Gemütlich spaziert Little Boy für den Fototermin hinter Ruedi Steiner aus dem Stall. «Wenn er dieses Halfter trägt, dann weiss er, dass es nichts zu decken gibt. Dann ist er ein ganz normales Pferd» erklärt Ruedi Steiner und lächelt zufrieden. Noch vor wenigen Tagen, als draussen eine rossige Stute auf den Hengst wartete, kam der noch in deutlich anderer Manier aus dem Stall. Doch auch das bringt den eingefleischten Rösseler nicht aus der Ruhe, auch wenn der 75-jährige erst vor einem Jahr – mehr zufällig – zum Hengsthalter wurde. Mittlerweile sind er und der hübsche dunkelbraune Freibergerhengst ein eingespieltes Team – was auch dem herausragenden Charakter des Pferdes zu verdanken sei, wird Steiner nicht müde zu betonen.
Von klein auf mit Pferden
Einen guten Draht zu Pferden hatte Rudolf Steiner jedoch schon immer. So erinnert er sich noch, wie er bereits als Bub mit den Pferden Feldarbeiten verrichtete. Sein Vater konnte das kleine Heimet am Rande von Sumiswald ein paar Jahre vor Ruedis Geburt in Pacht nehmen. Die Zukunft war jedoch eine Unsichere: «Das Land gehörte der Gemeinde und immer wieder haben wir ein Stück davon für Realersatz verloren, wenn im Dorf gebaut wurde», erinnert Steiner sich.
Später im Militär zog es Ruedi Steiner zuerst zu den Reitern, jedoch habe ihm dort das Konkurrenzdenken untereinander nicht so behagt. So ging er bald seiner zweiten grossen Liebe nach, den grossen Motoren und so sattelte er auf Panzer um. Jedoch gab es zuhause auf dem kleinen Emmentaler Familienbetrieb fast immer Pferde. Zuerst eigene, später zusätzlich Pensionäre.
Voll auf Maschinen gesetzt
Später als er im Welschland arbeitete, konnte der junge Ruedi Steiner auf den grossen Landwirtschaftsbetrieben eine andere Mechanisierung kennenlernen als es damals im Emmental gab. So schaffte er sich in der Region Sumiswald die erste Hartballenpresse an und war bald bei Heuwetter ein sehr gefragter Mann. Eine Geschäftigkeit, die Steiner gefiel und so wurde aus ursprünglich einer Ballenpresse bald ein vielseitiges Lohnunternehmen, das mehr und mehr Zeit und Flexibilität beanspruchte – insbesondere im kleinstrukturierten Emmental. Ebenfalls die Rundballenpresse brachte Steiner bereits früh ins Emmental: «Ich erinnere mich noch an die Anfänge, als es noch keinen Wickler gab und man die fertigen Ballen in eine Art Säcke packte», erzählt er und lacht bei der Erinnerung. Und auch ein Rübenroder gehörte zu seinem wachsenden Fuhrpark. Daraus wurde dann im Laufe der Jahre das heute ortsansässige Lohnunternehmen, die Lowag.
«Zuerst hat sich niemand getraut auf ihn zu sitzen, also bin ich mit ihm ausgeritten.»
Ruedi Steiner, Sumiswald
Ohne Milchvieh
«Doch recht bald musste ich merken, die Milchviehhaltung verträgt sich nicht mit einem Lohnunternehmen», sagt Ruedi Steiner. «Solange mein Vater noch lebte und abends melken konnte, ging es, danach haben wir die Kühe verkauft». So setzte er voll auf das Lohnunternehmen und war auch nach der Pensionierung noch oft zu Spitzenzeiten eine willkommene Aushilfe bei der Lowag. «Ich bin wirklich sehr gerne auf grossen Maschinen unterwegs, aber es kam der Zeitpunkt, als ich auch dort sagen musste, dass sie mich nur noch im äussersten Notfall als Fahrer anfragen dürfen», erzählt er, wie er sich schlussendlich dann doch in den Ruhestand verabschiedet hat. Jedenfalls fast.
Gemütliche Gespräche
Nachdem die Kühe weg waren, gab es im ehemaligen Kuhstall Platz für Pferdeboxen. Dort lebt heute neben Little Boy noch ein Wallach und in der Decksaison Stuten, die auch von weiter her zu Besuch kommen und dann ein paar Nächte bleiben. Im Nebenraum hat Steiner einen Pausenraum mit einer Kaffeemaschine eingerichtet. Diese sei wichtig, betont er schmunzelnd. Er mag den Kontakt mit Menschen, nimmt sich gerne Zeit für ein gemütliches Gespräch. Auch jetzt, wenn er durch Little Boy zahlreiche Pferdehalter zu Besuch hat, geniesst er das Fachsimpeln.
Little Boy kommt ins Emmental
Als der Freiberger Hengst Little Boy vor gut einem Jahr zum Verkauf stand, erwachte bei den Emmentaler Pferdezüchtern der Wunsch, den Topvererber zu sichern. Gekauft hat ihn schlussendlich Hanspeter Steffen aus Grünenmatt. Doch wo den Hengst unterbringen? Einen Deckhengst zu betreuen braucht Zeit und Fingerspitzengefühl – das ist nicht jedermanns Sache. «Eine Deckstation muss zentral sein, muss eine gute Zufahrt haben und es braucht genügend Zeit, um die Stuten zu betreuen und zu decken» erklärt Ruedi Steiner. Ausserdem gilt es auch das Büro akkurat zu führen, sodass am Schluss jede Stute ihre Deckbescheinigung hat.
Die Suche nach einem Stall
Und so klopfte schliesslich Hanspeter Steffen auf der Suche nach einer Bleibe für seinen Hengst eines Tages bei Ruedi Steiner, dem erfahrenen Pferdehalter an. Vorher kannten sich die zwei nicht, obwohl die Betriebe nur durch ein paar Emmentaler Hügel getrennt sind. Jetzt sind sie jedoch ein eingespieltes Team. «Ich habe früher auch auf der Hengststation in Sumiswald ausgeholfen. Damals, als es hier noch eine offizielle Station vom Nationalgestüt hatte», erklärt Steiner. Aber selbst einen Hengst zu halten, da habe er schon zuerst etwas geschluckt. «Aber Little Boy ist so ein anständiger Hengst, der ist einfach zu handeln», resümiert er. In den ersten Tagen sei er etwas ungestüm gewesen in der neuen Umgebung. «Zuerst hat sich niemand getraut auf ihn zu sitzen, also bin ich mit ihm ausgeritten», erzählt Steiner und seine Augen funkeln fröhlich beim Gedanken an das Abenteuer.
Seither reitet er den Hengst regelmässig und auch seine Tochter sowie eine Nachbarin sorgen dafür, dass das stolze Tier genügend Bewegung bekommt. Doch derzeit mangelt es ihm nicht an Arbeit. Bereits hat Little Boy in diesem Frühling 23 Stuten gedeckt. Und Ruedi Steiner hat Freude wenn, etwas läuft auf seiner Deckstation und er manchem Züchter ein Kaffee aufstellen kann. Gerne erzählt er dann vom braven Little Boy und von seinem Abenteuer, im Alter noch Hengsthalter geworden zu sein.
«Little Boy ist so ein anständiger Hengst, der ist einfach zu handeln.»
Ruedi Steiner, Sumiswald
Helfer beim Gotthelfmarkt
Dann zupft er am Strick, der Hengst macht noch schnell einen Kontrollgang ins Tenn, bevor er zurück in seine Box trottet. Heute gibt es nichts zu decken und bald wird die Decksaison vorbei sein. Dann wird es auf dem Hof wieder etwas stiller.
Doch langweilig wird es wohl nicht, beim unternehmungslustigen Ruedi Steiner. Auch wenn er sich fest vorgenommen hat, dass er heuer nicht mehr helfen wird, wenn für den Gotthelfmarkt Besucher aus der ganzen Schweiz nach Sumiswald reisen. Jahrelang hat Steiner dann immer dafür gesorgt, dass jeder einen Parkplatz gefunden hat. Heuer soll es ohne ihn gehen: «Oder vielleicht helfe ich nicht mehr so viel – wir werden sehen», Steiner schmunzelt und zwinkert fröhlich.
«Es ist ein bisschen wie ein Märchen»
Wie kam es dazu, dass Sie Little Boy gekauft haben?
Hanspeter Steffen: Es war Zufall. Im Pferdezucht- und Pferdesportverein Burgdorf gab es seit zwanzig Jahren keinen Hengst mehr. So kam unter uns Mitgliedern immer wieder die Idee auf, einen Hengst zu kaufen. Little Boy begeisterte mich schon länger mit seinem Charakter und mit seiner Schönheit. Und natürlich war bei ihm das Zuchtpotenzial bekannt.
Sie haben vorher keinen Hengst besessen. Wie kam es zum Entscheid, Hengsthalter zu werden?
Das passierte recht spontan, als ich Little Boy live gesehen habe. Seinen super Charakter zu erleben, war eindrücklich, da habe ich ihn auf der Stelle gekauft und habe es nie bereut. Es kommt mir vor wie mein persönliches Märchen, ein Traum. Geschäftsmodell ist es übrigens keines – oder zumindest kein gutes.[IMG 2]
Was bedeutet es, einen Hengst zu besitzen?
Die Unterbringung bei Ruedi Steiner ist ein Glücksfall. Der Hengst hat mittlerweile einen ziemlichen Fan- klub, der sich um ihn kümmert. So hat sich eine Gruppe um ihn gebildet, die ihn bei seinen Auftritten und Präsentationen vorstellt. Für mich sind solche Anlässe neu, aber immer wieder ein gutes Erlebnis. Wir haben ein paar Projekte für die Zukunft, wie etwa, ihn im Vierspänner zu fahren.
Was bedeutet Ihnen die Freibergerrasse?
Ich habe immer zwei Zuchtstuten, die ich auch in der Landwirtschaft einsetze. Der Freiberger ist ein wichtiges Kulturgut, gerade hier im Emmental. Ich freue mich, wenn ich etwas zu dessen Erhalt beitragen kann. Die meisten Freiberger sind heute Freizeitpferde, und der Charakter zählt mehr denn je. Die Fohlen von Little Boy sind sehr menschenbezogen, auch darum ist er wertvoll für die Zucht.
Wie hat das Umfeld auf den Hengst reagiert?
Er hat im Dorf einen ziemlichen Fanklub mit Schulkindern oder Familien, die ihren Sonntagsspaziergang zu ihm machen, mit Leuten, die ihn regelmässig bewegen. Mit ihm konnte ich schon einigen meiner Freunde den Traum erfüllen, einen Hengst zu reiten, weil er sich auch von normalen Feld- und Wiesenreitern handeln lässt. Also bisher erleben wir nur positive Reaktionen.