Hätte jemand der Bauerntochter Bettina Tiefenbach vor 25 Jahren gesagt, dass sie einmal bauern und den elterlichen Betrieb vor den Toren des Berner Seeländer Städtchens Büren a. A. weiterführen würde, hätte sie vehement widersprochen. Wie so oft im Leben kommt es anders als gedacht. Dies war auch bei der gelernten Pflegefachfrau der Fall. «Nein, so viel krampfen wie meine Eltern, Meertrübeli ablesen bis zum Abwinken und vieles andere mehr, das wollte ich nie. Und nun ist es das Schönste», erzählt sie.
Verkauft wird direkt ab Hof
Seit 2008 führt die 42-Jährige gemeinsam mit ihrem Partner Andreas Kocher den Betrieb, der auf Direktvermarktung ausgelegt ist. Die beiden sitzen am grossen hölzernen Küchentisch in der gemütlichen Küche und erzählen. Dabei blickt Bettina Tiefenbach ihren Partner strahlend an. Ihre Augen leuchten wie die Flamme der ersten Kerze des Adventskranzes auf dem Tisch, während sich draussen die Sonne langsam verabschiedet. Andreas Kocher ist diplomierter Pflegefachmann mit höherer Ausbildung und hat zudem eine kaufmännische Ausbildung im Rucksack.
«Nein, so viel krampfen wie meine Eltern, das wollte ich nie.»
Landwirtin Bettina Tiefenbach hat ihre Meinung betreffend Berufswahl geändert.
Jeden Samstag ist der bediente Hofladen in einem kleinen Gartenhaus mit Obst, Gemüse, Konfitüren, Spirituosen, selbst gebackenem Burebrot, Züpfe und vielem mehr geöffnet. Unter der Woche gilt Selbstbedienung, zudem laden während der Saison die Obst- und Beerenanlagen sowie das grosse Blumenfeld zum Selberpflücken ein.
Eine Lösung muss her
Bereits die Eltern Tiefenbach hatten vor vielen Jahren begonnen, ihre Produkte direkt zu vermarkten. Dass von den fünf Kindern, drei Mädchen und zwei Buben, der jüngere Sohn den Betrieb einmal übernehmen würde, war allen in der Familie klar. Nach der Pensionierung von Vater Walter wurde der Betrieb zunächst an seine Frau Heidi überschrieben. Beide führten den Betrieb wie gewohnt weiter. Gesundheitliche Gründe des Vaters machten 2008 aber eine Übergabe in jüngere Hände nötig, doch der Nachfolger sah sich dazu aus persönlichen Gründen ausserstande. Bettina Tiefenbach und Andreas Kocher hatten zu der Zeit etwas die Freude an der Arbeit im Pflegebereich verloren und zögerten nicht lange. Sie meldeten sich beide zum Landwirtschaftlichen Nebenerwerbskurs an und übernahmen den Hof. Eine Arbeitsstelle in der Pflege teilten sie sich zu Beginn noch im Jobsharing. «Wir waren da schon etwas blauäugig in die Sache gestartet», erinnert sich Bettina Tiefenbach zurück.
Betriebsspiegel Hof Grienmatt
Familie: Bettina Tiefenbach, Andreas Kocher sowie Sohn Robin Tiefenbach (12 Jahre alt)
Mitarbeiter: 5 Teilzeitangestellte
Fläche: 10 Hektaren
Produkte: Obst, Beeren, Gemüse, Schnittblumen, etwas Ackerbau von Mais und Futterweizen sowie Ökoflächen, Kunstwiese
Tiere: 50 Hühner, Schafe (nur zum Gernhaben), Hund, Katze, Maus
Vermarktung: komplette Selbstvermarktung unverarbeiteter sowie verarbeiteter Produkte im Hofladen, auf dem Markt im Städtchen und Hauslieferungen
Die Konsumentenseite im Auge behalten
Es sei denn auch ein turbulentes und schwieriges erstes Jahr gewesen, so Andreas Kocher, da sie keine Vorlaufzeit gehabt hätten. Denn der Einstieg in den Betrieb und die Ausbildung verliefen quasi parallel zueinander. Dazu kamen der Hausumbau und die Schwangerschaft mit Sohn Robin. Doch grosse Unterstützung hat die Familie jederzeit von den Eltern Tiefenbach und auch den Eltern Kocher erfahren. Später hat Bettina den Pflegeberuf ganz aufgegeben, Andreas nach und nach auf 40 Prozent reduziert. Das soll auch so bleiben, erklärt er. Und: «Ich will einen Fuss im anderen Leben behalten.» Es tue gut auch die andere Seite, also die der Konsumenten ausserhalb des Hofes, zu sehen und mit denen in Dialog treten zu können.
«Ich will einen Fuss im anderen Leben behalten.»
Landwirt Andreas Kocher, der weiterhin Teilzeit im Pflegebereich arbeitet.
Die Munis müssen gehen
Nach und nach hat das Paar den Betrieb umgestaltet. Die vorhandene Munimast wurde 2013 aufgegeben, ebenso die Produktion von Zuckerrüben und Kartoffeln. Dafür wurde das Angebot beim Direktverkauf ausgeweitet. Erneuerte Obstanlagen mit unterschiedlichen Sorten ermöglichen eine längere Saison etwa bei den Beeren. Vieles produziert die Familie selbst, anderes wird von umliegenden Bauern zugekauft. Im Alltag immer wieder zugute kommt Andreas Kocher seine Ausbildung im kaufmännischen Bereich.
Qualität kommt vor Quantität
Es liegen nicht immer einfache Jahre hinter dem Paar. Doch den Entscheid zur Betriebsübernahme bereuen beide nicht, auch wenn sie heute einiges anders machen würden als damals. Beiden ist die Qualität ihrer Produkte enorm wichtig. Was ihren Ansprüchen nicht genügt, wird nicht an die Kundschaft abgegeben. «Es ist nicht wichtig, ob am Baum 100 oder 20 Kilogramm hängen. Nicht die Masse zählt bei uns, sondern die Qualität», betont Andreas Kocher. Im Direktverkauf könne man sich keine schlechte Ware erlauben.
Corona bringt weitere Kunden
Während des Corona-Lockdowns konnte das Paar seine Waren nicht mehr am Markt in Büren verkaufen. Dadurch finden heute mehr Kunden den Weg auf den Hof ausserhalb des Dorfes. «Wir waren ein bitzeli vorbereitet», erinnert sich Bettina Tiefenbach und schmunzelt. Das Bitzeli stellte sich aber angesichts der wachsenden Kundschaft schnell als zu wenig heraus. Kurzerhand mussten zusätzliche helfende Hände engagiert werden.
Die Bedienung bleibt weiterhin bestehen
Die Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie haben auch auf dem Hof Grienmatt einige Änderungen mit sich gebracht: Das Gemüse wird nun in einem Zelt und nicht mehr im Verkaufshäuschen angeboten. Zudem gibt es keine Selbstbedienung mehr. Etwas, das die Betriebsleiter auch längerfristig beibehalten wollen.
Schlaflose Nächte müssen vermieden werden
Die Kapazitätsgrenze des Betriebs ist nicht erst seit Ausbruch der Pandemie erreicht. So haben Bettina Tiefenbach und Andreas Kocher Ideen und Pläne den Ökonomieteil um- und auszubauen, einen Hofladen mit Verarbeitungsraum sowie einen guten Lagerraum einzurichten. Auch da geht das Paar unkonventionelle Wege. Um nicht nur auf Bankkredite angewiesen zu sein, können Genuss-Anteilsscheine gekauft werden «Denn, das Projekt muss finanzierbar sein, ohne schlaflose Nächte wegen der Verschuldung», erklärt Andreas Kocher. Zudem werde mit den Anteilsscheinen auch die Kundenbindung weiter gestärkt, sind sich beide sicher.
Genuss-Anteilsscheine erwerben
Neue Wege gehen – Investition in die Direktvermarktung mittels Genuss-Anteilsscheinen. So heisst das Projekt von Bettina Tiefenbach und Andreas Kocher, um die Infrastruktur des Betriebs verbessern und ausbauen zu können. Denn beide sind sicher: «Der Markt für Produkte direkt vom Erzeuger ist noch lange nicht erschlossen und hat ständiges Entwicklungspotenzial.» Dies schreiben sie im Prospekt zum Projekt.
180 m2 Verkaufsfläche
Geplant ist der Umbau des Ökonomiegebäudes. Kernstück wird der neue Hofladen mit zirka 180 m2 Verkaufsfläche sein. Durch diese Grösse der Verkaufsfläche können weitere Waren von andern Betrieben zugekauft werden. Der geplante Hofladen entspreche den modernen Standards zur Warenpräsentation. Interessierte können sich finanziell am Projekt beteiligen, in dem sie Genuss-Anteilsscheine kaufen. «Sie investieren in der Region und können sich persönlich informieren, wie mit ihren Geldern umgegangen wird», heisst es im Prospekt weiter.
Kundenbindung stärken
Die Höhe der Anteilsscheine kann nach eigenen Wünschen ausgestellt werden. Es besteht die Möglichkeit, den geschuldeten Zins in Form von Geldbeträgen zu erhalten oder in Form von Warengutscheinen. Der Zinssatz wird gemeinsam festgelegt. Durch den Verkauf der Genuss-Anteilsscheine werde die Kundenbindung gestärkt, sind sich Bettina Tiefenbach und Andreas Kocher sicher. Ausserdem werde auch die Wertschöpfung in der Region gestärkt, da sie weitere Produkte von anderen Betrieben ins Sortiment aufnehmen können.
Weitere Infos: www.hofprodukte.ch
Die Baubewilligung ist seit Längerem da, Schicksalsschläge innerhalb der Familie und die Mehrarbeit im Zusammenhang mit Corona haben den Baustart bislang verhindert. Doch die Betriebsleiter sind überzeugt, mit dem Bau bald beginnen zu können. Und da wäre ja noch der grosse Traum von Bettina Tiefenbach. In einem zweiten Schritt nach dem Umbau soll ein Hof-Café realisiert werden. Der Besuch auf dem Hof soll längerfristig nicht nur dem Einkaufen dienen, sondern zum Einkaufs-Erlebnis für Gross und Klein werden.