«Mein Lieblingstier?» Stefan Manser zögert – «Schon die Kuh, oder vielleicht die Ziege?» Malen tut er sie beide gerne – Naturgetreu, so wie er sie sieht, der Bauernsohn aus dem Appenzell, der nicht nur Tiere in- und auswendig kennt, sondern auch das Brauchtum. Das hat im Kanton einen sehr hohen Stellenwert und wird gepflegt wie sonst in kaum einer Region der Schweiz. Und Stefan Manser hält es fest in seinen Bildern – Augenblicke, Details, die er in den Mittelpunkt rückt.
Überleben mit Kreativität
Appenzell ist klein – Appenzell Innerrhoden ist noch kleiner. Die Häuser sind klein, die Menschen sind klein und die Höfe sind klein: «Die Menschen hier waren immer arm, lebten in Einklang mit der Natur», erklärt Stefan Manser. Die Einsamkeit auf den vereinzelt stehenden Höfen machte die Menschen kreativ. «Schon früher konnte man auf vielen Bauernbetrieben nicht ohne Nebenerwerb überleben. So erschufen die Frauen Handarbeiten und die Männer malten Bilder.» Jene «naive Malerei», die heute noch auf den berühmten Appenzeller Biberli abgebildet ist. Die Kunst wurde zum Markenzeichen und machte das Appenzell auch zu einer kleinen Insel der «heilen Welt» – wie sich das Appenzell den Touristen präsentiert. Im Dorfzentrum sind neben den bunten Häusern auch zahlreiche Galerien und Kunsthandwerker eine Attraktion.
Wäre gerne Bauer geworden
Auch Stefan Manser hat sein Atelier in einem der typischen Appenzellerhäuschen nahe dem Zentrum von Appenzell. Lebkuchenhäuschen nennt er liebevoll das kleine gelbe Haus, in dem er einen Raum gemietet hat. Hier entsteht auf wenigen Quadratmetern Grosses. Alles, was es braucht, ist eine Schachtel Kreide, ein schwarzes Brett und einen begnadeten Künstler. Vor Manser auf dem Tisch liegt das Bild einer braunen Kuh. Es ist nicht irgendeine Kuh. Manser malt nicht auf Vorrat, sondern nur auf Bestellung. So verewigt er in stundenlanger Kleinstarbeit jedes Härchen der Hundertausender-Kuh, die ihm ein Landwirt in Auftrag gegeben hat.[IMG 2]
«Ich male immer auf Holz», betont er. Seine Bilder entstehen auf schwarzen, gepressten Holzplatten, Altholz oder Möbeln. Seine Liebe zum Holz prägte auch die Berufswahl. Aufgewachsen ist er in Eggenstanden AI auf einem Bauernhof. «Gerne wäre ich Bauer geworden, doch unser Hof war zu klein», erzählt er. So wurde er Schreiner.
Weg zur Selbstständigkeit
Jedoch fiel der kleine Stefan bereits in der Primarschule mit seinem Talent fürs Zeichnen auf. Und dem Hobby blieb er treu. Nach der Lehre arbeitete er zwar als Schreiner, malte aber daneben immer mehr Bilder. «Mit 26 Jahren war ein Punkt erreicht, dass ich so viele Aufträge hatte, dass ich mir ein halbes Jahr Auszeit nahm, um diese abzuarbeiten», erzählt er schmunzelnd und fügt an, dass er seither nie wieder als Schreiner gearbeitet habe. Seine Bilder sind so gefragt, dass er sich voll der Malerei widmen kann.
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Liebe zum Detail
Was geblieben ist, ist seine Liebe zu den Holzmöbeln. Unter dem Namen «Enzig» – also einzig – erschafft er zusammen mit Bruno Inauen einzigartige Möbelstücke, die er mit seinen Kunstwerken bemalt. Seine detaillierten Kenntnisse des Appenzeller Brauchtums machen seine Bilder authentisch – und einzigartig. «Meine Bilder sind in der Regel Individuen, die ich gemäss Wunsch meiner Kunden erschaffe oder nach einer Idee, die ich habe», erklärt er. Für die Touristen werden die typischen Appenzeller Kunstwerke anderer Künstler oft auf diverse Alltagsgegenstände oder Postkarten gedruckt. Davon ist Manser nicht Fan. Seine Bilder leben vom Detail, von den einzelnen Härchen, die er der Appenzellerziege in stundenlanger Feinarbeit malt. Bei ihm erkennt der Bauer seine Hundertausender-Kuh, weil es eben nicht nur irgendeine hübsche Kuh ist.
Grössere Kunstwerke
«Ich bin mit dem Brauchtum aufgewachsen und das hilft mir bei meinen Bildern», betont Stefan Manser. «Wenn ich eine Trachtenhose male, will ich wissen, wie sich der Stoff anfühlt. Ich trage diese Tracht selber, helfe bei Alpfahrten, weiss wie der Latz verschlossen wird, oder wo welcher Senn läuft», erklärt er. Damit seine Kunstwerke Anklang finden, hat er die Appenzellermalerei modernisiert – salonfähig gemacht. «Man wohnt heute anders, grösser. Früher waren die Bilder, entsprechend den Kämmerchen, viel kleiner», erklärt er. Heute könne ein Alpaufzug auch mal drei Meter lang sein, damit er in einer grossen Wohnstube zur Geltung komme.
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Einzigartige Kunstwerke
Seine Kundschaft sei bunt, aber selten seien es Touristen. Oft seien es Landwirte, oder auch Menschen, die das Brauchtum lieben – und die kommen längst nicht mehr alle aus dem Appenzellerland. Manser macht nicht gross Werbung für seine Kunst. Er sei mehr so ein Insidertipp, erklärt er lächelnd. Seine Bilder kaufe eine gezielte, interessierte Kundschaft. Er stelle auch nicht in riesigen Galerien aus, sondern empfange die Kunden in seinem kleinen Atelier oder im Keller mit den Enzig-Möbeln. Dort hört er ihnen gut zu, um zu verstehen, welches Bild sie im Kopf haben. Und das malt er ihnen dann.
Die Türe ist klein, Stefan Manser bückt sich tief, als er den Raum mit den Möbeln betritt. Dieser befindet sich in einem der wenigen alten Häuser in Appenzell, das den Dorfbrand von 1560 unbeschadet überstanden hat. Die Appenzeller waren also wirklich so klein, dass sie durch diese Türe passten. «Zwar haben sich das katholische Innerrhoden und das protestantische Ausserrhoden friedlich getrennt, man hätte jedoch nie untereinander geheiratet», erklärt Stefan Manser. So wurde Appenzell nicht nur kulturell eine Insel, sondern auch genetisch – bis die Menschen immer kleiner wurden.
Leidenschaftliche Künstler
«Aber auch heute ist es noch so, dass man sich in Appenzell kennt und mehrheitlich unter sich bleibt», erzählt Stefan Manser. Ausser die Touristen, die mag man, denn die haben die Kunst im Appenzell überhaupt gross gemacht. Ungewöhnlich ist sie, die grosse Dichte an Künstlern in diesen Halbkantonen. Und es erstaunt, dass die Appenzeller bereits in früheren Zeiten die Muse hatten, trotz des harten Alltags bunte Bilder zu malen, Glockenriemen kunstvoll zu verzieren, ja ihre Häuser mit unglaublicher Liebe zum Detail zu bemalen. Spricht man allerdings mit Stefan Manser, dann kann man sie fühlen, die Leidenschaft und die Liebe zur Kunst, die sie wohl angetrieben hat.