Dass sie einmal ein Buch herausgeben würde, das hätte Maria Rieder aus dem Berner Oberländer Dorf St. Stephan wohl nie zu träumen gewagt. Doch manchmal gehen Träume in Erfüllung, die man so gar nicht erwartet hat. Und nun ist Maria Rieder eben doch Autorin ihres eigenen Buches. «Meine Tierwelt – ein Bilderbuch vom Bauernhof», heisst es. Darin hat die Bäuerin auf 48 Seiten, mit eigenen und unbearbeiteten Fotografien von Tieren auf und rund um den Bergbauernhof herum, ihre Liebe zur Natur festgehalten.
Die Kamera als neue ständige Begleiterin
«Dieses Buch bedeutet mir sehr viel, es hat mir Türen geöffnet», erzählt die Bäuerin. Sie sitzt in der gemütlichen Küche im Bauernhaus oberhalb des Dorfes. Der Blick schweift an diesem sonnigen Morgen durchs Fenster hinaus, über den mit Geranien geschmückten Balkon in die Weite der Bergwelt. Sie lächelt. Sie ist mit Leib und Seele Bäuerin, wird die Oberländerin später erzählen. Das Buch gibt ihr aber die Möglichkeit, etwas ganz Eigenes und losgelöst vom Hof zu machen. Denn es ist ja nicht nur das Buch, welches beeindruckende Fotos von Maria Rieder enthält. Auf ihrer eigenen Website bietet sie auch Grusskarten mit diversen Sujets zum Verkauf an. Denn die Kamera ist zu Maria Rieders ständiger Begleiterin geworden. Das war nicht immer so. Zwar habe sie schon immer gerne fotografiert. Aber eher so, wie das viele machen; mal rasch Kinder oder Tiere mit dem Handy oder der Kamera auf Automatikeinstellung knipsen. Das änderte sich im Frühling 2014.
Die Krankheit verändert alles, die Arbeit auf dem Hof nicht mehr möglich
Maria Rieder erkrankte an Brustkrebs, musste sich einer langwierigen und kräftezehrenden Therapie unterziehen. Ein Schock für sie selbst, Ehemann Adrian und die beiden erwachsenen Töchter Sandra und Selina. Maria Rieder war klar, «Ich muss und will das jetzt durchziehen, meiner Familie Zuversicht geben, dass es gut kommt.» Da war es März. Während die Arbeit auf dem Bergbauernhof stetig zunahm, wurde Maria Rieder brutal ausgebremst, konnte ihren Mann Adrian nicht mehr unterstützen wie gewohnt. Meist nach einer Viertelstunde haben sie die Kräfte verlassen. Die Bäuerin akzeptierte dies wohl oder übel. Sie ging jedoch noch immer überall mit, etwa zum Zäunen, nahm aber fortan ihre alte Kamera mit, knipste mit Automatik drauflos, bis diese den Geist aufgab.
Der Einsatz verlagert sich zur Kamera
Maria Rieder fuhr in ein Fotofachgeschäft und liess sich beraten. Der Verkäufer habe sich den ganzen Nachmittag Zeit genommen, ihr alles zu erklären. «Da hat es mir den Ärmel reingenommen», berichtet die Bäuerin. Es dauerte nicht mehr lange und das Automatikprogramm kam nie mehr zum Einsatz. So viel Einsatz die Bäuerin vor der Erkrankung in ihre Arbeit legte, tat sie es während der Genesungsphase bei der Fotografie. «Es war schwierig, zuzusehen, wie die Familie arbeitet und ich kann nicht helfen. Ich bin mit Leidenschaft Bäuerin. Dies nicht machen zu können, tat weh. Vielleicht hat darum die Fotografie einen so hohen Stellenwert eingenommen», vermutet sie.
Die ganze Familie hilft, die Arbeit aufzuteilen
Tochter Selina, selbst gelernte Landwirtin, arbeitete zu der Zeit bei der Buuremetzg in Schönried. Ihr Arbeitgeber zeigte so viel Verständnis, dass sie in einem Teilzeitpensum zu Hause helfen konnte. Auch Tochter Sandra, die mit ihrem Mann ebenfalls einen Betrieb führt, half wo nötig. Sie arbeitete zu der Zeit noch 100 Prozent bei Wittwer Sport und durfte ohne Probleme auf 80 Prozent reduzieren. Ihr Mann Christian musste zudem auch manches Mal auf ihre Hilfe auf dem eigenen Betrieb verzichten. Zusammen mit dem Angestellten, der auf einem der beiden Alpbetriebe der Familie Rieder zuständig ist, konnte so die Arbeitslast nach dem Ausfall der Bäuerin abgefedert werden.
Betriebsspiegel
Familie: Maria und Adrian Rieder, Töchter Selina und Sandra. Sandra verheiratet mit Christian, zu ihnen gehört noch Sohn Tim, sie betreiben einen eigenen Landwirtschaftsbetrieb in Erlenbach i. S.
Betrieb: Bergzone III und IV, 28 ha, dazu zwei Alpbetriebe zusammen 66,5 Kuhrechte, ein Alpbetrieb wird von einer angestellten Bauernfamilie betreut, die ihr eigenes Vieh mitbringt. GG mit Selina.
Tiere: 30 Milchkühe dazu das Jungvieh und Kälber, drei Freibergerstuten und zwei Jährlinge, Maria züchtet mit Leidenschaft Pferde.
Nebenerwerb: Viehhandel sowie Handel mit Treicheln und Glocken, Selina arbeitet 60 Prozent auswärts.
Die Generationengemeinschaft entsteht
Was eigentlich positiv tönt, war für Maria Rieder dennoch schwer. «Ich war sehr froh um die spontane Mithilfe unserer Töchter und auch sehr dankbar. Aber nicht helfen zu können und zu wissen, dass sich meine Familie Sorgen machte um mich, war sehr schwierig, ein hilfloses, unschönes Gefühl», erinnert sich Maria Rieder. Doch dieses Gefühl hat sie hinter sich lassen können. Sie erzählt stolz, dass sie und ihr Mann jetzt mit Tochter Selina eine Generationengemeinschaft führen. Dies gibt sehr viel Luft und lässt zu, dass Maria Rieder ihr neues Hobby, die Fotografie, weiterhin ausüben kann, auch jetzt, wo sie wieder die Kraft hat, auf dem Betrieb anzupacken.
Das Risiko liegt bei der Autorin
Vor rund zwei Jahren begann Maria Rieder Fotobücher für Freunde und Familie zu machen. Die Töchter meinten dann: «Du musst mit deinen Bildern was machen.» Gerne hätte Maria Rieder das Buch in der Region gedruckt. Dies war leider nicht möglich. Anders beim Werd und Weber Verlag, Gwatt/Thun. Es habe viel Überwindung gekostet, dort vorstellig zu werden, erinnert sich die Bäuerin. Es hat sich gelohnt. Der Verlag druckte das Buch. «Ich trage jedoch das Risiko, muss es selbst finanzieren», betont Maria Rieder. So hat sie 300 Exemplare drucken lassen, von denen seit Erscheinen im Mai dieses Jahres rund die Hälfte zum Preis von 25 Franken verkauft sind. «Ich verdiene mit diesem Preis nichts, verliere aber auch nichts», erklärt sie. Die Freude über ihr eigenes Buch hingegen dürfte eh unbezahlbar sein.
Die richtige Therapieform für sich selbst finden
Eine schwere Erkrankung durchzumachen, hinterlässt Spuren. Manche tauchen erst einige Zeit nach der Genesung auf. So war das auch bei Maria Rieder. «Mein Tiefpunkt kam im Jahr 2016. Ich stand kurz vor einer depressiven Stimmung.» Die Hausärztin erkannte dies. Sie mahnte, dass noch keine Medikamente nötig seien, Maria Rieder aber zu sich schauen müsse. Eine Therapie bei einer Psychologin war nicht das Richtige für die Bäuerin. Nach nur einer Sitzung brach sie diese denn auch ab. Sie fühlte sich mehr zur Kinesiologie hingezogen, einer Therapieform aus der Alternativmedizin. Das war offenbar das richtige für sie. So richtig, dass die Bäuerin, welche Tiere über alles liebt, nun gar eine Ausbildung zur Tierkinesiologin begonnen hat. «Ich freue mich darüber, auch wenn es eine strenge Zeit ist. Doch das ist es mir wert», betont sie.
Das Positive auch in schwierigen Zeiten erkennen - das ist die Kunst
Das Erlebte verändert die eigene Persönlichkeit. Bei Maria Rieder zeigt es sich darin, dass sie heute den Mut hat zu machen, was ihr gefällt. Egal was andere Leute dazu sagen. Sie sei auch viel gelassener seither. Statt sich an kleinen Dingen zu nerven, freut sie sich über viele kleine Dinge. Und natürlich besonders an Grosssohn Tim, den sie einmal die Woche hüten darf. Zum Abschluss betont Maria Rieder: «Wenn man, wie ich, das Glück haben darf, die Krankheit zu besiegen, ist in meinen Augen so eine Prozedur auch eine Chance. Denn die Krankheit hat mich im positiven Sinne weitergebracht.»
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Hier kann das Bilderbuch bestellt werden
Das Bilderbuch Meine Tierwelt (ISBN 978-3-03818-272-6), das im Werd und Weber Verlag erschienen ist, kann direkt bei Maria Rieder unter www.riederfotografie.ch/shop bestellt werden. Das Buch mit 293 Abbildungen auf 48 Seiten ist gebunden und kostet 25 Franken.