Was Menschen dazu bringt, ihr Verhalten zu ändern, weiss niemand so ganz genau. Trotzdem wird mit Ansätzen experimentiert, die den Kunden ein besseres, schöneres und gesünderes Leben und den Händlern und Verarbeitern höhere Margen versprechen. Mitten drin ist der Österreicher Gerhard Fehr – Verhaltensökonom und Berater für verschiedene Firmen.
Herr Fehr, welchen Mensch haben Sie zuletzt beeinflusst?
Gerhard Fehr: Vielleicht müsste man die Frage umformulieren und fragen, welche Menschen mich am meisten beeinflussen. Das sind meine Kinder.
Welches Verhalten haben Sie wegen Ihren Kindern zuletzt angepasst?
Ich versuche, ihnen die volle Aufmerksamkeit zu geben, wenn sie mit mir reden, und nicht in die digitalen Medien abzuschweifen. Umgekehrt beeinflusse ich auch meine Kinder.
Wie?
Für mich ist wichtig, dass meine Kinder die Grundlagen für ein glückliches und erfolgreiches Leben lernen. Und eine Grundlage dafür ist Geduld. Ich mache mit ihnen deshalb Geduldsspiele.
Sie machen Geduldsspiele?
Ja, ich will meinen Kindern helfen, mehr Geduld zu haben. Ich lasse ihnen die Wahl, ob sie heute ein kleines oder in zwei Monaten ein grosses Geschenk erhalten wollen. Die Warteleistung einer Gesellschaft zeigt auf, wie erfolgreich sie ist.
Und dasselbe machen sie in Unternehmen?
Nicht ganz. Als Behavioral Designer helfen wir Unternehmen und Politik, das Verhalten der Gesellschaft zu ändern. Unser Markt ist Verhaltungsänderung.
Sie sagen, dass die kumulierte Geduld zeigt, wie die Wirtschaftsleistung einer Gesellschaft ist. Tatsächlich werden wir weniger geduldig; oder täuscht dieser Eindruck?
Die Die Frage ist, ob die Leute weniger geduldig werden. Tatsächlich hat man das Gefühl, dass es so ist, aber die Realität sieht anders aus. Was es aber gibt, sind Institutionen, die regelmässig versuchen, unsere Geduld zu strapazieren. Man kann zum Beispiel mit Preisen und Rabattstrukturen die Präferenzen von Menschen beeinflussen – vor allem kurzfristig. Darauf sind wir sehr anfällig. Deshalb sind die Geduldspräferenzen so wichtig. Haben wir sie nicht, geben wir kurzfristigen Impulsen nach.
Es braucht also eine längerfristige Perspektive. Aber wer definiert, was eine wünschenswerte Veränderung ist?
Die Frage ist, in welche Richtung man diesen Werkzeugkasten einsetzt. Da gibt es ganz unterschiedliche Ziele – weniger Fleisch und mehr Gemüse essen zum Beispiel. Nicht rauchen. Das sind Ziele auf individueller Ebene. Und dann gibt es noch die kollektiven Ziele. Kürzlich war «Zürifäscht». Das Ufer war verwüstet. Wenn sich alle am See treffen, werden sie innert kürzester Zeit zu Litterern, die alles einfach auf den Boden werfen. Mich beschäftigt nun die Frage, wie man das verhindern könnte.
Littering beschäftigt auch die Landwirte – wenn Autofahrer ihren Abfall aus dem Fenster werfen. Was könnte man dagegen unternehmen?
Auf einer vielbefahrenen Strasse kann man das Problem mit einer vernünftigen Beschilderung schon in den Griff bekommen.
Aber es kommt darauf an, was auf dem Schild steht.
Das ist klar. «Bitte werfen Sie Ihren Abfall nicht aus dem Fenster» wird nicht funktionieren. Empirisch gesehen ist die Bitte zu wenig stark. Wenn sie hingegen schreiben «99% der Autofahrer, die hier vorbeifahren, werfen nichts aus dem Fenster», dann sieht es schon anders aus. Wenn das Schild mit einem Text ergänzt wird, der zeigt, wie viele Kühe durch Litterung im letzten Jahr verletzt worden sind, ist die Wirkung schon höher. Bedingung ist, dass man die Texte auch im Vorbeifahren lesen kann.
Das ist überraschend. Geht man nicht davon aus, dass Handlungsanweisungen positiv formuliert werden sollen, damit sie gehört werden?
Ist es angriffig, wenn man schreibt,dass 99% der Autofahrer nichts aus dem Fenster werfen? Aus meiner Sicht ist das nicht angriffig. Man sagt nicht, dass jeder, der was zum Fenster rauswirft, ein schlechter Mensch ist. Man sagt nur, dass es eine soziale Norm gibt, die besagt, dass man in der Schweiz nichts aus dem Fenster wirft. Und das reicht. Wenn man dann auf die Tafel noch zwei Augen oder ein Gesicht aufmalt, ist die Wirkung noch grösser. Das ist wichtig, um ein Gefühl sozialer Kontrolle zu erzeugen. Am «Zürifäscht» geht das nicht, da versagt die soziale Kontrolle.
Themenwechsel: Es gibt in der Schweiz 8,2 Millionen Menschen – wie bringt man alle dazu, inländische Lebensmittel zu kaufen?
Ganz wichtig ist, dass man den Konsumenten die Wahlmöglichkeiten nicht nimmt. Es gibt Menschen, die sind systematisch bereit, für nachhaltige und inländische Produkte mehr zu bezahlen. Das sind ungefähr 30 Prozent. Dann sind etwa 60 Prozent der Bevölkerung bedingt bereit, für nachhaltige Produkte mehr zu bezahlen. Die kaufen Bio-Obst, aber gehen auf die Malediven in die Ferien – oder sie machen in der Schweiz Urlaub, kaufen aber Rindfleisch aus Argentinien. Diese sind in gewissen Teilbereichen bereit, ihr Verhalten anzupassen.
Aber nur dann, wenn der Preis günstig ist?
Nicht nur. Der Anteil der wirklich preissensitiven Käufer ist gering. Man geht halt in die Migros oder zum Coop, weil man es nie anders gemacht hat. Der Handel, die Industrie und die Produzenten können mit den ersten 30 Prozent Geld verdienen. Die grosse Masse kann man mit Feedback und Hinweisen bewegen. Bei den letzten 15 Prozent der Bevölkerung, die per Definition nicht nachhaltig sein wollen, braucht es für eine Verhaltensänderung staatliche Regeln.
Also Gesetze und Verbote?
Das Problem ist, dass mit staatlichen Regeln alle bestraft werden. Gleichzeitig kann man Gesetze nicht einführen, wenn die Gesellschaft für etwas nicht bereit ist. Man kann nur gesellschaftliche Verhaltensänderung erreichen, wenn die Gesellschaft auch dafür bereit ist. Alles andere funktioniert nicht.
Zurück zu den 60 Prozent der Konsumenten die bereit sind, nachhaltiger einzukaufen. Was müsste man dort machen, damit sie zu den übrigen 30 Prozent aufschliessen würden?
Da braucht es Wahlmöglichkeiten. Wenn jemand die Malediven-Reise bucht, muss man ihn darauf aufmerksam machen, dass er auch eine andere Destination in der Nähe buchen könnte. Bei Nachhaltigkeit braucht es sehr viel Kommunikation. Die Kunden sind nicht grundsätzlich bereit, ihr Verhalten zu ändern.
Mit Ihren Kindern machen sie deshalb viele Spiele, kleine Experimente. Wie soll das ein Landwirt umsetzen?
Sagen wir, Sie wollen, dass Ihr Bauernhof dereinst von den Kindern übernommen werden soll. Dann ist es sehr wichtig, dass Sie die Landwirtschaft auf spielerische Art und Weise vermitteln. Das gilt für alle Themen – mit den Tieren, im Wald, auf dem Feld. In dem Moment, wo die Landwirtschaft ein spielerisches Element hat, gewinnt man die Herzen der Kinder.
Die Praxis sieht da aber anders aus!
Stimmt, die meisten Unternehmen werden nicht spielerisch, sondern effizient geführt. Das findet aber niemand sexy. Spass ist dabei der Schlüssel. Damit kann man arbeiten. Meine Tante bewirtschaftet einen Hof, und sie machte das, ohne gross darüber nachzudenken. Beim Eiersammeln durften wir zum Beispiel jedes dritte Ei behalten. Dieser spielerische Zugang ist fundamental wichtig, damit sich Kinder für das interessieren, was ich als Mensch mache.
Gerhard Fehr ist in der Geschäftsführung von Fehr Advice & Partners AG, sein Bruder Ernst ist im Verwaltungsrat aktiv. Insgesamt beschäftigt das Behavioral-Design-Unternehmen heute rund 30 Personen. Die Firma will mit #Experimentability die Welt ein bisschen besser machen. Darunter zu verstehen ist, dass mit kleineren und grösseren Experimenten untersucht wird, wie Menschen bessere Entscheidungen treffen können.