«Wir brauchen etwa eine Minute, bis wir mit unseren Kühen die Kantonsstrasse überquert haben. Dazu sperren wir sie ab und der Verkehr beginnt, sich zu stauen. Morgens liegt der Rekord bei 25 wartenden Autos», sagt Marcel Ackermann. Er bewirtschaftet einen landwirtschaftlichen Betrieb im Kanton Thurgau. Auf 31 Hektaren baut er Ackerkulturen wie Mais, Dinkel, Weizen und Zuckerrüben an. Ein grosser Teil der Fläche steht seinen 35 Brown-Swiss-Milchkühen zudem als Weide und als Kunstwiesenfutter zur Verfügung. Elf Hektaren liegen arrondiert um den Betrieb, hier weiden primär die Kühe. Die restlichen rund 20 Hektaren liegen etwa 800 Meter Luftlinie vom Betrieb entfernt. Bis anhin baut Ackermann hier hauptsächlich seine Feldkulturen an. Will er hier weiden, muss er zuerst mit seinen Kühen die stark befahrene Kantonsstrasse überqueren und sie entlang des Parkplatzes des örtlichen Schiessstandes treiben.
Umstellung auf Vollweide
«Wie bringe ich meine Kühe auf diese Flächen? Gibt es eine bessere Lösung als mit dem Absperren wie bisher?», lauten die Fragen, die den 33-Jährigen beschäftigen. Er hält seine Kühe im Vollweidesystem; während der Vegetationsperiode, also etwa ab Mitte April bis Mitte Oktober, fressen die Kühe ihr Futter ausschliesslich auf den Weiden. In Zukunft möchte Marcel Ackermann auch seine entfernten Flächen vermehrt beweiden.
Anfang Juni organisierte die IG Weidemilch auf dem Betrieb von Marcel Ackermann ihre Sommertagung 2025. Der Schwerpunkt lag auf den Herausforderungen bei der Betriebsumstellung auf Vollweide. An verschiedenen Posten diskutierten die Mitglieder der IG und Gäste die Schwierigkeiten, die Marcel Ackermann auf seinem Betrieb beschäftigen. Weiter tauschte man sich zu allgemeinen Fragen der Weidehaltung aus.
Die Fachgespräche verliefen vielseitig und brachten teils gegensätzliche Ansätze hervor. «So schöne Weiden würde ich niemals pflügen und darauf Ackerbau betreiben», meinte ein Teilnehmer beim Posten «Fruchtfolgeflächen in Weidehaltung integrieren».
«Die Weide ist die Mutter des Ackerbodens. Sie bildet die Grundlage für Acker und Kunstwiesen – und diese liefern ohnehin mehr Ertrag. Ausserdem hat man weniger Mäuse, um die kümmert sich der Pflug», entgegnete daraufhin ein anderer Teilnehmer. Wie an allen Posten hielten die Postenführer die Vorschläge auf Flipcharts fest, damit Ackermann sie später lesen kann.
Eine der intensivsten Kulturen
Mehr Einigkeit herrschte am Posten «Düngung Portionsweide». Die Teilnehmer einer Diskussionsgruppe waren sich einig: Die Weide sei die intensivste Kultur eines Betriebs, viele Landwirte behandeln sie jedoch wie eine Extenso-Kultur: Sie versorgen zuerst ihre Ackerflächen und Kunstwiesen mit Hofdünger. Was übrig bleibe, komme auf die Weide.
Auf der anderen Seite der Kantonsstrasse setzten sich die Teilnehmer mit Marcel Ackermanns Frage auseinander, wie und ob er seine Kühe überhaupt über die Kantonsstrasse und entlang der abgestellten Fahrzeuge beim Schützenhaus treiben solle. Die Teilnehmer waren sich darin einig, dass eine Beweidung der heutzutage hauptsächlich für den Ackerbau genutzten Flächen in jedem Fall gut wäre. Sie gaben Ackermann zahlreiche Tipps, wie er das Problem mit der Strassenquerung und dem langen Triebweg lösen könnte.
«Nimm gebrauchte Autofelgen und schweiss Stahlrohre darauf, dann hast Du einen mobilen und verschiebbaren Zaun», sagte ein Teilnehmer. So könne Ackermann bei den Parkplätzen nämlich auf einfache Art eine flexible Triebgasse installieren.
«Red mit deinen Nachbaren und versuch, Land für einen Treibkorridor abzutauschen. Auch wenn es quadratmetermässig zunächst zu deinem Nachteil ist – langfristig profitierst Du davon», riet ihm ein anderer.
«Warum willst Du die Kühe denn immer hin- und her treiben? Besorg Dir doch einen mobilen Melkstand, Strom hat es ja bereits und Wasser könnte man sicher auch einrichten», riet ein dritter Teilnehmer.
Bisher positive Reaktionen
Grundsätzlich lieferte die Veranstaltung nicht die eine ultimative Lösung, sondern brachte verschiedene Denkanstösse und Ideen hervor, die Marcel Ackermann zu seinem Ziel näherbringen könnten.
Welche davon er letztlich befolgt, bleibt ihm überlassen. Die Veranstaltung zeigte jedoch auch deutlich das Spannungsfeld der Weidehaltung auf, denn weidende Kühe geniessen in der Bevölkerung eine hohe Wertschätzung und besitzen auch eine starke Symbolkraft. Verbände wie Swissmilk, aber auch Grossverteiler werben gerne mit dem Bild der grasfressenden Kühe auf der grünen Weide. In der Realität sehen sich Landwirte, die ihre Kühe auf die Weide treiben möchten, aber mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Wegen der Urbanisierung und dem Bevölkerungswachstum gehören dazu auch vermehrt Fragen rund um die Strassennutzungsrechte.
Marcel Ackermann treibt seine Kühe bisher über die Kantonsstrasse. Das bringt ihm bei der Bevölkerung bis jetzt Sympathien ein. «Hat denn bisher jemand negativ reagiert?», fragt einer der Teilnehmer der Weidetagung. Ackermann antwortet: «Im Gegenteil. Bisher sind die Reaktionen positiv. Meistens gibt es sogar ein oder zwei Personen, die ihr Handy zücken, das Ganze filmen und mir dann einen Daumen nach oben zeigen.»