich immer mehr und mehr verloren.

Es spricht sich rasch herum, wenn ein Betriebsleiter aufhören möchte und keinen Nachfolger hat. Erfahrungsgemäss geraten dann die Pachtflächen zuerst unter Druck, oft nutzen andere Landwirte die Gunst der Stunde und werben sie ab.

Fallen die Pachtflächen weg, ist es häufig schwierig, einen Betrieb noch als Vollerwerbsbetrieb zu führen.

Abo Ueli Rindlisbacher ist Landwirt und arbeitet bei der Stiftung zur Erhaltung bäuerlicher Familienbetriebe. Stiftung zur Erhaltung bäuerlicher Familienbetriebe Ueli Rindlisbacher bringt als «Matchmaker» Hofsuchende und Hofabtretende zusammen Tuesday, 14. January 2025 Genau das möchte die Stiftung, deren oberstes Ziel seit 1985 der Erhalt der bäuerlichen Familienbetriebe ist, verhindern. «Wir garantieren den Betriebsleitern, die sich bei uns melden, absolute Diskretion», sagt Ueli Rindlisbacher.

Meldet sich ein Landwirt ohne Betriebsnachfolge bei ihm, erfasst Rindlisbacher dessen Betrieb im System. Anschliessend schaut er in seiner Kartei nach, mit welchen Betriebsleitern es «matchen», also funktionieren, könnte.

Genau wie ein Betrieb ohne Nachfolge, kann sich auch ein Betriebsleiter ohne eigenen Hof bei Ueli Rindlisbacher melden.

Der Traum vom eigenem Hof

Der Wunsch nach einem eigenen Betrieb in der Schweiz ist gross. Jährlich schliessen mehr als 3000 Auszubildende ihre Lehre zum Landwirt ab, viele von ihnen träumen vom eigenen Hof. Weil das Angebot aber knapp ist, wechseln sie die Branche oder suchen und warten jahrelang auf ihr Glück.

Matthias Kern träumt schon immer von einem eigenen Hof. Das «Bauern» kommt aber für seinen Vater nicht als erste Ausbildung in Frage, da es in der Familie keinen landwirtschaftlichen Betrieb gibt. «Zu hart die Arbeit, zu gering der Lohn,» sagt dieser. Darum lernt Matthias Kern nach der Schule zuerst Polymechaniker. Seine Leidenschaft für die Landwirtschaft lebt er in seiner Freizeit aus: Dann züchtet Kern Kaninchen und Schafe und hilft immer wieder auf Höfen in der Nachbarschaft aus.

Weil ihn sein Traum nicht loslässt, folgt nach der LAP noch eine Zweitlehre als Landwirt, später absolviert er das Agronomiestudium an der HAFL in Zollikofen BE und fängt schliesslich beim Landwirtschaftlichen Zentrum in Salez SG als Futterbau- und Alpwirtschaftsberater an.

«Für meinen Vater war ich ein gemachter Mann», sagt Kern. Darunter versteht dieser eine Festanstellung beim Kanton, ein gutes Gehalt und genügend Freizeit.

Sein Wunsch nach einem eigenen Betrieb steckt aber immer noch in seinem Kopf. Häufig fährt Matthias Kern nach der Arbeit noch zu befreundeten Landwirten, hilft aus, im Kuhstall und auf dem Feld – mit einem eigenen Betrieb will es jedoch nicht so recht klappen.

Komm wir machen Nägel mit Köpfen.»

Nach kurzer Zeit weiss Hansueli Zähner, dass Matthias Kern der Richtige für seinen Betrieb ist.

Nachbarn, die sich nicht kannten

Schliesslich meldet sich Matthias Kern irgendwann bei der Stiftung zur Erhaltung bäuerlicher Familienbetriebe und reicht bei Ueli Rindlisbacher sein Dossier mit Lebenslauf und seinen bisherigen Erfahrungen ein.

«Eigentlich hätte ich die Stiftung gar nicht gebraucht», sagt Hansueli Zähner, als er das Dossier von Matthias Kern in den Händen hält. Denn eigentlich weiss Zähner, wer Kern ist. Beide stammen aus demselben Dorf, kennen sich aber nicht besonders.

Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass beide in der gleichen Partei waren und derselben Leidenschaft, nämlich die der Schweizer Volksmusik, nachgehen. Hansueli Zähner spielt Schwyzerörgeli, Matthias Kern spielt Bassgeige.

«Ich kann den Betrieb pachten»

«Das ist ein bodenständiger Mann, der würde mir als Nachfolger gefallen», denkt Zähner, als er das Dossier von Kern durchblättert. Er ruft ihn an und die beiden vereinbaren, dass Kern bei Zähner vorbeikommt, um dessen Betrieb anzuschauen. Am selben Nachmittag sitzen sie schliesslich zusammen an den Tisch und Zähner sagt zu Kern: «Komm, wir machen Nägel mit Köpfen.»

Von da an geht es schnell: Sobald Kern Zeit hat, hilft er bei Zähner auf dem Betrieb aus, Mitte März zieht Kern auf den Hof. Seine Partnerin, Sandra Graf, die Matthias Kern mit der Whatsapp-Nachricht «Ich kann den Betrieb pachten» überrascht, zieht aus St. Gallen zu ihm. «Für mich war klar, dass ich da mitziehe», sagt Sandra Graf, die selbst in einer Bauernfamilie im benachbarten Heiden aufwuchs.

[IMG 4]

Ein Haus, zwei Wohnungen

Seitdem lebt das junge Paar mit Hansueli Zähner im gleichen Haus, jedoch in getrennten Wohnungen und mit getrennten Eingängen. «Das ist ein absolutes Muss, damit sowas klappt», sagt Zähner.

Ebenfalls mit auf den Hof ziehen Matthias Kerns zwei Katzen, 15 Schafe, eine Kuh, zwei Kälber und seine 50 Kaninchen – er züchtet seit 24 Jahren. Zurzeit sind dies zwei Rassen: das schachbrettfarbene Japanerkaninchen und das schneeweisse, englische Hermelinkaninchen mit seinen typischen rosaroten Glubschaugen, die wie Zuckerwatte leuchten.

Anfang Mai kauft Kern die Kühe und Maschinen von Zähner ab und pachtet den Betrieb offiziell. Für Matthias Kern wird schliesslich der langjährige Traum vom eigenen Betrieb zur Wirklichkeit. «Ein Riesenglück, denn hier bin ich verwurzelt», sagt er und zeigt mit der einen Hand nach rechts. «Dort, in 500 m Entfernung, wuchs meine Grossmutter auf.» Mit der anderen Hand zeigt er nach links: «Und 300 m in diese Richtung mein Grossvater. Und in Richtung Osten mein anderer Grossvater.»

Auch für Hansueli Zähner stimmt es. Sein Wunsch, den Betrieb als Ganzes zu erhalten und an eine junge Familie zu verpachten, geht ebenfalls in Erfüllung.

«Wissen, was man will»

Was braucht es, damit die ausserfamiliäre Hofübergabe gelingt? «Ich fokussiere mich auf das, was stimmt. Man muss auch mal auf jeder Seite ein Auge zudrücken können» sagt Hansueli Zähner und meint damit hauptsächlich Toleranz. Denn kommt ein neuer Betriebsleiter auf den Hof, können die Ideen, wie der Betrieb sich weiterentwickelt, schnell auseinander gehen.

Es ist darum wichtig, zu wissen, was man möchte. Man müsse das, gerade im Gespräch, auch so kommunizieren, rät Matthias Kern. Auch empfiehlt er, sich vor der Hofsuche auf Weiterbildungen zu fokussieren, beim Suchen nicht die Geduld zu verlieren und nicht gerade den ersten, sondern den richtigen Betrieb zu nehmen. «Ich bin schon ins Berner Oberland gefahren, um Betriebe anzuschauen, aber da stimmte einfach das Bauchgefühl nicht», sagt Kern.

Kern stellt den Betrieb ab diesen Januar 2025 auf Bio um. «Wenn ich noch jung wäre, hätte ich ebenfalls auf Bio umgestellt», sagt auch Hansueli Zähner.

[IMG 2]

Details, die zusammenschweissen

Bei der Tierzucht sind sich Pächter und Verpächter nicht einig, da Zähner grossrahmige Brown-Swiss-Kühe bevorzugt. Kern setzt jedoch auf kleinrahmige, weidetaugliche Kühe, welche die IG «Neue Schweizerkuh» empfiehlt. Des Weiteren kreuzt er diverse Rassen ein. Sein Ziel ist eine weidetauglichen Bio-Kuh, die ohne Kraftfutter und mit Silagefütterung 6000 kg Milch gibt.

Redet Hansueli Zähner ihm da noch hinein? «Wir sprechen über alles und ich bin froh über Ratschläge», sagt Matthias Kern. Im Alltag schweissen schliesslich kleine Details den neuen und alten Betriebsleiter zusammen: «Im Melkstand des Hofs Langenegg läuft Radio Eviva und keine Rockmusik», sagen Zähner und Kern.

Es sei schliesslich auch die gleiche Wellenlänge gewesen, die für Matthias Kern den Ausschlag gegeben habe, das Angebot von Hansueli Zähner anzunehmen und auf 1000 Metern über Meer den Hof Langenegg zu bewirtschaften. «Ich habe mit dem Hof nicht nur einen Betrieb erhalten, sondern auf eine Art einen neuen Götti gewonnen», sagt Kern.