Wo früher staubige Getreidesäcke gelagert waren, stapeln sich nun Acryl-Farben, Bilder, Pinsel und Skizzen. Vor einiger Zeit wandelte Gabriela Gfeller-Woodtli den Getreideraum des alten Spychers in ihr Atelier um. Unterhalb des Ateliers hausen im Winter die Pfauenziegen. Und das ist nicht der einzige Ort, wo die Kunst der Bäuerin auf die Landwirtschaft prallt. Im Gegenteil. Ihre Kunst lebt von den Nutztieren auf ihrem 16 Hektaren grossen Landwirtschaftsbetrieb.
Dabei wechseln sich die Hühner, die Pferde, die vier Saaser Mutten oder die paar Pfauenziegen ab, für Gabriela Gfeller Modell zu stehen. Doch auch Katzen, Hunde, Boote, Schiffshäfen und charmante Stadtgässchen finden ihren Weg über ein paar flinke Pinselstriche auf das Malpapier der 59-jährigen Bernerin aus Rubigen.
Mutter, Künstlerin, Bäuerin
Als ihre zwei Söhne noch klein waren, nahm die Kunst einen kleineren Platz im Leben von Gabriela Gfeller ein. «Ich habe mich nie ganz von der Kunst getrennt, aber es gab Phasen im Familienleben, wo ich natürlich andere Prioritäten setzte», erzählt die Bernerin und skizziert mit wenigen Bleistiftstrichen einen Hasen auf das Papier, welches zwischen uns auf dem Tisch liegt. Seit letztem Sommer widmet sie sich aber wieder vollumfänglich der Kunst und ihrem IP-Betrieb, den sie gemeinsam mit ihrem Mann Markus Gfeller bewirtschaftet. Vorher unterrichtete die gelernte Lehrerin im Teilzeitpensum auch Bildnerisches und Technisches Gestalten.
«Das war schon ein grosser Schritt, mich von dieser Anstellung zu lösen. Aber mir ist es wichtig, in meiner aktiven Zeit das zu machen, was ich gut und gerne mache», hält Gabriela Gfeller fest. «Ich hatte bereits schweizweite Ausstellungen und einmal pro Jahr findet bei mir auf dem Betrieb die Ausstellung ‹Hinter dem Hof› unter freiem Himmel oder in den leeren Ställen statt». Momentan bietet die Künstlerin auf ihrem IP-Betrieb Mal- und Zeichnungskurse in Kleinstgruppen an. «Diese Kurse werden gut besucht, aber dafür muss ich sehr viel Werbung machen und Zeit investieren», erzählt sie und malt an ihrem Hasen weiter.
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Der Bauwagen vor der Schafweide dient als Ausstellungsort für ihre «petits formats». (Bilder BauernZeitung/sjh)
Herausforderung als Chance
Diese Herausforderung, ihre Kunst und Angebote zu verbreiten, spornte sie während der Pandemie zusätzlich an. Der Platz auf dem Betrieb eignet sich gut dafür, das Gestalterische und die Landwirtschaft zu verbinden und dies den Leuten auch so anzubieten. «Das hat natürlich schon Seltenheitswert», sieht Gabriela Gfeller ein. Um die Leute auf den Hof zu holen, nutzt sie Kanäle wie Whatsapp, Instagram oder ihre Website und stiess auch während der Pandemie auf Interesse. «Man merkt gut: Die Leute sind hungrig, nach draussen zu gehen, etwas zu erleben und zu gestalten», beobachtet Gfeller und analysiert ihre fertige Hasen-Skizze.
«Wenn ich einen schlechten Tag habe, stutze ich einen Rosenbusch oder miste einen Stall.»
«Ich bin sehr diszipliniert.Diese Disziplin brauche ich,um manchmal das Geschehen rundum auszublenden und mich auf die Kunst zu fokussieren», erzählt Gabriela Gfeller weiter. «Aber ich male auch, wenn ich einen schlechten Tag habe – oder dann gehe ich in den Garten, stutze den Rosenbusch oder miste den Ziegenstall, um Energie loszuwerden», scherzt die Bäuerin und schmunzelt. «Und wenn ich bei einem Bild nicht weiterkomme, lege ich es beiseite und male mich mit einfachen Sachen wieder ein. Ähnlich wie ein Geigenspieler, der sich mit simplen Stücken einspielt, dann geht es wieder besser», metaphorisiert sie.
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Die Pro-Specie-Rara-Rasse Saaser Mutten auf dem Betrieb sind neuerdings auch Modelle von Gabriela Gfeller-Woodtli.
Das künstlerische Flair hat Gabriela Gfeller von ihrem Vater geerbt, der Zeichnungslehrer war. Bis sich ihre eigene Kunst entfaltet hat und sie ihr Hobby zum Beruf machen konnte, war es ein langer Weg. An der Schule für Gestaltung in Bern absolvierte sie Abendkurse, wo sie sich unter anderem von einem Lehrer inspirieren liess. «Von einem einzigen Farbfleck aus malte er Kreaturen», erinnert sie sich. «Das gefiel mir». Ein Blick auf den flink skizzierten Hasen, der lediglich aus einem Farbtupfer entstanden ist, bestätigt dies. «Der Grossteil des Lernprozesses war aber autodidaktisch.»
«Fordere mich selbst heraus»
«Wenn ich Tiere skizziere, muss es schnell gehen. Ein Moment ist so einmalig, daher habe ich mir antrainiert, schnell und konzentriert zu arbeiten», reflektiert sie. «An den Workshops beobachte ich manchmal, dass es die Leute zu genau nehmen und sich zu fest an stereotypische Formen von Tieren festklammern. Dabei sieht jedes Pferd anders aus. Und eine Katze hat nicht immer dieselben grossen Augen. Ich versuche mich von den konventionellen Körperhaltungen zu lösen: Ich erfasse einen Ziegenbock, der sich sonnt, ein Kätzchen, das den ‹Buggu› macht, einen Hengst, der sich über die Schulter zu mir umschaut. Im Winter zieht hier die Wanderherde vorbei. Ich setze mich jedes Jahr zu ihnen. In einer solchen Herde sind gesamte Gesellschaften erkennbar», schwärmt sie von ihren «Modellen». «Ich gehe manchmal auch bewusst schwierige Körperhaltungen von Tieren an und fordere mich selber heraus, so mache ich auch Fortschritte», so Gabriela Gfeller.
Inspiration beim Misten
Jeden Morgen mistet und füttert sie die Tiere. «Da kann ich denken und meinen Tag planen», sagt sie und sieht hinaus auf ihre wilde Pfauenziegenherde. «Manchmal schaut mich der Schafbock so vorwurfsvoll an. Dann schaue ich einfach genau so zurück», wie sie einen kürzlichen Stallgang schildert. «Auf der Schafweide zupfen sie mir manchmal am Zeichnungspapier. Die Saaser Mutten sind anhängliche und gesellige Tiere, das gehört dazu.» Seit einem Jahr ist sie im Aufbau der Pro-Specie-Rara-Schafherde und sucht nach anderen Züchterinnen und Züchtern.
«Die Schafe zupfen beim Zeichnen am Papier, die Pferde schlabbern es voll. Aber das gehört dazu.»
«Gelernte Bäuerin oder Landwirtin bin ich nicht.» Auf dem Betrieb wirkt sie aber voll mit und macht sich Gedanken, wie es in Zukunft auf ihrem Hof aussehen könnte. «Ich sähe es schon, unseren IP-Betrieb noch ökologischer auszubauen oder eventuell auf Bio umzustellen.» Für die Bäuerin und Künstlerin ist es aber ein Kriterium, ökologisch und wirtschaftlich produzieren zu können.
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Gfeller-Woodtli ist zwar keine gelernte Landwirtin, auf dem Betrieb aber sehr aktiv. Und sie macht sich Gedanken über die Zukunft der Landwirtschaft.
Es braucht Erfindergeist
Auch im ruhigen kleinen Atelier in Beitenwil bei Rubigen bekommt Gabriela Gfeller den Strukturwandel in der Landwirtschaft zu spüren. «Ich nehme als Bäuerin auch den Vegetarismus und den Veganismus ernst. Ich versuche eine Balance zwischen artgerechter Tierhaltung und eigenem Nutzen zu finden», so die Bäuerin. Ihr Betrieb erfüllt die RAUS- und BTS-Vorgaben.
«Es wird herausfordernd sein, in Zukunft marktgerecht und nachhaltig Landwirtschaft betreiben zu können. Diese Herausforderung zu meistern, braucht Erfindergeist. Ich finde, mit resistenten Sorten oder widerstandsfähigen Rassen machen wir auf jeden Fall schon einen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit und Biodiversität», ist die Bäuerin überzeugt.
Weitere Informationen: www.gabrielagfeller.ch