Es ist ein Samstagmorgen im April 1988. Die Familie Walter und Kathrin Stettler aus Gasel BE sitzt am Frühstückstisch. Der Landwirt kaut etwas widerwillig am Brot herum, seine Gedanken sind bei der Kuh Erika. Die Simmentalerin ist daran, zu kalben, ihr riesiger Bauch macht dem Bauern etwas Sorgen. «Wenn das nur gut geht», sagt er zu seiner Frau. Vor dem Morgenessen ist bei Erika schon eine Fruchtblase geplatzt, jetzt heisst es warten, bis es endlich mit der Geburt weitergeht.
Ein dicker Bauch
Wir treffen die Familie Stettler 36 Jahre später, Anfang Dezember, wiederum am Küchentisch. Sie erzählen, wie es war, als ihre Simmentalerkuh Erika vier gesunde Kälber auf die Welt brachte. «Die Älpler-Weissenbach-Tochter kam damals zum dritten Kalb, war trächtig vom Simmentalerstier Zimbo», weiss Walter Stettler noch. Erika habe einen unglaublich dicken Bauch gehabt. Je länger die Trächtigkeit dauerte, desto träger sei die Kuh geworden. «Einige Wochen vor der Geburt hing sie nur noch im Schiebbarren, ihren Kopf immer angelehnt», so der Züchter. Es habe ihm damals schon etwas Angst gemacht, obwohl er immer geglaubt habe, dass die Kuh sicher mehr als ein Kalb in ihrem Bauch trage.
Nur Beine, Beine, Beine
Nach dem besagten Frühstück im April 1988 ging Walter Stettler wieder in den Stall und schaute, wie weit Erika mit ihrer Geburt vorangekommen war. «Mit eigenen Händen kontrollierte ich die Lage, spürte aber nur Beine. So viele Beine, dass ich nicht wusste, zu welchem Kalb sie gehörten», weiss Walter Stettler noch. Das war eindeutig ein Fall für den Tierarzt. Ohne lange zu zögern, musste Hilfe her. Kurze Zeit später fuhr der Tierarzt vor, in Begleitung seiner Assistentin. Der Profi wusste sofort, dass da wohl mehr als ein Kalb im Bauch von Erika schlummerte. Ohne grosse Komplikationen lagen da plötzlich drei Kälber im Stroh. «Der Tierarzt sagte damals noch zu seiner Assistentin: ‹Reck o no einisch iche u lueg, ob da aus i der Ornig isch›.»
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An der BEA ausgestellt
«Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie die Assistentin damals ein ungläubiges Gesicht machte und dabei aufgeregt sagte: ‹I gloube, da isch no einisch äs Chäubli drinne›», so Walter Stettler. Und tatsächlich, auch das vierte Kalb kam gesund auf die Welt. Nun lagen sie da im frischen Stroh, ein Stierkalb und die drei Kuhkälber. Sie wurden Edi, Edelweiss, Enzian und Evelin getauft. Im Durchschnitt waren die Kälber zwischen 22 und 28 kg schwer. «Leider waren die Kuhkälber alles Zwitter und nach einer Blutprobe nicht fruchtbar», bedauert Walter Stettler heute noch. Trotzdem waren die Vierlinge eine Sensation, mehrere Zeitungen schrieben damals über das Ereignis.
Auch die BEA-Verantwortlichen, das heisst Walter Reusser, hatten damals von der Mehrlingsgeburt erfahren. «Er wollte unbedingt, dass man die Kälber an der BEA ausstelle», so der Landwirt. Als die Vierlinge zirka einen Monat alt waren, wurden sie im Mai 1988 schliesslich an der BEA in Bern als Attraktion präsentiert.
«Ich spürte nur Beine, Beine, Beine.»
Walter Stettler erinnert sich an die Geburt der Vierlinge.
Nicht alles falsch gemacht
Kuh Erika habe sich damals sehr gut von der Geburt erholt. «Natürlich war sie nur noch Haut und Knochen. Doch ihre Einsatzleistung von 30,3 kg Milch war doch beachtlich», hält Walter Stettler fest. Zwei Jahre später habe Erika noch einmal Zwillinge bekommen, sei danach aber bedauerlicherweise nicht mehr trächtig geworden. «Ich weiss nicht, ob in der Schweiz schon einmal eine Kuh vier lebende Kälber auf die Welt gebracht hat», sagt der Züchter am Küchentisch. Er, der lange der Reinzucht treu geblieben und mit der Simmentalerrasse gross geworden ist, kann rückblickend sagen, dass ihn die Rasse nie enttäuscht hat.
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Ein Durchschnittsbetrieb
«Schon meine Eltern hatten alles reine Kühe», erinnert sich Walter Stettler zurück. Als er im Jahr 1990 zusammen mit seiner Frau Kathrin den elterlichen Betrieb übernehmen konnte, blieb er der Rasse noch lange treu. Für ihn war die Simmentalerkuh immer eine wirtschaftliche Rasse. «Mein Buchhaltungs-Berater sagte mir einmal, ich habe mit der Rasse nicht viel falsch gemacht», sagt er am Küchentisch und lacht. Stettlers führten damals einen normalen Mittellandbetrieb mit Milchwirtschaft, Ackerbau, zwei Pferden, ein paar Schafen und ein paar Mutterschweinen. Da der Betrieb mit 13 Hektaren eher klein war, arbeitete Kathrin Stettler auch immer auswärts. Vor der Betriebsübernahme hat Stettler noch einige Jahre als Tierpfleger im Tierspital in Bern gearbeitet. «In dieser Zeit habe ich viel gesehen und viel gelernt», erinnert er sich gerne an die Zeit zurück.
Kauf eines Hofes
Wenn Kathrin und Walter Stettler zurückblicken, haben sie in ihrem Leben doch viele schöne Sachen erlebt. Neben der Vierlingsgeburt im Stall war auch der Kauf eines Landwirtschaftsbetriebes im Berner Jura ein prägendes Erlebnis. «Da unser Hof in Gasel eher klein war, hielten wir schon lange Ausschau nach einem Sömmerungsbetrieb», erzählt Stettler. Immer wieder erhielten sie aber Absagen. Dann gelangte ein Dossier von einem verkäuflichen Betrieb in der Gemeinde Sornetan im Berner Jura zu ihnen. «Der reine Grünlandbetrieb hat uns damals sehr gut gefallen und wie es der Zufall wollte, konnten wir ihn schliesslich 2009 käuflich erwerben», sagt das Rentnerehepaar. Von da an gingen Stettlers Kühe von Frühling bis Herbst in den Jura und den Winter verbrachten sie wieder in Gasel. «In dieser Zeit pendelten wir hin und her und da unsere zwei Söhne Simon und Stefan schon erwachsen waren und beide Landwirt lernten, konnten wir die viele Arbeit gemeinsam erledigen», so Stettler. Stefan habe seinerzeit noch eine Zusatzausbildung zum Zimmermann gemacht und Simon die Ausbildung zum Agrotechniker. «Heute können beide Söhne davon profitieren», sagt der Vater stolz.
Inzwischen werden beide Betriebe getrennt bewirtschaftet. «Simon zog es immer in den Jura und er bewirtschaftet jetzt dort mit seiner Familie den Betrieb», sagt Walter Stettler. Stefan mit seiner Familie habe hier in Gasel sein Zuhause und man hat in diesen Betrieb auch laufend investiert. «Wir haben auch einen neuen Laufstall gebaut», erzählt Vater Stettler. Im Stall stehen mit Simmentalern, Swiss Fleckvieh, Red Holstein und mit den Montbéliarde, alles Herdebuchtiere, auch gleich vier Rassen im Stall. «Wir sind damit gut gefahren», hält er fest.
Positiv denken
Rückblickend können Walter und Kathrin Stettler sagen, dass sie als Bauern doch vieles richtig gemacht haben. «Vielleicht hätten wir die eine oder andere Investition etwas früher tätigen sollen, damit es uns leichter gefallen wäre mit der Arbeit», sagt Kathrin Stettler. Heute seien sie glücklich, dass ihre Mitarbeit auf beiden Betrieben noch sehr geschätzt werde.
«Den Jungen rate ich: Denkt positiv und habt Freude an der Arbeit und am Beruf», so der Altlandwirt. Denn das dauernde Gejammer habe Auswirkungen auf das eigene Gemüt. «Wenn ihr ein Ziel habt, verfolgt es und gebt euren Traum nicht auf. Das war auch bei uns so mit dem Hof im Jura. Plötzlich geht da eine Tür auf und der Traum wird doch noch wahr», sagt das Rentnerpaar zufrieden.