Was eine Gemeinde neben der Hauptstadt derzeit erlebt, ist symptomatisch für reiche Gemeinden in Grossstadtnähe. «Arme Gemeinden sind froh, dass die Bauern im Dorf bleiben und das Land noch bewirtschaftet wird, Arbeitsplätze vorhanden sind und nicht alle in die Stadt abwandern», weiss Hannah von Ballmoos-Hofer vom Schweizer Bauernverband (SBV). Sie war am 21. Oktober 2021 Gast am Podium auf dem Hof Bodenacker in Muri b. Bern, das der ehemalige Landwirt und SVP-Politiker Hans Aeschbacher organisiert hatte.
So füllte sich die Futtertenne der Familie Matter an jenem Abend nicht mit Heu, sondern mit Besucherinnen und Besuchern. Am Podium wurde über das Postulat Meichtry und Grossenbacher (Zukunft der gemeindeeigenen Landwirtschaftsbetriebe und -flächen) debattiert, das den Bauernfamilien, aber auch anderen, schwer im Magen liegt, wie sich an diesem Abend zeigte.
Es handelt sich um einen unechten Vorstoss
Hans Aeschbacher, der selber am Podium teilnahm, bemängelt nicht nur den Inhalt, sondern auch die Form des Postulats, bei dem es sich um einen unechten Vorstoss handle, wie der ehemalige Berner SVP-Grossrat sagt. «Der Inhalt eines Postulats müsste geprüft werden, was in diesem Vorstoss nicht der Fall ist», so Aeschbacher. [IMG 2]
Mehr Erlebnisse vermitteln
Worum geht es? Die beiden Mitglieder des Grossen Gemeinderates von Muri b. Bern, Helena Meichtry und Franziska Grossenbacher (beide Grüne), fordern in ihrem Vorstoss eine Umstellung der Landwirtschaftsbetriebe im Besitz der Gemeinde auf eine «naturnahe Produktion», in der die Biodiversität auf den Flächen und Betrieben gefördert wird. Zudem sollten ihrer Ansicht nach künftig die Vermittlung von Erlebnissen und Erfahrungen aus Natur und Landwirtschaft im Zentrum stehen. Die Quartierbevölkerung solle aktiv in die Landwirtschaft einbezogen werden, fordern die beiden. Dabei lassen sie ausser Acht, wie am Abend mehrfach deutlich wurde, dass es für das Bewirtschaften von Höfen nicht nurguten Willen, sondern auch eine Ausbildung braucht, und Erfahrung im Zusammenhang mit zuweilen gefährlichen Arbeiten ebenso hilfreich wie notwendig ist.
Klare Pläne ohne Bauer Matter
Mit dem Betrieb Bodenacker, den Andreas Matter von der Gemeinde Muri in Pacht hat, haben die Politikerinnen bereits konkrete Pläne gemacht. «In Anbetracht des baldigen Endes der Pacht beim Betrieb Bodenacker ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um neue Nutzungs- und Betriebskonzepte zu entwickeln», ist dem Postulat zu entnehmen. Doch von diesem Ende der Pacht war der Familie Matter bislang nichts bekannt, was daher auch im Vorfeld an das Podium für rote Köpfe sorgte. «Man ist sich so einiges gewohnt», äusserte schliesslich Landwirt Matter.
Ihm ist die Entfremdung der Bevölkerung von der Lebensmittelproduktion bewusst. So müsse er regelmässig Leute daraufaufmerksam machen, dass die Weiden seiner Mutterkühe kein Allgemeingut seien und das Betreten unter Umständen sehr gefährlich sei. Matter berichtete noch von weiteren ähnlichen Konflikten, was schliesslich in der Diskussion Hauptthema des Abends war.
Besser an einen Tisch sitzen
Dem Bauernverband ist dieses Thema sehr geläufig. Hannah von Ballmoos-Hofer riet daher am Abend den Politikerinnen, statt den Weg über ein Postulat zu wählen, mit den Bauernfamilien an einen Tisch zu sitzen und konkrete Wünsche oder Vorstellungen zu formulieren. Im Naherholungsraum würden vieleunterschiedliche Bedürfnisse aufeinanderprallen. Hier sieht die Ökonomin umso mehr Bedarf, das Gespräch miteinander zu suchen, statt über den politischen Weg zu agieren.
Die Gemeinde hat keine konkreten Pläne zur einer Neugestaltung
Angefragt auf konkrete Zukunftspläne mit den Höfen der Gemeinde, erklärte die zuständige Gemeinderätin und ebenfalls Podiumsteilnehmerin Gabriele Siegenthaler Muinde, dass man an den Pachtverhältnissen mit den Betriebsleitenden von Muri b. Bern festhalten wolle. Sollte sich konkret etwas ändern und wolle man entsprechende Projekte, wie sie im Postulat genannt werden, umsetzen, wären Partnerschaften mit entsprechenden Trägervereinen nötig. Auf eigene Faust seien solche Projekte für die Gemeinde aber nicht umsetzbar.
Gemeinsam statt einsam entwickeln
Natürlich nahm auch eine der beiden Motionärinnen am Podium teil, das von BauernZeitungs-Chefredaktor Adrian Krebs geleitet wurde. Franziska Grossenbacher erklärte am Abend aufgrund der Voten aus dem Publikum mehrfach, dass sie sich missverstanden fühle. So gehe es ihr im Postulat nicht darum, die Landwirtschaft in der Gemeinde umzukrempeln, sondern um die Frage: «Wie können wir die Betriebe erhalten und gemeinsam etwas entwickeln?» Ein von ihr mehrfach genanntes Beispiel ist das gemeinsame Bewirtschaften einer Hofstatt. «Äpfel ernten und zu Most verarbeiten und Bäume pflegen und schneiden», beschreibt Grossenbacher eine Projektidee, ohne dabei auf mögliche Gefahren oder dafür nötige Kenntnisse einzugehen.
Ein Privileg reicher Gemeinden
Ein entsprechendes Fazit dieses Abends war denn auch, dass Bewohnerinnen und Bewohner reicherer Gemeinden, zu denen auch Muri zählt, dazu neigen würden, gerne ein Naherholungsgebiet direkt vor der Haustüre zu haben und auch mitreden wollen, was mit diesen Flächen passiert.