Fühlen sich Entlebucher Landwirte einsam? Dies ist überspitzt formuliert die Frage einer Studie von Victoria Junquera, damals noch ETH Zürich, heute Postdoktorandin an der Uni Bern und Florian Knaus, Unesco Biosphäre Entlebuch und Dozent an der ETH Zürich. Um es vorwegzunehmen: Nein, das tun sie grundsätzlich nicht.
38 Prozent «nie einsam»
Wahrscheinlich haben sie aufgrund vieler Berufskollegen in näherer Umgebung und des regen Vereinsleben im Entlebuch sogar mehr soziale Kontakte als Landwirte im Mittelland, so die Vermutung. Die Studie wird kommenden Donnerstag, um 15 Uhr, am BBZN Schüpfheim detailliert vorgestellt. Bereits 2017 wurden 400 Landwirtschaftsbetriebe im Entlebuch angeschrieben, den siebenseitigen Fragebogen füllten 110 Betriebe aus.
Die grosse Mehrheit der Befragten fühlt sich «nie» (38 %), «selten» (40 %) oder «manchmal» (19 %) einsam. Drei Prozent fühlen sich «häufig» oder «sehr häufig» einsam. Das auffälligste Ergebnis gemäss den Autoren war, dass die häufigsten sozialen Kontakte persönlicher Natur und in enger Nähe sind, wie etwa Kontakte zu Freunden, Familie, Kollegen und die Teilnahme an gesellschaftlichen Veranstaltungen oder Organisationen. «Aber gerade in diesen Kategorien meldeten die Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter die grössten Verluste», weiss Victoria Junquera. Umgekehrt haben die Kontakte zu Agrarunternehmen, Banken oder Versicherungen und insbesondere «administrative Kontakte» zugenommen. Interessanterweise haben auch die Kontakte zur Beratung wie dem BBZN zugenommen. Als wichtigste Gründe für die Verschiebung hin zu mehr Kontakten professioneller Natur und weniger persönlichen Kontakten wurde wenig überraschend «höhere Arbeitsbelastung», «Familienzusammensetzung hat sich geändert» oder pauschal «weniger Zeit» angegeben.
Kontakte je nach SAK
Die Autoren konnten nachweisen, dass mehr SAK mit weniger Kontakten mit Familie und Freunden, dafür mit einer Zunahme an Kontakten mit Organisationen in der Landwirtschaft korreliert. Höhere SAK korreliere auch mit häufigerer Einsamkeit, heisst es. Natürlich gibt die umstrittene Kennzahl SAK (Standardarbeitskraft) nur bedingt Auskunft über die Arbeitsbelastung auf einem Betrieb, sind doch Mitarbeiter, Infrastruktur oder auch allfällige Nebenerwerbe Parameter, die einen gewichtigen Einfluss haben.
Betriebe in höheren Lagen (Bergzone 2–4) seien sozial nicht isolierter, so eine weitere Erkenntnis der Studie. Wer viele Tiere (GVE) hat, verfüge hingegen über häufigere persönliche und berufliche Kontakte. Die Autoren gehen davon aus, dass diese Gruppe unter Kollegen als «erfolgreich» angesehen wird und ein grösseres Netzwerk hat. Labels (z.B. Bio oder Echt Entlebuch) wirkten sich ebenfalls positiv auf das soziale Netzwerk aus. «Es finden sich da vermutlich Leute mit ähnlichen Idealen, Betriebsausrichtungen und Problemen», so die Autoren.
Entlebucher sind im Schnitt
Victoria Junquera und Florian Knaus zeigen sich positiv überrascht, dass die grosse Mehrheit der Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter angab, sich selten oder nie einsam zu fühlen. Ein gutes Zeichen. Einsamkeit könne zu einem höheren Risiko für psychische oder physische Gesundheitsproblemen führen. Die Ergebnisse der Entlebucher Landwirte weichen nicht wesentlich von denjenigen der allgemeinen Schweizer Bevölkerung ab. Die Autoren ergänzen, dass der Strukturwandel oft aus rein technisch-administrativer Sicht diskutiert werde. Die Studie zeige, dass strukturelle Veränderungen Auswirkungen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene haben. Und dass der Strukturwandel einen Verlust an Sozialkapital in ländlichen Regionen zur Folge haben kann.
Beim Fragebogen mussten die Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter die Situation von 2017 mit 2000 vergleichen. Interessant dürfte in einigen Jahren sein, wie sich Automatisierung und Digitalisierung auf den Betrieben auf das Einsamkeitsgefühl auswirkt.
Vorstellung der Ergebnisse am 4. Dezember, 15 bis 16 Uhr, Apéro im Anschluss. BBZN Schüpfheim. Anmeldung erwünscht: f.knaus(at)biosphaere.ch