Ein Interview gegen Jahreswechsel, da lässt sich 2020 ein Thema nicht ausklammern: Wie haben Sie die Corona-Pandemie als Künstlerin erlebt? In einem Interview haben Sie gesagt, Sie hätten Ihre Agenda entsorgt.

Patti Basler: Nicht ganz entsorgt, ich habe in Zeiten der Digitalisierung eine elektronische Agenda. Ich habe aber tatsächlich Anfang März, vor dem ersten Lockdown, alle Termine rausgelöscht. Mir war klar, dass das Bühnenschaffen, wie man es kennt, eine Zeit lang nicht mehr stattfinden wird. Als Bauerntochter kenne ich das. Man will heuen, aber es regnet. Es macht dann keinen Sinn, dem schönen Schnitt hinterherzutrauern, man muss stattdessen andere Dinge tun. 

Einige Künstler haben begonnen, ihre Kunst gratis im Internet «anzubieten» – teilweise auch Sie. Auf Ihrer Website veröffentlichen Sie «Briefe aus dem Lockdown». Warum haben Sie sich dafür entschieden?

Für mich war das keine grosse Umstellung, weil ich es vorher schon gemacht habe. Kunst ist ja keine Frage des Wollens, sondern eine Frage des Müssens. Kunst muss raus. Ich bin nicht Künstlerin geworden, weil ich es sein wollte, sondern weil etwas in mir schlummert, wächst und entsteht, das ich dann raushauen muss. Ich habe schon Videos gedreht und Briefe auf meinem Blog veröffentlicht, als mich noch kein Mensch kannte.  Nur hat es damals noch niemand gelesen.

 

Zur Person

Patti Basler (44) ist Slampoetin, Autorin, Kabarettistin und Satirikerin. Sie wuchs auf einem Bauernhof in Zeihen AG auf. Nach dem Lehrerdiplom machte sie das Lizenziat an der Universität Zürich in Erziehungswissenschaften, Soziologie und Kriminologie. 2018 wurde sie Vize-Schweizer-Meisterin im Poetry Slam. 2019 gewann sie für die Schweiz den Salzburger Stier.

 


Wie haben Sie die Pandemie finanziell überstanden?

Ich hatte tatsächlich sehr viel Glück. Ich war die letzten zwei Jahre auf dem Zenit meiner Künstlerinnen-Karriere. Ich habe in dieser Zeit den Salzburger Stier und den Prix Walo gewonnen. Daher habe ich aktuell einen gewissen Marktwert. Ich durfte an verschiedenen Tagungen und Kongressen mein Instant-Protokoll machen. Das ist meine Milchkuh. Beim Fernsehen verdient man entgegen der landläufigen Meinung sehr wenig Geld. Es hilft dabei, bekannt zu werden. Ich habe in den letzten zwei Jahren gut verdient und konnte etwas zur Seite legen. ­Dadurch hatte ich einen guten Ansatz bei der Ausfallentschädigung für Selbstständigerwer-bende. Andere Künstler haben bloss 15 Franken pro Tag bekommen. Ich will nicht meinetwegen jammern, ich habe Angst um die ganze Branche. Die ersten Theater mussten bereits schliessen. Ich kenne Künstler(innen), die zurück in ihren Ursprungsberuf gegangen sind. Mein Bühnenpartner Phillippe Kuhn ist professioneller Musiker. Wir haben in seinem Studio Songs und Videos produziert und Auftragsarbeiten umgesetzt. Manche Firmen ­haben von uns Videos für die Mitarbeitenden produzieren lassen, weil wir nicht wie geplant an der Weihnachtsfeier auftreten konnten.

Sie sind auf einem Bauernhof im Fricktal aufgewachsen.  Wie haben Sie Ihre Kindheit erlebt?

Wahrscheinlich wie die meisten Bauernkinder. Ich bin in einer Siedlung ohne unmittelbare Nachbarn aufgewachsen, es war also ruhig, fast etwas einsam. Ich habe zum Glück zwei Schwestern, eine ältere und eine jüngere. Wie viele Bauerntöchter habe ich ein Chriesi-Trauma. Die ganzen Ferien mussten wir in diesen huere Bäumen verbringen. Im Sommer Kirschen ernten, dabei möchte man lieber mit den anderen Kindern in die Badi. Im Herbst dann Äpfel auflesen, im Winter Äste, im Frühling Äpfel ausdünnen. Auf so einem Hof ist ja immer etwas los. Der Besamungstechniker kommt vorbei, der Tierarzt, die Milchkontrolleurin. Wir hatten immer viel Besuch. Mit allen hat man noch ein Kafi oder ein Kafi Schnaps getrunken. Ich hatte eine glückliche, behütete Kindheit. Gleichzeitig fehlte mir gelegentlich etwas, das ich noch nicht benennen konnte. Später wurde mir klar, dass es das kulturelle Leben war.

Wann und wie haben Sie gemerkt, dass Sie lustig sind und ein Faible für Sprache haben?

Mein Vater ist eine Art Bauer und Dichter. An jeder Hochzeit, jedem Familienfest und jedem Männerchorkonzert hat er entweder den Conférencier gespielt, ein Värsli brünzlet oder eine Schnitzelbank aufgeführt. Wir Töchter haben das als selbstverständlich übernommen. Mir war nicht klar, dass ich in ein Freundschaftsbuch auch ein Zitat hätte schreiben dürfen. Ich dachte immer, alles was man schreibt, muss man selber dichten. Schon mit vier habe ich gedichtet, gereimt, und lustige Sprüche erfunden. Ich hatte im Kindergarten erste Auftritte als Slampoetin, bevor es das gab.

Wann haben Sie zur Slam-Poetry gefunden?

Spät, ich war Anfang dreissig. Ich habe gleichzeitig mit Hazel Brugger begonnen, die über zehn Jahre jünger ist als ich. Ich habe auf ländlichen Bühnen angefangen, an der Fasnacht Schnitzelbänke aufgeführt oder Dorfmusik-Konzerte auf Comedy-Art moderiert. Als ich von zu Hause auszog, wohnte ich erst in Aarau, dann in Baden AG. Ich hatte kein Netzwerk in der Kultur und kannte nicht die richtigen Leute. Ich arbeitete als Lehrerin. Unterrichten ist zwar auch wie auf der Bühne stehen, aber am Schluss bekommt man leider keinen Applaus. Wenn man eine Zugabe will, muss man jemanden zum Nachsitzen verknurren. Auf Dauer war es das nicht. Ich wollte nicht auf ewig beim Satz des Pythagoras und beim Passé Composé hängen bleiben. Ich brauchte mehr geistiges Futter, also habe ich mein Zweitstudium in Erziehungswissenschaften, Soziologie und Kriminologie abgeschlossen. Auf die Dauer war es das dann auch nicht. Es war zwar mehr intellektuelles Futter, ich war gut darin, hätte doktorieren können, aber nun war es mir zu wenig kreativ. Das ist mein Rucksack: Bauerntochter, Lehrerin, Wissenschafterin. Aus all diesen Erfahrungen kann ich Kreativität schöpfen.

Was wünschen Sie der Schweizer Landwirtschaft?

Ein stärkeres Selbstbewusstsein. Bäuerinnen und Bauern arbeiten mehr als die meisten, verdienen aber weniger. Der erste Sektor ist wichtig. Die Menschen aus der Landwirtschaft können stolz auf sich sein. Ich würde mir wünschen, dass sie diesen Stolz gegen aussen tragen. Und ihn nicht nur mit einem blöden ­Edelweisshemd ausdrücken. Sie könnten ruhig selbstbewusst zu einem Blocher oder einer Sommaruga hingehen und sagen: «Hey, ich arbeite im Fall auch hart für dieses Land, wir sitzen im gleichen Boot.» Die Landwirtschaft und die Politik sind sich näher als man denkt. Beide sind auf den Standort Schweiz angewiesen und Bezüger von staatlichem Geld, im Falle der Bäuerinnen und Bauern übrigens absolut zu Recht. Die Bauern überlassen die Aufklärungsarbeit zu oft der SVP. Sie könnten ruhig mehr mit den Linken und Grünen zusammenspannen, denn den meisten Rechten geht es nur um die eigene Kohle, wenn wir ehrlich sind. Meine Schwester ist SP-Politikerin und war Co-Geschäftsführerin des Schweizerischen Bäuerinnen- und  Landfrauenverbands. Den urbaneren Mitgliedern in der SP muss sie regelmässig erklären, wie Landwirtschaft funktioniert. Mit Aufklärung holt man vielleicht auch die linksgrüne Stadtpolitikerin ab.

Worauf achten Sie beim Einkaufen?

Ich würde es als Milchbauerntochter nie übers Herz oder über die Hand bringen, deutsche Milchprodukte zu kaufen. Milch und Fleisch kaufe ich immer aus der Schweiz. Auch bei Obst, Gemüse und Brot achte ich stark auf hiesige Herkunft. Ich kaufe IP-Produkte, manchmal auch Bio.

Zum Schluss soll dieses Interview noch etwas weihnächtlich werden. Was bedeutet Ihnen Weihnachten?

Ich bin nicht unbedingt wahnsinnig gläubig, aber als Katholikin habe ich gerne Traditionen. Wir sind ja Traditionalisten, die uns von Feiertag zu Feiertag und von Fasnacht zu Fasnacht hangeln. Es ist die dunkle und kalte Zeit. Da bringen Rituale und das Licht des Adventskranzes Hoffnung, dass es doch wieder hell und warm werden wird und die Bäume irgendwann wieder ausschlagen. In normalen Jahren hätte ich um diese Zeit viele Auftritte. Heuer ist alles etwas anders. Am 26. Dezember wird ein neues Projekt auf SRF 1 ausgestrahlt. Eine Talkshow, in der ich mit Viola Amherd auf humorvolle, satirische Art aufs Jahr zurückschaue. Mein Bühnenpartner und ich machen das  zum ersten Mal. Deshalb werden wir vor und während den Feiertagen viel arbeiten. Aber ich werde sicher auch meine Schwester und Eltern auf dem Bauernhof besuchen. Corona hatte ich nämlich schon, das ist praktisch, ich darf jetzt alle besuchen.

Der «Patti Basler Talk» mit Bundesrätin Viola Amherd, Pianist Philippe Kuhn und Satirikerin Rebekka Lindauer läuft am Samstag, 26. Dezember 2020, um 21.45 Uhr auf SRF 1

 

Kurz gefragt

Zwar aktuell etwas schwierig, aber: Ihr liebstes Reiseziel?

Patti Basler: Irgendeine schöne Bühne im deutschsprachigen Raum, auf der ich auftreten kann.  Schön heisst, mit Publikum, auch wenn das aktuell eher utopisch ist. In Wien würde ich gerne mal auftreten.

Ihre kleinste grösste Sünde?

Ich habe alle zehn Gebote schon gebrochen. Selbst «Du sollst nicht töten», aber das war eine Maus, gell.

Ihr grösster Ärger?

Dinge, die für Rechtshänder designt sind. Ich bin Linkshänderin.

Chaotin oder Perfektionistin?

Tatsächlich beides. Beim Resultat meiner Arbeit bin ich Perfektionistin, so weit wie das geht. Beim Instant-Protokoll funktioniert das eher weniger. Bei der Ordnung bin ich für Aussenstehende sehr chaotisch, ich aber erkenne mein System sehr genau.

Mit welcher Künstlerin oder welchem Künstler würden Sie gerne mal arbeiten?

Kann ich nicht sagen, jene, die ich wahnsinnig gut finde, wären dann meine Konkurrenz. Und man weiss ja nie, ob die dann nicht mühsam wären. Am liebsten arbeite ich mit meinem Bühnenpartner, weil er ein guter Künstler ist. Ich habe also schon gefunden, was ich gesucht habe.

Mit wem, lebend oder tot, würden Sie gerne mal essen gehen?

Ich esse oft Tote, meistens Tiere. Daher kann ich das nicht sagen. Ich hatte zum Beispiel mal ein wahnsinnig schönes Essen mit Albert Rösti vor einer Veranstaltung. Richtig vertraut war das. Auf der Bühne ist er mir dann fast davon gelaufen, weil ich ihm ständig Paroli geboten habe.

2020 in einem Satz?

Eine Armlänge Abstand halten, und zwar mit ausgestrecktem Mittelfinger.