Die Bäuerin Susanne Gygax-Weiss erzählt lachend: "Am 1. Januar hat unser mittlerer Sohn Christian, der in der Wohnung im zweiten Stock logiert, den Hof übernommen. Bis jetzt habe ich aber nicht gespürt, dass ich weniger Arbeit habe." Der Betriebszweig Pouletmast ist weiterhin ganz in ihrer Verantwortung. Gestern wurden junge Bibeli geliefert, die nun intensiv betreut werden müssen. Anfangs gehe sie viermal täglich auf Kontrollgang, denn die Situation im Kükenstall könne sich innerhalb weniger Stunden ändern. Es sei wichtig, die Herde gewissenhaft zu beobachten. "Mir gefällt diese Aufgabe", hält sie fest, «und ich bin froh, dass ich sie weiterhin innehabe.»
Christian Gygax hat auswärts eine Vollzeitstelle. Das bedeutet, dass die Eltern bei ihm angestellt sind. Vater Ueli Gygax betreut die 20 Milchkühe, die jetzt allerdings nach und nach vom Hof gehen, weil der Sohn die Milchwirtschaft aufgeben wird.
Stolze Grossmutter
Susanne Gygax wuchs in einer nichtbäuerlichen Familie in Burgdorf BE auf. Sie ist gelernte Textilentwerferin mit Weiterbildung als Facharbeiterin für Textiltechnik (Schaftweberei) und diplomierte Bäuerin. Ihren Mann lernte sie an einem Tanzanlass in Koppigen BE kennen. Sie heiratete ihn 1982.
Auf die Frage, ob es sie nicht gestört habe, dass ihr Auserwählter Bauer sei, antwortet sie: "Mir gefiel der Mann, sein Beruf war nebensächlich. Sein Vater sagte aber schon bald, wenn ich auf den Hof ziehen würde, würde er dafür sorgen, dass wir in unserer eigenen Wohnung leben könnten." Der Schwiegervater richtete in dem behäbigen grossen Bauernhaus eine Bleibe her für das junge Paar, das schon bald drei Kinder hatte: Adrian, der in Kriegstetten BE wohnt, Christian, der Hofnachfolger, und Monika, die auch als Bäuerin in Bleienbach BE lebt. Die stolze Grossmutter zeigt Fotos von ihren sieben Grosskindern und weiss zu jedem eine amüsante Geschichte zu erzählen.
Überbordenende Fantasie
Kommt man auf die Hobbys zu sprechen, fragt Susanne Gygax mehr sich selbst als ihr Gegenüber: "Ja, wo soll ich anfangen?" Bereits als Kind habe sie gerne gezeichnet und gebastelt. Sie erinnert sich an Püppchenwiegen aus Baumnussschalen, die sie ohne Vorlage und ohne Erwachsenenhilfe zauberte. Sie wollte nie Grosses, Derbes herstellen, sondern Feines, Reizvolles. Wohl deshalb kam sie 1996 nach Umwegen über verschiedene Kunsthandwerke zum Scherenschnitt.
Auf der Suche nach einer Freizeitbeschäftigung, die sie fordern und fesseln würde, probierte sie unter anderem auch Frivolités aus. Diese alte Handwerkstechnik wird mit zwei einfachen Instrumenten, den sogenannten Schiffchen, und Häkelgarn ausgeführt. Als sie sattelfest war in den Grundknoten und gelernt hatte, Bordüren für Verzierungen herzustellen, gab sie selbst Kurse. Später besuchte sie einen Scherenschnittkurs, angeboten vom Bäuerinnen- und Landfrauenverein Wasseramt. Sie entdeckte die Technik und wusste sofort: Das ist es! Hier konnte sie die überbordende Fantasie, die sie seit frühester Jugend in sich trug, mit viel Begeisterung ausleben und mit viel Raffinesse und Geduld ihre Kunstwerke gestalten. Unglaublich, was Susanne Gygax an Kreativität und an Ideenreichtum in ihre Bilder einfliessen lässt. Sie sagt, sie kopiere niemanden, weder andere noch sich selbst. Ihre Gestaltungskraft scheint unerschöpflich und ist es wahrscheinlich auch. Sie öffnet Schränke und Schubladen und präsentiert ihre Werke. Es sind Kostbarkeiten, die einem mit offenem Mund staunen lassen. Wenn es ihr die Zeit erlaubt, stellt sie zwei- bis dreimal pro Jahr aus.
Scherenschnitte auf Wunsch
Susanne Gygax erfüllt mit Scherenschnitten aber auch individuelle Wünsche, wie den einer Frau, die ein Exemplar zum 70. Geburtstag ihres Vaters bestellte. Es sollte folgende Sujets enthalten: die zehn Grosskinder in den verschiedenen Altersstufen, eine Trachtengruppe um den Maibaum herum und schottische Hochlandrinder in natürlicher Umgebung. Der zeitliche Aufwand für ein solches Kunstwerk beträgt rund 60 Stunden. Stunden voller Zufriedenheit. Neben ihrem "eigentlichen" Hobby, dem Kreieren von Scherenschnitten, ist sie aktives Mitglied in einer Turngruppe und im Samariterverein.
Es geht gegen Mittag. "Ich bin schon eine halbe Stunde zu spät dran", sagt die Bäuerin unaufgeregt. Heute hat sie fünf Personen zu Gast und weiss: Das Mittagessen wird trotz Interviewtermin rechtzeitig auf dem Tisch stehen.