An der Agrarökonomie-Tagung wurde die Studie «Perspektiven einer nachhaltigen Schweizer Landwirtschaft und Ernährung» präsentiert. Sie beruht auf Modellrechnungen bis ins Jahr 2050. Ziele sind neben der Minimierung von Treibhausgasemissionen und Pflanzenschutzmitteleinsatz die Reduktion des Konsums tierischer Nahrungsmittel, wie es auch die Lebensmittelpyramide vorsieht. Gemäss den Szenarien soll die Getreideanbaufläche grösser werden, ebenso jene von Soja, Gemüse oder Hülsenfrüchten. Den Einkommensverlust durch sinkende Tierbestände könne man durch Kulturen mit hoher Wertschöpfung, also Spezialkulturen wie Gemüse oder Beeren, kompensieren. «Dies führt zu Verbesserungen in den Bereichen Umwelt, bedarfsgerechter Ernährung, Biodiversität und Selbstversorgungsgrad», sagte Albert von Ow, der die Studie präsentierte.
Auch sozial und ökonomisch nachhaltig
Zuerst meldete sich Marie-Louise Koller vom Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverband zu Wort. «Die Buchhaltungsauswertungen der zentralen Auswertung von Agroscope zeigen erneut rückläufige Einkommen auf. Jetzt präsentieren Sie Modellrechnungen für ein nachhaltiges Ernährungssystem, das mit dem Abbau der Tierbestände noch massivere Einkommensverluste zur Folge hat», kritisierte sie. Sie frage sich, wie diese Einkommenslücke gefüllt werden könne. Koller forderte Lösungen nicht nur für eine ökologisch, sondern auch eine sozial und ökonomisch nachhaltige Landwirtschaft.
Laut der Arealstatistik des Bundes seien 71 % der Schweizer Landwirtschaftsfläche Grünland oder Rebflächen und daher kaum für den Ackerbau geeignet. Relativ zum Produktionswert der landwirtschaftlichen Erzeugung (Pflanzenbau und Tierproduktion) betrage der Anteil der Tiere 60 %. Eine Ausweitung der Getreidefläche sei nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Getreideproduktion sei rückläufig.
Margareta Scheidiger, Gartenbauingenieurin und an der Agridea für Wirtschaftlichkeitsberechnungen im Beerenanbau zuständig, brachte die Geobotanik, aktuelle Ernährungstrends und den Markt aufs Tapet. «Will man nachhaltig sein und den Ressourcenverbrauch von Wasser, Dünger und Pflanzenschutz minimieren, gibt es weltweit viele Regionen, wo die Voraussetzungen für den Körnerleguminosenanbau um einiges besser sind als in der Schweiz, wo es relativ viel regnet», sagte Scheidiger, und weiter: «Auch wenn hierzulande die Züchtung vorwärtsmacht, ist es sehr schwierig, Hülsenfrüchte in der Talzone anzubauen – und erst recht in Futterbaugebieten.» Dass Körnerleguminosen bisher vor allem in den semiariden Tropen und Subtropen angebaut werden, sei kein Zufall. Auch könne nicht jeder Milchwirtschaftsbetrieb auf Gemüse- oder Obstbau umsatteln. Spezialkulturen benötigten ein spezialisiertes Know-how, viel Handarbeit und Investitionen, die allenfalls raumplanerischen Vorgaben folgen müssten, gab Scheidiger zu bedenken.
Dem Brokkoli durchaus ebenbürtig
Und dann seien da noch der Markt und die Konsumtrends. Es gebe Gemüsekulturen, die mit relativ wenig Input produziert werden können, zum Beispiel Lauch, Fenchel, Kopfkohl oder Sellerie. Sie lägen aber in der Präferenz des Detailhandels und der Konsumenten deutlich hinter Brokkoli zurück. Brokkoli sei ein schnell wachsender Starkzehrer und ideal bei tiefgründigen und sehr nährstoffreichen Böden; der Wasserbedarf sei entsprechend hoch. Herausfordernd seien auch Pflanzenschutz und die Fruchtfolge. Punkto Nährstoffe und gesundheitlichen Aspekten wären die aus der Mode gekommenen, anspruchsloseren und lagerbaren Gemüsearten dem Brokkoli durchaus ebenbürtig, so Margareta Scheidiger. Aber: «Kabis- oder Selleriesalat bleiben bei einem Grillfest stehen. Bevorzugt werden Blattsalate, Tomaten oder Couscous – das ist die Realität am Markt», sagte Margareta Scheidiger. Sie bedaure diese Entwicklung.
Ganz so einfach ist ein nachhaltigeres Ernährungssystem also auch beim Fleischverzicht nicht umzusetzen. Es wirken mehr Variablen mit, als die Modellannahmen abbilden. Wen kümmerts? Nicht die Konsumenten, nicht den Detailhandel, der Brokkoli ganzjährig anbietet – und scheinbar auch nicht die Forschung. Gut, wehren sich die Frauen aus der Landwirtschaft. Sie haben Fachwissen, Erfahrung und sind sowohl am Herd als auch am Markt präsent.
Das Traurige ist, dass es bei solchen Szenarien, selbst wenn sie auf wissenschaftlichen Methoden beruhen, nicht beim Gedankenspiel bleibt. Sie beeinflussen die Politik und die gesellschaftlichen Diskussionen. Es ist absehbar, dass weiterhin an Veranstaltungen über «nachhaltige Ernährungssysteme der Zukunft» diskutiert wird. Ich setze darauf, dass sich dabei Bäuerinnen, Landwirtinnen, Beraterinnen zu Wort melden, sagen, was Sache ist – und Gehör finden.