Im Büro von Karin Gysel hängt der Spruch: «Mache erst das Nötige, dann das Mögliche und plötzlich schaffst du das Unmögliche.» Die Laufbahn der 28-Jährigen scheint diese Aussage zu bestätigen: Mit 19 Jahren wurde sie Geschäftsführerin der Schleitheimer Landi, mit 25 Jahren Mitinhaberin und Mitgeschäftsführerin einer florierenden Landmaschinenfirma, und mit 27 Jahren erwarb sie das elterliche Bauernhaus.
Die Landi-Geschäftsführung war ein Wagnis
Die gelernte Landwirtin hatte die landwirtschaftliche Handelsschule absolviert, und danach bewarb sich Karin Gysel für die Stelle der Geschäftsführerin der Landi Schleitheim SH. Es war ein Wagnis – für den Vorstand und für sie. «Der Vorstand hatte Sorgen, es gab Diskussionen», meint sie. «Ich selbst konnte nichts verlieren.» Zwei Frauen waren bereits angestellt. Dieses Frauenteam krempelte die Landi in einen fröhlichen, ansprechenden Dorfladen um, in dem sich jede und jeder wohlfühlte. Der Vorstand konnte wieder ruhig schlafen, die Geschäftsführerin dafür weniger gut ausspannen an ihren freien Dienstagnachmittagen. «Wie kannich in den Garten liegen, wenn die Dorfbewohner vorbeifahren? Was würden diese auch denken?»[IMG 2][IMG 3]
Zusammen mit zwei weiteren Frauen krempelte Karin Gysel die Landi in einen fröhlichen, ansprechenden Dorfladen um, in dem sich jede und jeder wohlfühlt.
Half viel auf Bauernhöfen und wurde schliesslich Landwirtin
Karin Gysel wuchs auf dem Brunnenhof auf, in einem Seitental von Schleitheim. Sie und ihr jüngerer Bruder wurden von klein auf zu Selbstständigkeit erzogen und mussten Verantwortung übernehmen. Sie bekamen «ein Schupf auf den Hintern», wie sie lachend erzählt, aber immer mit dem Wissen, dass der nötige Rückhalt da ist. Das Land vom Brunnenhof war verpachtet, aber das Geschwisterpaar half viel auf den Betrieben der Nachbarn und der Verwandtschaft aus.
«In der Landwirtschaft sind die Menschen unkompliziert und allesamt ‹Macher›.»
Karin Gysel, Landwirtin und Mitbesitzerin einer Landmaschinenfirma.
Sie fasste den Entscheid, Landwirtin zu lernen. «Mich fasziniert nach wie vor die Vielseitigkeit des Berufs», sagt Karin Gysel. «Die Menschen sind unkompliziert und allesamt ‹Macher›.» In der Landwirtschaftsschule war sie eine von zwei Frauen unter 30 Männern. «Ich empfand das eher als Vorteil», bekennt sie. Ihr ungezwungener Umgang mit der männlichen Welt kam ihr auch im Landi-Vorstand zugute; in ihrem heutigen Umfeld sogar noch mehr.
Das Paar ist ein starkes Team, privat als auch geschäftlich
Karin Gysels Lebenspartner, Hansueli Schelling, wollte schon immer selbstständig werden. Für ihn bestand die Möglichkeit, die Firma zu übernehmen, in der er seine Landmaschinenmechaniker-Lehre absolviert hatte. Das Paar musste eine Entscheidung treffen; es gab schlaflose Nächte. Die Geschäftsübernahme war ein grosser finanzieller Schritt, der viel an Verantwortung abverlangen würde. War die Landi-Geschäftsleitung ein kleines Wagnis, ging es hier um viel mehr. Beide waren sie in guter Anstellung. Karin Gysel war erst 25-jährig, Hansueli 31. Doch diese Chance war einmalig. Ihre beiden Familien unterstützten ihr Vorhaben. Besonders Karins Götti machte ihnen Mut.
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Karin Gysel vor dem Landmaschinengeschäft in Löhningen SG, das sie zusammen mit ihrem Partner besitzt und betreibt.
Hart zu arbeiten waren sich beide gewohnt. «Ich bin so aufgewachsen, dass man arbeitet. Nur am Sonntag war frei», erzählt die junge Frau. «Aber wenn meine Grosseltern von früher erzählen, denke ich, die mussten noch mehr krampfen als wir.» Die Grosseltern mütterlicherseits haben die junge Frau stark geprägt. Diese geniessen es sehr, wenn ihre Enkelin sich Zeit für sie nimmt und mit einem Kuchen auf einen Besuch vorbeikommt.
Tatkräftige Unterstützung von Familie und Freunden
Ende 2019 wurde die Firma unter dem neuen Management eröffnet. Eine strahlende Geschäftsführerin schenkte den zahlreichen Besuchern Riesling ein. Ihr grosser Familien- und Bekanntenkreis stand am Grill, frittierte Pommes-Frites und machte Kaffee. Nach dem Start läuft das Geschäft gut. Karin Gysel und Hansueli Schelling sind ein starkes Team. Er leitet die Werkstatt und führt den Verkauf. Ihre Erfahrung aus vorgängigen Anstellungen kommt Gysel in der Administration und im Lager zugute. «Dass der vorherige Inhaber uns beim Übergang beistand und noch heute in der Werkstatt mitwirkt, hat uns enorm geholfen», sagt sie.
«Der Brunnenhof ist für mich Heimat»
Kaum waren sie im Geschäft etabliert, wurde das Elternhaus von Karin Gysel frei zum Erwerb. «Der Brunnenhof ist für mich Heimat», erklärt sie. Eine intensive Zeit folgte mit einer grösseren Renovation des Hauses und gleichzeitig die Arbeit im noch jungen Geschäft. «Wir hatten immer viel Unterstützung von der Familie, sowohl beim Umbau, als auch im Geschäft», sagt die umtriebige Frau. «Eine grosse Rolle spielt auch die Beziehung. Hansueli und ich waren abends immer miteinander lange auf dem Bau, oder am Samstag im Geschäft. So kann die gemeinsame Zeit mit der Arbeit verbunden werden, und abends ist niemand hässig, weil der andere wieder so lange weg war.»
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Karin Gysel konnte den Brunnenhof, ihr Zuhause, von den Eltern erwerben.
Keine weiteren Ämter mehr
Weg ist Karin Gysel trotzdem – in der Feuerwehr, im Vorstand der Schleitheimer Landfrauen und der Güterkorporation (Güko). «Das Amt in der Güko habe ich angenommen, weil mich immer wieder fasziniert,was Landwirte alles leisten,was die meisten Leute gar nicht wahrnehmen.» Die Bauern dabei zu unterstützen, gibt ihr ein gutes Gefühl. Sie wünscht sich, dass die Schweizer Landwirtschaft wieder mehr geschätzt wird.
Doch dann meint Karin Gysel bestimmt: «Jetzt ist es aber genug mit diesen Ämtli, mehr werden es nicht mehr!» Zeit nur für sie selbst bleibt ihr nicht viel. Das beschäftigt sie zwar nicht: «Das geht den meisten anderen in unserem Alter auch so.» Der Garten ist ihr Rückzugsort. Um das alte Bauernhaus herum gibt es viele Winkel, die auf ihre Kreativität warten. Vielleicht bleibt sogar etwas Zeit für die Liege auf dem Sitzplatz. Hoffentlich fahren nicht gerade die Bauern aufs Feld, was würden die wohl denken? Und wenn auch, sie hat ja doch nur am Sonntag Zeit dazu.