Ob an Versammlungen oder Rinderauktionen, momentan sind wieder häufig Bäuerinnen und Bauern an Krücken oder mit Schulterbandagen zu beobachten. Die BauernZeitung fragte bei Spezialarzt Robert E. Seidner nach, wie die Gesundheit und damit Lebensqualität länger erhalten werden kann.

Herr Seidner, behandeln Sie überproportional viele Patienten aus der Landwirtschaft? Wie erleben Sie Bäuerinnen und Bauern als Patienten?

Insgesamt haben wir im Schnitt nicht häufiger Personen aus der Landwirtschaft als Patientinnen und Patienten aus anderen Berufsgruppen. Die Besonderheit bei Personen aus der Landwirtschaft ist, dass ihre erste Priorität oftmals bei der Gesundheit ihrer Tiere und dem Funktionieren ihres Hofes liegt. Ihre eigene Gesundheit stellen sie dadurch vielfach hinten an. Im Gegensatz zu Patienten aus dem städtischen Gebiet, die eher früher zum Arzt gehen, warten Landwirtinnen und Landwirte tendenziell länger zu. Oftmals wäre es aber sinnvoll, sie würden ihre eigene Gesundheit höher priorisieren. Denn wenn ein Landwirt ausfällt, ist den Tieren und dem Hof auch nicht geholfen. Ein weiterer Unterschied ist, dass sich Menschen aus dem bäuerlichen Umfeld mehr bewegen und dadurch nicht die sogenannten Standschäden wie Personen entwickeln, die ihre Arbeit mehrheitlich sitzend bewältigend.[IMG 3]

Welches sind die häufigsten Beschwerden der Berufsgruppe Landwirte? Welches sind die Ursachen dafür?

Betroffen ist vor allem die untere Extremität mit Hüfte und Knie, aber auch der untere Wirbelsäulenbereich und die Schultern können des Öfteren zum Problem werden. In der Landwirtschaft führt oft eine Überbelastung, sprich schwere körperbetonte Arbeit, zum vorzeitigen Verschleiss an Gelenken. Die schweren Gewichte, die auf landwirtschaftlichen Betrieben zum Teil noch von Hand bewegt werden müssen, können zu einer Beschleunigung degenerativer Erkrankungen, wie Knorpelverschleiss führen.

Ein weiterer Punkt sind Verletzungen. Jedes Gelenk, das einmal von einer gröberen Verletzung betroffen war, hat die Tendenz zu vorzeitigem Verschleiss. Vor allem dann, wenn die Gelenkführung nach der Verletzung nicht mehr optimal ist. So können dann kleine Scherbewegungen im Gelenk ebenfalls zu einer schnelleren Abnutzung beitragen. Ein gutes Beispiel hierfür sind Kreuzbandverletzungen. Diese führen in den meisten Fällen früher oder später zu einer vorzeitigen Arthrose im Kniegelenk – egal, ob operiert wird oder nicht. Ein anderer Aspekt sind die bereits angesprochenen «Standschäden», sprich zu wenig Bewegung der Gelenke. Hier führt eine verminderte Durchblutung und eine reduzierte Zirkulation der Gelenkflüssigkeit im Gelenk, welche die nicht durchbluteten Anteile im Gelenk ernährt, über kurz oder lang zu Problemen. Diese sind aber bei der landwirtschaftlich geprägten Bevölkerung eher selten zu beobachten.

«Nach intensiven Arbeitstagen sollte die Belastung reduziert werden.»

Robert E. Seinder ist Spezialarzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin.

Welche Prophylaxemöglichkeiten sind besonders effektiv?

Gelenke sind ähnlich wie Autoreifen. Sie nutzen sich im Laufe des Lebens ab, und die Knorpeloberflächen, aber auch die Menisken werden im Alter weniger elastisch. Den Gelenkverschleiss kann man nicht verhindern, jedoch hinauszögern. Der Zeitpunkt für erste Arthrose-Symptome ist unterschiedlich und hängt auch von genetischen Faktoren ab. Haben die Eltern oder Grosseltern früh Gelenkprobleme entwickelt und eine Prothese benötigt, kann es gut sein, dass dieses einem selber ebenfalls blüht.

Wichtig bei der Prophylaxe ist die Balance zwischen Bewegung und Belastung. Nichts ist schlimmer, als wenn auf maximale Belastung eine Phase mit kaum mehr Bewegung folgt. In der Landwirtschaft gibt es, ähnlich dem Leistungssport, teils sehr hohe Belastungen. Darum wäre es wie im Sport hilfreich, nach intensiver Beanspruchung von Gelenken und Muskulatur Ausgleichsübungen zu machen sowie die Belastung in den Folgetagen für die Regeneration zu reduzieren. Eine gute Möglichkeit wäre beispielsweise die Tier- oder Zaunkontrolle nicht zu Fuss, sondern mit dem Velo zu machen. Eine Runde Schwimmen nach einem körperlich harten Arbeitstag fördert die Regeneration ebenfalls. Ein interessantes Trainingsgerät ist das Hand-und-Fuss-Pedalo, mit welchem zum Beispiel vor dem Fernseher gemütlich als Tischgerät Ellenbogen und Schultern sowie als Bodengerät Knie und Hüften locker bewegt und so regeneriert werden können. Gutes Schuhwerk bringt Stabilität und entlastet die Bänder. Bei leichten Kniefehlstellungen sind leicht korrigierende Schuheinlagen sinnvoll. Denn wie bei einem Auto mit einer mangelhaften Spureinstellung führen auch X- oder O- Beine zu einem ungleichen Abrieb im Gelenk. Hier können gut sortierte Sportgeschäfte zum Beispiel mit Fussdruckmessungen und Sporteinlagen weiterhelfen.

Bei grösseren Fehlstellungen ist jedoch ein Facharzt für Orthopädie für eine Kontrolle und Beratung die richtige Adresse. Negative Auswirkungen auf die Gelenksgesundheit hat auch Übergewicht. Ein voll beladener LKW fährt seine Reifen schneller ab als ein leichter Kleinwagen. Bei Kniebeschwerden kann darum schon eine Gewichtsreduktion von 15 bis 20 Prozent des aktuellen Körpergewichts zu einer bedeutenden Schmerzreduktion führen. Die Kombination von zu viel Gewicht und Schmerzen führt leider oft zu weniger Bewegung, was wiederum negativ für die Gelenke ist.

Ab einem gewissen Alter zwickt es ja immer irgendwo. Bei was für Beschwerden im Bewegungsapparat sollten Betroffene den Arzt aufsuchen?

Die Natur hat den Menschen nicht dafür konzipiert, 100 Jahre alt zu werden. Wir werden aber in der heutigen Zeit 100 Jahre alt und zum Teil auch mehr. Jeder Mensch hat ein «Verfallsdatum». Bei unseren Vorfahren war 50 Jahre schon ein schönes Alter. Dank moderner Medizin, Arbeitsbelastungsreduktion – und, nicht zu vergessen, deutlich verbesserter Hygiene – ist die Lebenserwartung in den letzten 200–300 Jahren stark angestiegen. Das führt zwangsläufig zu Problemen, die unsere Vorfahren so nicht kannten. Dabei sind die Gelenkprobleme noch das kleinere Übel. Beschwerden und Erkrankungen etwa bei der Herz- oder Hirnfunktion sind da schon bedeutend schwerwiegender.

Auch Bäuerinnen und Bauern müssen irgendeinmal einsehen, dass sie nicht mehr wie 20-Jährige immer 150 Prozent leisten können. Sie sollten darum mit ihrem Körper haushälterisch umgehen, da ansonsten die Verschleissschäden rascher zunehmen, als ihnen lieb ist. Schwere körperliche Arbeiten sollten bei Feststellung zunehmender Beschwerden jüngeren überlassen oder durch technische Hilfsmittel unterstützt werden. Denn nicht nur die Gefahr für Abnutzungsschäden steigt mit dem Alter an, auch die Unfallgefahr erhöht sich infolge abnehmender Kraft, Koordination und Schnelligkeit.

Es ist normal, dass es im Alter ab und zu zwickt. Zum Arzt sollte man dann gehen, wenn man den Alltag nicht mehr gut bewältigen kann oder man sich verletzt hat. Vor allem bei Unfällen sollte bald ein Arzt aufgesucht werden, selbst wenn die Beschwerden nicht sehr gross sind. Das hat den Vorteil, dass der Unfall bei allfälligen Folgeschäden für die Versicherung dokumentiert ist. Es ist wichtig zu verstehen, dass degenerative Gelenkschmerzen nicht direkt vom Gelenkabrieb kommen, sondern von der Entzündung der Gelenkschleimhaut, die von Abriebpartikeln gereizt wird. So entsteht auch das geschwollene Gelenk durch die Erhöhung der Flüssigkeit im Gelenk. Auch tritt der Schmerz nicht immer dort auf, wo man die Ursache vermutet. So können Bandscheibenprobleme zum Beispiel auch zu Schmerzen im Oberschenkel- und Knie- oder im Unterschenkel- und Fussbereich führen.

Was für Therapie- und Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei Gelenkproblemen neben Prothesen?

Die Prothese, also ein künstliches Gelenk, sollte immer die letzte Variante einer Behandlungsoption sein. Vorher sollten Therapiemöglichkeiten wie aktive und regenerative Bewegung mit Schwimmen und Velofahren oder andere mit der Physiotherapie erarbeitete Massnahmen in Betracht gezogen werden. Sind anhand eines MRIs bereits grössere Schäden im Gelenk erkennbar, können zum Teil mit einer Kniespiegelung degenerative Komponenten wie beispielsweise kleine lose Knorpelpartikel entfernt oder auch Meniskusrisse behandelt werden. Dadurch wird die Reizung der Gelenke meist deutlich reduziert. Wird diese Massnahme mit aktiver Bewegung kombiniert, kann eine Prothese teils noch länger hinausgezögert werden. Etwas Zeit gewinnen kann man auch durch Spritzen mit Kortison, Hyaluron oder Eigenblut, die direkt in das schmerzende Gelenk verabreicht werden.

«Ein künstliches Gelenk sollte immer die letzte Behandlungsvariante sein.»

Vorher sollten andere Massnahmen in Betracht gezogen werden, sagt der Facharzt.

Die Aussicht auf künstliche Gelenke schreckt immer noch ab, viele warten lange ab. Kommt es heute noch oft zu Komplikationen?

Komplikationen sind heute zum Glück selten. Die Qualität der Gelenkchirurgie und auch die der Gelenkimplantate ist mittlerweile sehr hoch. Die Kunststoffmaterialien der Implantate nutzen sich kaum noch ab. Was eher vorkommt, sind Lockerungen der Implantate infolge von Stürzen, fortgeschrittener Osteoporose oder Infekten.

Wichtig ist, dass sich Menschen mit Prothesen allgemein vor bakteriellen Infekten in Acht nehmen, denn diese können über die Blutbahnen in den Bereich der künstlichen Gelenke gelangen und dann dort zu Entzündungen und Infektionen führen. Für den Einbau einer Gelenkprothese kann man aus medizinischer Sicht kaum zu lange zuwarten. Man sollte spätestens dann zum Arzt gehen, wenn die Beschwerden so gross werden, dass man den Alltag nicht mehr problemlos meistern kann.

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Wie lange dauert die Heilung nach dem Einsatz einer Hüft- oder Knieprothese bei normalem Genesungsverlauf? Worauf muss der Patient in der Zeit besonders achten?

Der Spitalaufenthalt nach einer Prothese beträgt in der Regel fünf bis sechs Tage. Die ersten vier Wochen nach der Operation einer Knie- oder Hüftprothese ist der Patient normalerweise unter Teilbelastung mit halbem Körpergewicht und Stöcken unterwegs. Dies nicht, weil die Prothesen noch nicht halten, sondern weil Bänder, Sehnen und Muskeln im operierten Gelenkbereich genauso wie die Wunde der Haut eine gewisse Heilungszeit benötigen. Nach sechs Wochen ist man dann normalerweise wieder ohne Stöcke gut zu Fuss unterwegs. Um auf dem landwirtschaftlichen Betrieb wieder voll mitarbeiten zu können, sollte man aber schon gute drei Monate einplanen.

Es lohnt sich, sich diese Zeit zu nehmen, denn auch die Muskulatur muss nach der Entlastungsphase wieder aufgebaut und auftrainiert werden. Dies wird mit Hilfe der Physiotherapie optimal instruiert und begleitet. Wichtig ist, dass die Übungen der Physiotherapie auch zu Hause regelmässig weiter durchgeführt werden.