Beat Friedli aus Grasswil (Bern) hat eine interessante Vita: Er lernte ursprünglich Landwirt und bewirtschaftet seinen Hof heute in einer Generationengemeinschaft mit seinem Sohn. «Ich durfte meinen Beruf nicht selbst wählen. Das haben meine Eltern für mich entschieden», erzählt der 53-jährige.
Zwar habe ihn der Oberstufenlehrer gefragt, ob er mit einer blanken Sechs in Mathematik nicht das Gymnasium besuchen wollte, doch Friedlis Antwort sei von seinem Umfeld geprägt gewesen: «Ich werde in den Beruf Landwirt hineinwachsen und ihn mit der Zeit lieben lernen.» Die Eltern hätten nur halbwegs recht gehabt, sagt er heute.
Vom Landwirt zum Softwareentwickler
Nach dem Agronomiestudium verliebte sich Beat Friedli in die Softwareentwicklung. Der Informatik ist er bis heute treu geblieben. Spannender als die technischen Herausforderungen fand er jedoch die zwischenmenschlichen Probleme zwischen Auftraggebern, Entwicklern und Anwendern. «Als Teamcoach durfte ich lernen, dass man komplexe Systeme wie Projekte oder Ehen linear planen, aber nicht steuern kann.» Zwar könne man sich in der Kirche versprechen, sich ewig zu lieben und sexuell anziehend zu finden, «aber darauf sollte man sich nicht verlassen».
Ehe ging in die Brüche
Nach 19 Jahren Ehe hätten dies auch seine (mittlerweile Ex-)Frau und er festgestellt. Sie probierten unterschiedliche Beziehungsmodelle aus und wollten sich dabei von einem Paar- oder Sexualberater begleiten lassen. Dabei stellten sie fest, dass es schwierig ist, Berater zu finden, «die auch jenseits der heteronormativen Beziehungsformen kompetent sind».
Um diese Lücke zu schliessen, liess Beat Friedli sich zum Erwachsenenbildner und Coach weiterbilden. Wichtiger als alle Diplome sei jedoch sein persönlicher Reifungsprozess gewesen. «Dazu gehörte insbesondere das Durchleben tiefer Lebenskrisen wie Trennung, Scheidung, Stellenverlust und Depression.»
«Es ist traurig zu sehen, wie viele Menschen sich vom Sex verabschiedet haben oder ihre Bedürfnisse heimlich befriedigen müssen.»
Beat Friedli versucht, Betroffenen zu helfen
Sexualität selbstbestimmt leben
Beat Friedli möchte Menschen befähigen, ihre Sexualität selbstbestimmt zu leben. Für ihn selbst war dies ein längerer Entwicklungsprozess, der mit ersten Erfahrungen in der tantrischen Massage begann. Später lernte er eine Naturpädagogin kennen, die kurz zuvor die Polyamorie für sich entdeckt hatte. «Wir fühlten uns wie anno 1968», erinnert sich Friedli. Mit ihr und einem Psychologen entwickelte er ein Veranstaltungskonzept für Gruppen, die «Erotic Flow Experience».
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Später lernte er eine Mediatorin für hochstrittige Paare kennen und rief mit ihr die Sexualberatung ins Leben. Es sei für Friedli aber nicht per se die Lösung, eine Beziehung, in der es kriselt, zu öffnen. «Wenn jemand bereits mit einem Partner überfordert ist, wird er oder sie es auch mit zwei Partner(innen) sein», sagt er entschieden.
«Rucksack voller Schuldgefühle»
Es seien etwas mehr Männer, die sich bei ihm für eine Beratung meldeten, sagt Friedli. «Sie kommen nicht selten mit einem Rucksack voller Schuldgefühle und können sich regelrecht zerfleischen, wenn sie mit ihren Partnerinnen nicht über ihre Bedürfnisse – zum Beispiel die Lust auf fremde Haut – sprechen können.» Bei Frauen seien die Themen vielfältig: Selbstwert, gesellschaftliche Normen, Erwartungen, fehlende Libido oder Schmerzen beim Sex. Am schönsten ist es für den Berater, wenn Paare nicht nur gemeinsam zu ihm kommen, sondern auch ein gemeinsames Ziel verfolgen. Die Arbeit mit solchen Paaren sei für alle sehr bereichernd.
Hat er auch Bauern unter seinen Klient(innen)? Grundsätzlich fragt er nicht nach Beruf und Wohnort, kann dazu aber doch sagen: «Die bäuerliche Bevölkerung ist vielleicht eher etwas zurückhaltender, weil das Thema schambehaftet ist.» Sie würden sich deshalb lieber einen Berater außerhalb der eigenen Wohngemeinde suchen. So zählt seit längerem ein Bauer aus dem Waadtländer Jura zu seinen Kunden, erstaunlich viele Klient(innen) kämen auch aus dem Grossraum Basel.
«Bei Paaren hat sich ein Partner oft schon lange mit dem Thema auseinandergesetzt ...»
Der andere Partner hat das Thema, gemäss Beat Friedlis Erfahrung, eher verdrängt.
Zuerst ein Spaziergang
Das erste Gespräch führt Beat Friedli gerne bei einem Spaziergang. Sich so kennenzulernen sei super, «denn es fühlt sich nicht nach Therapie an». Bei einem ersten Gespräch gehe es auch darum, gemeinsam herauszufinden, was das eigentliche Thema ist. Vordergründig möge es um allgemeine Beziehungsthemen wie Kommunikation und Wertschätzung gehen.
Nach mehrmaligem Nachfragen würden dann die «S-Themen» zutage treten: Selbstbewusstsein, Selbstwert, Selbstvertrauen, Sexualität, Sicherheit und deren Daseinssinn. Auch bei Eifersucht gehe es letztendlich um diese Themen. «Bei Paaren hat sich ein Partner oft schon lange mit dem Thema auseinandergesetzt, während der andere dies eher verdrängt hat.» Hier gelte für Beat Friedli die einfache Wanderregel: «Am schnellsten kommt man auf den Gipfel, wenn der Langsamere vorangeht.»
«Ausdauer auf der Beziehungsebene gefragt»
Sich als Paar mit Diskrepanzen beim Thema Sexualität wiederzufinden, ist für Beat Friedli durchaus möglich. «Das selbstwirksame Leben der Sexualität ist aber eher eine Bergwanderung als ein Spaziergang», bilanziert er. «Da ist definitiv auch Ausdauer auf der Beziehungsebene gefragt.»