Bestimmt kennen Sie ihn auch, diesen leicht abgelutschten Spruch? «Wenn das Leben dir Zitronen schenkt, mach Limonade daraus.» Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber mir hat das Leben in den letzten zwei Jahren einige Zitronen vor die Füsse geschmissen.
An das Schöne und Gute denken
Kindern nicht wohlgesinnte, stets nörgelnde Nachbarn, andere zwischenmenschliche Beziehungen, die knirschten und harzten, eine schwere Erkrankung im engen Umfeld, von der Corona-Pandemie ganz zu schweigen. Ganz ehrlich, an der Limonade arbeite ich noch. Ich weiss – und versuche es mir immer wieder vor Augen zu halten – , dass es viel Schönes und Gutes in meinem Leben gibt. Und dass es sehr vielen Menschen sehr viel schlechter geht als mir.
Neue Baustellen tun sich auf
Trotzdem muss ich ab und zu aufpassen, nicht in Selbstmitleid zu versinken, wenn ich wiedermal das Gefühl habe, dass eine neue Baustelle auftaucht, sobald ich eine andere geflickt habe.
Manchmal würde ich gerne so sehr im Moment leben, wie meine beiden kleinen Töchter. Für sie ist jeder Stein, den sie in ein Gewässer werfen können, ein Wunder und grössere Probleme als dass die Andere jetzt das begehrte Spielzeug hat oder es nicht mehr Schoggi gibt, haben sie noch nicht. Und doch spüren auch sie sicher die negativen Schwingungen, merken, dass Mama und Papa manchmal genervt und gestresst sind und reagieren entsprechend darauf.
Viele Leute sind genervt
Natürlich geht es nicht nur mir so. Die letzten zwei Jahre haben Spuren hinterlassen. Viele Menschen sind mit den Nerven am Ende, man merkt es überall, im Strassenverkehr, beim Einkaufen, beim zwischenmenschlichen Umgang. Der Ton ist rauer geworden, die Zündschnur kürzer.
Corona hinterlässt Spuren bei Jugendlichen
Doch dabei bleibt es nicht immer. Die Gefahr psychischer Probleme ist real. Besonders Kindern und Jugendlichen scheint die jüngere Vergangenheit an die Nieren zu gehen. Bis Ende September war die Lage 98-mal so dramatisch, dass die Berater(innen) der Nummer 147 von Pro Juventute die Sanität oder Polizei aufboten, um Jugendlichen mit Suizidgedanken zu helfen. Das berichtete die «Aargauer Zeitung» im November.
Im Durchschnitt wählen laut dem Artikel pro Tag sieben Jugendliche mit Selbstmordgedanken die Nummer. 2020 waren es fünf, vor der Pandemie drei bis vier. Es seien mehr psychisch kranke Kinder und Jugendliche für eine Therapie angemeldet worden und es gebe zu wenige auf sie spezialisierte Psychotherapeuten und Psychiaterinnen, berichtete «SRF». Auch bei den Erwachsenen steige die Nachfrage nach professioneller Hilfe.
Bäuerin mit Burnout
Auch in der Landwirtschaft gab und gibt es Menschen, denen alles über den Kopf wächst. Zum Beispiel Bäuerin Petra Nef. Sie organisierte jedes Jahr mit Leidenschaft und Elan viele Anlässe, bis an einem Tag im 2008 nichts mehr ging. Nach einer Therapie ging es ihr besser, bis zum Lockdown im März 2020. Corona stahl ihr die Anlässe, die längst zu ihrem dritten Kind geworden waren. Nef fiel erneut in ein Loch.
Sich Hilfe zu holen ist keine Schande
Es ist keine Schande – und unglaublich wichtig – sich Hilfe zu holen. Das habe auch ich gemerkt, denn ich möchte dem Ernstfall vorbeugen. Der Gedanke, was wäre, wenn ich plötzlich ausfalle, macht mir Angst. Was wäre dann mit meinen Kindern, meinem Partner, meinem geliebten Job, der mir an grauen Tagen viel Kraft gibt?
Ich habe eine Kinesiologin gefunden, die mich nicht nur behandelt, sondern der ich auch alles anvertrauen kann. In einem neutralen, geschützten Rahmen. Möglichkeiten gibt es viele, man muss ausprobieren, was zu einem passt.
Ins Dankbarkeitstagebuch schreiben
Ich habe gelernt, viel mehr darüber zu reden, was mich beschäftigt und piesackt und nicht mehr aus Scham über meine vermeintliche Schwäche zu schweigen. Schwäche zeigen kann eine Stärke sein. Und ich schreibe mir jeden Tag ein paar Dinge, die besonders schön waren, in mein Dankbarkeitstagebuch. Das können Kleinigkeiten sein wie ein Kaffee an der Sonne, ein Lächeln meiner Kinder oder ein ungestörter Moment zum Schreiben. Das hilft mir oft, positiv(er) zu bleiben.