Eine quirlige, junge Frau voller Energie und die genau weiss, was sie will, sitzt der Schreibenden gegenüber. Esther Gurtner aus Gümligen BE strahlt über das ganze Gesicht, wenn sie über ihre grosse Leidenschaft, das Backen, erzählt. Zwar ist sie erst 25 Jahre jung, dennoch ist sie mit ihrer Backkunst bereits seit fünf Jahren selbständig.
Das Glück auf der Seite
Esther Gurtner hat öfters in ihrem Leben Glück gehabt, etwa bei der Berufswahl oder beim Einstieg in die Selbständigkeit. Sie sagt: «"Ich bin glücksverwöhnt." Nun könnte diese Tatsache als Selbstverständlichkeit hingenommen werden. Aber nicht so bei der jungen Konditorin-Confiseurin. Esther Gurtner weiss, dass nicht alle Leute so viel Erfolg beim beruflichen Einstieg haben. Sie schätzt daher die glücklichen Fügungen sehr. Trotz allem Glück hat Esther Gurtners Familie einen Schicksalsschlag hinter sich, aus dem jedoch wiederum ein glückliches Ende entstand. Denn ohne eine ernste Erkrankung des Vaters wäre die 25-Jährige heute kaum schon selbständig tätig. Aber der Reihe nach. In Gümligen wächst Esther Gurtner zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Simon als Bauernkind auf. Die Eltern Heinz und Susanne betreiben Gemüse- und Ackerbau, halten Freilandhühner und verkaufen die Erträge auch im eigenen Hofladen. Schon als Kind liebte es Esther Gurtner zu backen. Früh war daher der Berufswunsch klar: Konditorin-Confiseurin.
Die Krux der Buchhaltung
Am Ende ihrer ersten Schnupperlehre bekam sie einen Ausbildungsplatz angeboten. "Da hatte ich Glück", weiss Esther Gurtner. Nicht mal eine Bewerbung habe sie schreiben müssen. Nach der Ausbildung hängte sie erfolgreich die Berufsmaturitätsschule an. Zwar bemerkte ihr Lehrer, sollte sie sich je einmal selbständig machen, solle sie doch bitte die Buchhaltung jemand anderem überlassen. "Buchhaltung habe ich einfach nie kapiert", erklärt Esther Gurtner und lacht etwas verschämt. Wie rasch die selbständige Tätigkeit Tatsache werden würde, ahnte zu diesem Zeitpunkt niemand.
Kunden gewinnen
Der Vater erkrankte schwer und war auf eine Spenderniere angewiesen. Doch das Glück war der Familie zugetan, denn seine Ehefrau Susanne kam als Spenderin infrage. Esther Gurtner kündigte ihre Arbeitsstelle und arbeitete in dieser Zeit auf dem Hof. Die Eltern erholten sich jedoch schneller als erwartet und konnten ihre Arbeit wieder aufnehmen. Bereits früher hatte Vater Heinz gewitzelt, er baue den alten Milchraum zu einer Backstube um. Dieses Vorhaben setzte er in die Tat um. So kam es, dass Esther Gurtner mit 20 Jahren selbständig wurde. Sie begann, täglich ein Sortiment an Patisserie und Pralinen herzustellen, welches sie im Hofladen verkaufte. Die Kunden der Eltern wurden auch zu ihren Kunden. Das Angebot sprach sich herum, ohne dass die Confiseurin dafür Werbung machen musste. Nebst dem täglichen Angebot nahmen auch die Bestellungen für Spezialaufträge wie Torten zu. "Und wieder hatte ich Glück", erzählt sie.
Betriebszweig Backen
Das Geld für die Profi-Geräte hat sich Esther Gurtner nach und nach selbst zusammengespart, erzählt sie sichtlich stolz. Die Hofbäckerei ist mittlerweile zu einem eigenständigen Betriebszweig geworden, den Esther Gurtner in Vollzeit führt. Den Rat ihres Lehrers hat sie sich jedoch zu Herzen genommen. Die Buchhaltung erledigt Vater Heinz, verrät sie und lacht dabei herzhaft. Alles andere, wie verkaufte Mengen und Kalkulationen hat Esther Gurtner selbst im Griff. Auch das Backen erledigt sie komplett in Eigenregie. "Ich kann schlecht abgeben", weiss sie. Dass das zuweilen Arbeitstage von 14 bis 16 Stunden bedeutet, etwa in der Weihnachtszeit, nimmt sie in Kauf. Einzig am Samstagmorgen früh darf der Vater, um wach zu werden, die jeweils 30 bis 40 geflochtenen Zöpfe mit Eigelb bestreichen, schmunzelt die Confiseurin. Noch mehr Arbeit als sonst in der Weihnachtszeit bescherte ihr im vergangenen Dezember der Siegertitel "Marmite Youngster Selection 2019" in der Kategorie Patisserie. Ohne Ambitionen trat Esther Gurtner bei diesem Wettbewerb an. Mit jeder überstandenen Vorrunde stieg jedoch der Ehrgeiz. Dass es schlussendlich gar für den Sieg reichte, sei Bestätigung für die tägliche Arbeit, erklärt Gurtner. Und die führt sie gewissenhaft und äusserst konsequent aus. So stellt sie etwa nur Erdbeertörtchen während der Zeit her, in der die Erdbeeren auf dem eigenen Hof reif sind. Die Kunden hätten sich daran gewöhnt und schätzen umso mehr die Qualität und den intensiven Geschmack.
Das ist "Marmite Youngster"
Das Magazin für Gastronomie und Hotellerie "Marmite professional" ist eine der ältesten Gourmetzeitschriften des Landes und habe die Esskultur in der Schweiz mitgeprägt und dokumentiert. Dies heisst es auf deren Website. Früher war das Magazin auch unter dem Namen «Pauli Cuisine» und später "Suisse Cuisine" herausgegeben worden. Jährlich vergibt das Magazin den Award Marmite Youngster Selection in den drei Kategorien Service, Patisserie und Küche. Am Wettbewerb teilnehmen können junge Gastrotalente bis 30 Jahre und mit einer abgeschlossenen Ausbildung. Der Wettbewerb umfasst eine Bewerbung und anschliessend mehrere Vorrunden, bis die fünf Teilnehmer der Finalrunde feststehen. Der "Marmite Youngster" sei der repräsentativste und prägendste Wettbewerb für Jungköche und -köchinnen, Pâtissiers und Pâtissières sowie Servicetalente in der Schweiz, heisst es auf der Website weiter.
Keinen Spass im Ausgang
Das alles bedeutet viel Arbeit und Verantwortung für die 25-Jährige. Hat Esther Gurtner nie das Gefühl, etwas verpasst zu haben? Nein. In den Ausgang zu gehen, habe ihr noch nie viel Spass gemacht. Sie trifft sich viel lieber mit ihren Freundinnen dreimal wöchentlich zum Unihockey-Training, wo sie in einer Nationalliga-B-Mannschaft spielt. Das helfe, den Kopf zu lüften und für kurze Zeit die Gedanken vom Geschäft abzuschalten. Der Sport hilft Esther Gurtner zudem, dass der tägliche Genuss von Süssem drin liege, ohne der Figur zu schaden, verrät sie lachend. Denn davon kriegt sie nie genug.
Weitere Infos: www.chezesther.ch