Auf dem Foto ihrer Abschlussklasse fällt Jasmin Christen sofort ins Auge – nicht nur wegen der roten Haare. Sie ist die einzige Frau, die diesen Sommer die Lehre als Bierbrauerin (Lebensmitteltechnologin EFZ Schwerpunkt Bier) abgeschlossen hat. So ist es auch im Titel der dazugehörigen Medienmitteilung zu lesen: «Eine neue Bierbrauerin und 14 neue Bierbrauer für die Schweiz».
Landwirtschaft kein Traum
«Im ersten und zweiten Lehrjahr war noch je eine andere Frau, aber die beiden haben aufgehört», erinnert sich Jasmin Christen. Und ja, manchmal habe man sie es schon spüren lassen, dass sie die Lehre in einer männerlastigen Domäne machte. «Manche meinten zu mir, Bierbrauer/in sei ein Männerberuf. Das waren aber immer eher Gleichaltrige, ältere Erwachsene hatten damit kein Problem», so die 19-Jährige. Sie liess sich davon nicht beeindrucken: «Das ist deren Einstellung, nicht mein Problem. Wenn ich den Beruf erlernen will, ist das mein gutes Recht.» Verletzend fand sie die Vorurteile nie – sie konzentrierte sich einfach auf ihren Weg: «Zum einen Ohr rein, zum anderen Ohr raus.» Ihr Schwerpunktlehrer würdigte das später: «Er fand es super, dass ich als einzige Frau neben all den Chaoten durchgezogen habe», erzählt sie lachend.
Zwischen Kühen, Schweinen, Pferden und Hühnern ist Jasmin Christen auf einem Bauernhof in Entetswil im Kanton St. Gallen aufgewachsen. Der Betrieb der Familie wird von ihrem Vater und ihrem Bruder gemeinsam geführt – und irgendwann wird der Bruder die Verantwortung übernehmen. Für Christen selbst war die Landwirtschaft jedoch nie ein Traum. Sie hilft zwar teilweise am Wochenende im Stall, damit ihr Vater auch einmal freihat, doch einen eigenen Betrieb zu führen, steht für sie nicht unbedingt zur Diskussion.
«Es hat Klick gemacht»
Der Weg in die Brauerei war zunächst gar nicht geplant. Ursprünglich interessierte sie sich für Berufe wie Zeichnerin EFZ. Doch ein Zukunftstag bei der Brauerei Locher AG änderte alles. Beide Schwiegereltern ihres Bruders arbeiten dort, und so bot sich ein Blick hinter die Kulissen an. «Eigentlich wollte ich nur mal hereinschauen», erzählt sie, «aber dann hat mich gepackt. Es hat einfach Klick gemacht.» Mit frisch 16 Jahren begann sie ihre Lehre – und durfte damit offiziell schon selbst das Produkt probieren, das sie fortan herstellen würde.
«Es wäre nicht schlecht, wenn man Bier mag», sagt Jasmin Christen und lacht. Selbst bevorzugt sie eher klassische Sorten – ein Helles, ein Spez oder auch mal ein trübes Bier. Sie probiert gerne Neues aus, aber in ihrem Glas landen doch meistens die traditionellen Varianten. «Als Brauerin macht es Sinn, Bier zu mögen. Man muss es schliesslich auch verkosten können. Wir haben aber auch Leute im Betrieb, die wenig oder kein Bier trinken.»
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Schweine mögen Treber
Die Ausbildung brachte ihr den gesamten Brauprozess nahe. Drei Monate am Stück verbrachte sie jeweils an einer Station, um alle Arbeitsschritte von Grund auf kennenzulernen: Zuerst das Schroten des Malzes, das in griesskorngrosse Stücke zermahlen wird, damit es sich besser mit Wasser verbindet. Dann das Maischen bei 55 bis 70 Grad Celsius, wo die Stärke in Zucker umgewandelt wird. Anschliessend das Läutern, bei dem die Flüssigkeit von den Feststoffen getrennt wird. «Übrig bleibt der Treber – den geben wir den Bauern, die ihn zum Beispiel an die Schweine verfüttern. Oder wir machen Treberprodukte wie Chips oder Pizza daraus.»
Danach folgt das Kochen mit Hopfen, der Bitterkeit und Aroma bringt. «Es gibt zwei Hopfengaben», erklärt Jasmin Christen: «Die erste eher für das Bittere, die zweite für die Aromen.» Eine Stunde lang brodelt die Würze, bevor sie in den Whirlpool gelangt. «Da bildet sich ein Kegel aus Trübstoffen in der Mitte – der Teetasseneffekt. Das sieht mega cool aus, man würde kaum glauben, dass das funktioniert.» Im Gärtank wird schliesslich die Hefe hinzugefügt, die Alkohol und Kohlensäure entstehen lässt – und damit das Bier zu dem macht, was es ist. Dabei gibt es untergäriges Bier, das mit Hefen gebraut wird, die bei kühleren Temperaturen am Boden des Gärgefässes arbeiten und dadurch meist einen sauberen, milden Geschmack erzeugen. Obergäriges Bier entsteht dagegen bei höheren Temperaturen, mit Hefen, die an die Oberfläche steigen und oft fruchtige oder würzige Aromen hervorbringen.
Den Überblick behalten
Seit Abschluss der Lehre arbeitet Christen in der Flaschenabfüllung. Dort übernimmt sie auch Vertretungen des Schichtleiters. «Normalerweise beginne ich um 6 Uhr morgens, wenn ich aber die Leitung übernehme, schon um 4.30 Uhr.» Spätschichten dauern von 14.30 bis 23.30 Uhr. Der Beruf ist geprägt von Technik: Maschinen überwachen, Prozesse kontrollieren, Qualitätsprüfungen durchführen. «Wir sind ein vollautomatischer Betrieb, vieles läuft von selbst. Meine Aufgabe ist es, den Überblick zu behalten, Fehler zu erkennen und die Qualität sicherzustellen.» Dennoch muss man für den Beruf körperlich fit sein, denn man schleppt auch einmal Säcke.
Besonders wichtig sei ausserdem der eigene Geruchs- und Geschmackssinn. «Wenn man einen Fehlgeschmack nicht wahrnimmt, kann man nichts mehr dagegen machen.» Und auch Teamfähigkeit ist laut Jasmin Christen eine wichtige Eigenschaft, wenn man den Beruf Bierbrauerin ergreifen möchte.
Vor ihrer theoretischen Lehrabschlussprüfung war die junge Frau sehr nervös, die praktische hingegen meisterte sie souverän – die Abläufe im Betrieb kannte sie schliesslich von A bis Z. Heute blickt sie stolz auf das Erreichte zurück und freut sich darauf, ihre Leidenschaft für das Brauen weiter auszubauen. Ihre berufliche Zukunft sieht sie derzeit klar in der Bier-Branche: «Mein Ziel ist die Weiterbildung zur Braumeisterin.»
Wenn sie freihat, verbringt Jasmin Christen ihre Freizeit mit Freunden oder auf dem Motorrad. «Schöne Kurven gibt es ja genug», sagt sie und lacht.
Fragen an Jasmin Christen
Welches ist Ihr Lieblingslied?
Oh, da gibt es viele, je nach Stimmung. Ich mag Musik, die Richtung Pop geht.
Welches Kompliment freut Sie?
Alle. Komplimente sind etwas Schönes und eine Bestätigung von aussen, dass man etwas wirklich gut gemacht hat.
Worauf achten Sie bei einem Mann / Frau als Erstes?
Auf das Lachen, die Ausstrahlung. Der Charakter ist entscheidend, natürlich muss einem auch das Optische im ersten Moment etwas ansprechen.
Welchen Wunsch haben Sie?
Ich fahre aktuell einen 125er-Töff, aber studiere an einer grösseren, sportlichen Maschine herum.
Wohin würden Sie gerne einmal reisen?
Nach Amerika.
Kleines Bierlexikon
- Lager hell: meistgetrunkene Biersorte in der Schweiz; mild gehopft, untergärig
- Schweizer Spezial hell: oft etwas stärker gehopft; kräftiger eingebraut, mittlerer bis voller Körper, untergärig
- Lager dunkel: aus dunklem Malz gebraut, aromatisch, mild gehopft, untergärig
- Schweizer Spezial dunkel: aus dunklem Malz gebraut, aromatisch, mittlerer bis voller Körper, kräftiger und stärker gehopft.
- Pils: untergärig, hohe Hopfenbittere, schlanker Körper.
- Naturtrübes Bier: ungefiltertes Bier.
- Weizenbier (Weissbier): unter Zusatz von Weizen oder Weizenmalz gebraut, obergärig, hefetrüb oder klar, stark kohlensäurehaltig, fruchtiges Aroma.
- Starkbier (Bockbier): vollmundig, aromatisch, erhöhter Alkoholgehalt, untergärig oder obergärig.
- Amber: In der Schweiz als Bierstil etabliert, Bezeichnung bezieht sich auf Bernsteinfarbe, süsslich oder bitter, malzbetont, Karamellnoten.
- Schwarzbier: trockenes Bier mit deutlicher Röstaromatik.
- (India) Pale Ale: intensiv hopfenaromatisches und bitteres, obergäriges Bier.
- Porter/Stout: englische, obergärige Bierspezialität mit Karamell- und Röstaromen, das Stout weist noch intensivere Röstaromen auf.
- Hafer-, Dinkelbier usw.: Biere, die ihren Namen nach einem der Ausgangsstoffe, die beim Brauprozess mitverwendet werden, tragen.
- Mais-, Reisbier: unter Zusatz von Mais oder Reis hergestellt, untergärig, leicht, spritzig.
- Witbier, Dubbel, Tripel: Biere nach belgischem Vorbild, mit Rohfrucht, Gewürzen oder höherem Alkoholgehalt.