Während ich diese Kolumne schreibe, liegt eine Freundin meiner Tochter in den Wehen. Tönt schrecklich: in den Wehen liegen. Dabei freut sich die junge Familie auf ihr erstes Kind, auf die Zukunft mit ihrem Mädchen.
Im Jahr 2050, wenn die Schweiz CO2-neutral sein sollte, wird das heutige Neugeborene zu einer 27-jährigen Frau herangewachsen sein. Im Jahr 2100 wird die dannzumal 77-jährige Frau überprüfen können, ob das Ziel, dass sich die Erde im Vergleich zu 1850 nur um 1,5 Grad bis maximal 2 Grad erwärmen soll, eingehalten worden ist.
Dürre und Hitzetote
Vielleicht werden Hitzewellen und Dürren, Starkregen und Überflutungen, steigende Meeresspiegel und dadurch überschwemmte Städte und Landregionen zum Alltag der heranwachsenden und älter werdenden Frau gehören. Vielleicht wird sie sich daran gewöhnen, dass etwa jeder zweite Sommer ein Rekordsommer werden wird. Ausgetrocknete Böden werden dann kaum noch die Möglichkeit haben, sich zu regenerieren. Besonders die Landwirtschaft wird das hart treffen. Und im Sommer wird mehr gestorben werden: Die Anzahl Hitzetote wird vermeldet werden wie heute die Länge der Staus vor dem Gotthard.
Da weltweit immer mehr Menschen um immer weniger Ressourcen konkurrieren werden, wird das Leben allgemein viel unruhiger sein: Konfliktherde, Migration, Hunger – die 77-Jährige wird im Jahr 2100 ein stabiles Nervensystem brauchen, um nicht zu verzweifeln.
An die Wand gefahren
Manchmal plagt mich heute der Gedanke, dass wir die Welt in unserer Masslosigkeit schon lange an die Wand gefahren haben. Nicht für uns, aber für die Nachgeborenen; für das Mädchen, das jetzt gerade geboren wird.
Vermutlich in vier Jahren wird die Kleine in den Kindergarten kommen. Spätestens dort wird sie lernen, dass es Grenzen gibt. Spielerisch wird sie erfahren: «Die Freiheit besteht darin, dass man alles tun kann, was einem anderen nicht schadet.» (Matthias Claudius)
Vermutlich werden Eltern und Lehrpersonen auch mal mit Nachdruck den Sinn dieses Zitates einfordern. Ein Nein, ein Verbot, eine Einschränkung gehören zum Grenzensetzen.
Ich frage mich, wann das heute Neugeborene sich die Frage stellen wird, ob wir alle den Kindergarten verpasst haben.