Satt ist das Grün des Grases an den Hügeln des Emmentals. Vom Schulhausplatz aus fahren wir den Südhang hinauf, um über den Heimisbach zu blicken. Hier ist Hans-Peter Heiniger aufgewachsen. Er hat in vierter Generation den Betrieb in Äsch geführt, den er im vergangenen Jahr an seinen Sohn Peter weitergab. Der Landwirt kennt den Graben, der zur Gemeinde Trachselwald zählt, wie seine Hosentasche. Er ist Erhebungsstellenleiter. 68 direktzahlungsberechtigte Betriebe begleitet er noch in dieser Aufgabe und fast so viele private Tierhalter.
Der Strukturwandel entzieht die Lebensgrundlage
Irgendwo, weit oben, hält Hans-Peter Heiniger an, steigt aus dem Auto und läuft ein paar Meter raus auf die gemähte Wiese. Dann erklärt er, welche Bauern welchen Hof und welches dazugehörende Land bewirtschaften. Hier hat der Strukturwandel nicht Halt gemacht. Was früher eine Familie ernähren konnte, bietet längst keine Lebensgrundlage mehr. Die Höfe mit wenigen Hektaren Nutzfläche wurden verkauft oder verpachtet. Und der Wandel gehe weiter, sagt Heiniger und zieht an seiner Zigarette. «Die Jungen wollen diese Doppelbelastung nicht mehr ertragen. Sie lernen Berufe, die sich nicht mehr mit dem Führen eines Hofs vereinbaren lassen, dann geben sie den Betrieb auf.» Landwirte im Nebenerwerb würden ihre Ferien meist zu Hause auf ihrem Hof verbringen und das sehe man ihnen früher oder später auch an. «Dass die Jungen das nicht mehr machen wollen, ist doch völlig klar.» Denn reich werden könne auf diesen Höfen einfach niemand, krampfen bis zum Umfallen hingegen sei gut möglich, erklärt er und zeigt an die stotzigen, überhängenden Südlagen, die gerade erst gemäht wurden.
Das Dorf und die Talschaft
Zum Gemeindegebiet gehören das Dorf Trachselwald BE und die Talschaft Heimisbach mit den Orten Hopfere, Chramershus und Thal. 1968 erhielt die Talschaft Heimisbach, zu Ehren des einheimischen Mundartschriftstellers Simon Gfeller, ihren Namen. Die Familie Heiniger wohnt in Äsch und führt dort einen Milchwirtschaftsbetrieb mit 30 ha LN in der Bergzone II. Im fast 25-jährigen Laufstall stehen Milchkühe der Rassen Red Holstein und Swiss Fleckvieh, vereinzelt auch Holstein. Auch die Aufzucht wird in Laufställen gehalten. Im Gebiet sei der Wald lange ein wichtiger Betriebszweig gewesen, bis der Sturm Lothar Ende des letzten Jahrtausends die Preise zu Boden gehen liess. Sie hätten sich nie mehr erholt und der Region entsprechend grosse Einbussen beschert.
Die bäuerlichen Organisationen sind gefordert
«Wenn das Bauern etwas wäre, um reich zu werden, dann kämen die von Bern selber hierher» , sagt er, schmunzelt und spricht die Direktzahlungen an. «Die Gesellschaft interpretiert diese Zahlungen einfach nicht richtig. Da nützt alle Mühe wenig oder nichts. Man wird seit Ewigkeiten aufgefordert, zu informieren. Immer wieder. Ich habe das jahrelang gemacht, aber irgendwie mag ich nicht mehr. Die Leute vergessen einfach auch schnell. Das sieht man jetzt bei Corona», erklärt der 62-Jährige. Die bäuerlichen Organisationen müssten mehr Druck ausüben, ist er überzeugt. Dann würde es vielleicht auch auf dem politischen Parkett ändern. «Aber: Wenn man etwas ändern will, braucht es Schnauf. Und es kann nur ändern, wenn man sich einsetzt und sich wehrt. Wehren will sich aber niemand. Alle haben Angst, etwas zu riskieren. Auch die bäuerlichen Organisationen», sagt Heiniger.
Wenig Verdienst, viel Arbeit und immer mehr Druck in der Zukunft
Zu Hause am Küchentisch trinken wir Kaffee. «Nimmst du etwas dazu?», fragt mich Hans-Peter Heiniger. Mit «etwas», meint er «Alte Zwetschge». Süss ist der Schnaps. Zu später Stunde liesse sich wunderbar etwas mehr davon trinken. «Ich brauche nicht mehr viel zum Leben», sagt der Bauer. Wenn er Geld für die Krankenkasse und die Zigaretten habe, singen könne und es vielleicht zwischendurch einmal wieder bis ins Leukerbad VS schaffe, um die Füsse im warmen Wasser zu baden, sei er zufrieden. Er lacht viel, nicht laut, aber sichtbar. Sein Gesicht verrät Arbeit, aber auch Freude. Dennoch macht er sich Sorgen. Die Zukunft sieht er nicht rosig. Wenig Verdienst, immer mehr Druck, fehlendes Verständnis einer breiten Bevölkerung, fehlender Mut bei den Bauernverbänden und politische Interessen, die einem «die Haare zu Berge stehen lassen», wie er meint. So ärgert ihn beispielsweise ein im Mai eingereichter Vorstoss von Jürg Grossen, Nationalrat Grünliberale Partei. «Gebiete, wie das Emmental, leben von der Viehwirtschaft. Hier sieht es so aus, weil wir Tiere halten. Und das über Generationen», sagt Heiniger. «Mit solchem Gedankengut, wie jenem der Grünen und Grünliberalen verlangt man von uns, dass wir statt Gras Kartoffeln anpflanzen und die dann dem Wirt im Dorf in den Keller schütten. Der ‹cheischtet› die dann womöglich von Hand selber ab. Um zu überleben und der Arbeit Rechnung zu tragen, kostet das Kilogramm so produzierter Kartoffeln dann halt zehn Franken, statt der gewohnten 30 Rappen. Da müsste die Serviertochter einen kurzen Jupe tragen, wenn wir den Teller Pommes frites im Dorf hier so verkaufen wollen», sagt er. Hier fehle einfach sichtbar jeglicher Realitätsbezug.
Interpellation: Pflanzliche Produktion mehr stützen
Nationalrat Jürg Grossen (GLP) hat am 5. Mai eine Interpellation eingereicht. Diese wurde im Rat noch nicht behandelt. Der Bundesrat wird darin gebeten zu beantworten, inwiefern eine stärkere oder vollständige Ausrichtung der Versorgungssicherheitsbeiträge auf pflanzliche Produktion:
- den Klimazielen zuträglich wäre?
- den Bodenverbrauch und die Überdüngung reduzieren könnte?
- positiven Einfluss auf die Gesundheit der Bevölkerung und die Gesundheitskosten hätte?
- dem Ziel einer langfristig besseren Versorgungssicherheit stärker entgegenkommen würde?
Im Rahmen der Agrarpolitik zahle der Bund Versorgungssicherheitsbeiträge von über 1,1 Milliarden Franken pro Jahr aus. Diese würden für Tier- und Pflanzenproduktion auf die Fläche ausgerichtet, wobei erstere an einen Mindesttierbesatz gekoppelt sind. «Diese Direktzahlungen beeinflussen die Produktion und damit die Umwelt, das Klima und die Gesundheit der Bevölkerung», ist Grossen sicher.
Viel zu viele tierische Produkte
Die Ernährung verursache 20 bis 30 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen. «Ohne Beitrag der Ernährung sind die Klimaziele nicht zu erreichen», so der GLP-Nationalrat. Für die Gesundheit der Menschen und den Erhalt der Lebensgrundlagen sei entscheidend, was gegessen werde und wie diese Lebensmittel produziert würden. Produktion und Konsum von Fleisch brauche ein X-faches an Ressourcen (Boden, Energie, Wasser) und verursache ein Vielfaches an Umweltschäden im Vergleich zu pflanzlicher Ernährung. Auch aus Sicht der Gesundheit sei der Anteil tierischer Produkte an der Ernährung viel zu hoch. Dazu kämen laut Grossen Probleme wie Antibiotikaresistenz aufgrund der Nutztierhaltung.
Potenziale für die Umwelt erkennen
Eine Anpassung des Direktzahlungssystems und ein stärkerer Fokus auf pflanzliche Produktion berge ein enormes Potenzial für Umwelt, Klima und Gesundheit ohne individuelle Einschränkung, sagt Grossen.
Jürg Grossen hat keine Zeit
Hans-Peter Heiniger hat Jürg Grossen geschrieben, ihn eingeladen, sich ein Bild im Heimisbach vor Ort zu machen. Grossen hat sogar geantwortet. Er verdankte die Einladung und lehnte sie aus Zeitgründen aber auch gleich ab. Er sei als Bub oft beim Grossvater zum Heuen gewesen und stamme daher nicht aus einer landwirtschaftsfernen Familie. Fertig. Der Altbauer nimmt einen anständigen Schluck Schnaps. «Das macht mich wütend, verstehst du?» fragt er. Ich nicke. «Die haben alle keine Ahnung von unserem Alltag und bestimmen, was und vor allem wie wir es tun sollen.» Auch der Zug, den das Bundesamt für Landwirtschaft fährt, sei für die Bauern nicht nachvollziehbar. «Die Kantone spielen nur Durchlauferhitzer. Die schauen, dass nicht zu viel beschissen wird und gut ist», erklärt der Landwirt. Und die AP 22+ passe dazu. «Das Halbe haben sie noch nicht mal bereit, wenn das Ganze bereits in Kraft tritt.» Sich um den Inhalt zu bemühen, mache eigentlich keinen Sinn, sagt er. Das Ganze sei ja noch gar nicht fertig und werde bereits umgesetzt.
Jeder verdient, nur der Bauer nicht
«Aber wie ändern?», fragt Hans-Peter Heiniger. «Der Müller verdient, der Händler verdient, die Migros verdient. Alle verdienen. Nur der Bauer, der nicht. Ihm bleibt die Gülle aus der Milch- und Fleischproduktion», fasst er zusammen. Und das nur, solange er noch tierische Produkte habe. Das Kristallglas auf dem Tisch ist leer. Er fährt mit seiner Hand, die viel gearbeitet hat, darüber. «Ich weiss es auch nicht, wie es ändern könnte, ich weiss es nicht. Aber wir müssen es ändern», sagt er.
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