Die Schweiz ist ein Entwicklungsland. Anders kann es nicht ausgedrückt werden. Zumindest was das Frauenstimm- und -wahlrecht anbelangt. Das wurde erst vor 50 Jahren Realität. Fast ganz Europa hatte dies schon länger eingeführt, nur wir, Liechtenstein und Portugal hinkten hinterher. Über 100 Jahre lang mussten mutige Frauen hierzulande Ausdauer beweisen und kämpfen, bis dieser Missstand behoben wurde. Für mich unvorstellbar, nicht wählen und abstimmen zu dürfen. Und genau das tue ich. Immer. Danke an alle mutigen Frauen, die sich dafür eingesetzt haben!
Gleichberechtigung und Selbstbewusstsein sind heute noch teilweise Fremdwörter
50 Jahre Frauenstimmrecht. Da könnte man meinen, seitdem strotzen wir Frauen vor Selbstvertrauen und die Gesellschaft muss nicht mehr über Gleichberechtigung diskutieren. Weit gefehlt. Stichwort Diskussionen betreffend tieferer Frauen-Löhne. Gleichberechtigung und Selbstvertrauen sind für viele nach wie vor Fremdwörter. Egal welchen Alters. Das wird mir immer wieder aufs Neue bewusst, wenn ich Frauen anfrage, um aus unterschiedlichen Gründen über sie in der Zeitung zu berichten. Sätze wie: «Lieber nicht. Ich und meine Arbeit sind nicht so spannend, als dass das jemand interessieren könnte.» Oder den Klassiker: «Ich weiss nicht. Was denken dann wohl die Leute?», höre ich zuhauf.
Was denken wohl die Leute - ein unsäglicher Satz
Was denken wohl die Leute? Wurde dieser Satz jahrzehntelang den Generationen mit der Muttermilch eingeflösst? Auch so ein Beispiel ist die Altbäuerin, die sich lange nicht getraute tagsüber auf der Terrasse zu sitzen, welche von der Strasse her einsehbar ist. «Was denken denn die Nachbarn über die faule Alte?», so die Angst. Zugegeben, auch meine Generation ist vor Selbstzweifeln nicht gefeit. Und ja, leider muss ich mich da dazuzählen. Was die Nachbarn denken, ist mir persönlich zwar wurst. Aber wie oft sage ich an den Arbeitstagen für diese Zeitung: Ich arbeite heute. Oder jemand fragt: «Schaffsch du morn?» Tönt so, als ob ich sonst nichts arbeite.
Ich koche und putze und wasche, und ja, das ist Arbeit!
Frau, bist du doof? Ist Hausarbeit, Kinderbetreuung und -erziehung, Sorgen für das mentale Wohl der Lehrlinge sowie das leibliche Wohl aller am Tisch, keine Arbeit? Doch, und wie! Die Reinigungskraft, der Psychologe und der Koch in der Beiz werden schliesslich für ihre, Achtung jetzt kommts: Arbeit bezahlt. Sofern die Beiz offen hätte. Aber das ist ein anderes Thema. Warum machen wir Frauen uns selber klein, wie die Freundin, der ich ein Stelleninserat schickte. «Nein, das und jenes und dieses, was gefordert ist, kann ich nicht», lautete die Antwort. So ist es kein Wunder, dass unsere Gesellschaft immer noch mit ungleicher Behandlung kämpft. Wir Frauen tragen eine Teilmitschuld an der Ungleichbehandlung. Ja, die Wahrheit tut weh, auch mir.
Wer nicht arbeitet, macht den Haushalt
Das Staatsradio nimmt sich dem Thema Gleichberechtigung an. Und da erzählt so ein Typ äusserst stolz, was er dafür tut: Wenn seine Frau arbeitet, macht er den Haushalt. Arbeitet er, macht sie den Haushalt, arbeiten beide, ist der Sohn zuständig. Überspitzt ausgedrückt sagt er: Hausarbeit ist keine Arbeit. Aus diesem Hamsterrad müssen wir unbedingt raus. Alle zusammen, Frauen und Männer! Los Frauen, es ist Zeit, selbstbewusster aufzutreten! Ich mache den Anfang und sage fortan: Heute arbeite ich für meinen Zweitjob. Hocherhobenen Hauptes pendle ich einen Stock höher ins Büro. Und kein schlechtes Gewissen plagt mich mehr, dass ich den Haushalt schleifen lasse, nur weil ich die Mittagsverpflegung an zwei Wochentagen abgebe. Jawohl, so läuft es ab sofort.