Dass Jugendliche unter emotionalen und psychischen Belastungen leiden können, ist nicht erst seit Beginn der Pandemie so. Doch die Corona-Situation verstärkt zuweilen die Belastungen oder ruft durch die verminderten sozialen Kontakte gar neue hervor. Denn die Jungen leiden unter den Massnahmen und Einschränkungen ganz besonders. So warnen etwa Luzerner Fachpersonen vor den Folgen vor allfälligen Schulschliessungen.
Wie mit Veränderungen umgehen?
Die Lernenden in der Landwirtschaft leben in den meisten Fällen bei den Lehrmeisterfamilien. Den Ausbildnern fallen denn auch häufig Veränderungen früh auf. Doch wie damit umgehen? Der Onlinekurs am Dienstag, organisiert vom Inforama, wollte dieser Frage Rechnung tragen und Ausbildnerinnen Unterstützung bieten.
David Zumkehr, Fachlehrer und Teamleiter, erklärt gegenüber der BauernZeitung: «Wir wollen die Berufsbildnerfamilien nicht alleine lassen. Das Inforama will da sein.» Daher sei die Idee zum Onlinekurs mit dem Thema «Umgang mit belasteten Lernenden, Früherkennung und Frühintervention» entstanden. Und auch die Lehrbesuche auf den Betrieben würden weiterhin unter Berücksichtigung der geltenden Schutzmassnahmen durchgeführt.
Das System der Murmeltiere
Martina Buchli von der Stiftung Berner Gesundheit führte kompetent durch den Kurs. Unterstützt wurde sie von Matthias Rauh, ebenfalls Stiftung Berner Gesundheit sowie Anne Stettbacher, Leiterin Beratungsstelle für Lernende am Inforama. Um eines vorwegzunehmen: Ein wichtiger Punkt beim Kurs war das Thema Bauchgefühl. Dieses gelte es unbedingt ernst zu nehmen. Um solches zu entwickeln, müsse es jedoch eine Beziehung mit den Jugendlichen geben.
Wichtig sei, immer im Gespräch mit ihnen zu sein, ohne jedoch immer im Alarmmodus zu sein. Martina Buchli zeigte anhand der Murmeltiere auf, wie Früherkennung funktioniert, denn diese hätten ein tolles Warnsystem. Die Murmeltiere liegen auf der Bergwiese, jedes hat die Aufgabe aufmerksam zu sein.
Bei Gefahr, die noch nicht eingeschätzt werden kann, etwa bei einer nahenden Wandergruppe, werden drei kurze Pfiffe ausgestossen. Kreist jedoch ein Raubvogel über den Tieren, die Gefahr ist also nah, folgt ein kurzer Pfiff. Auf die entsprechenden Pfiffe weiss jedes Tier genau, was zu tun ist. Um die richtigen Pfiffe abzugeben, sei aber das Einschätzen der Gefahr nötig. Das sei bei Lehrmeisterinnen nicht anders. Zunächst müsse die Gefahr wahrgenommen und dann entschieden werden, welche Massnahmen nötig sind. Wichtig sei auch das Wissen, wo bei Bedarf Hilfe geholt werden kann (siehe Kasten unten).
Die drei Stufen
Matthias Rauh erklärt die drei Stufen bei Problemen.
1. Stufe: Das Bauchgefühl sei die erste Früherkennung. Feine Anzeichen können wahrgenommen werden, bei denen man aber noch nicht weiss, um was es geht.
2. Stufe: Die Offensichtlichkeit. Dies können abfallende Leistungen sein, oder Suchtanzeichen. Das Problem wird an- und ausgesprochen.
3. Stufe: Die Unvermeidbarkeit, bei der klar wird, dass geeignete Hilfe nötig ist.
Aufs Bauchgefühl hören
Matthias Rauh betont: «Bauchgefühle haben meistens Hand und Fuss.» Werde bereits da etwas angesprochen, sei das der beste Moment. Doch wie spricht man etwas an? Dazu eignen sich sogenannte Tür- und Angelgespräche, die so nebenbei entstehen können. Diese dienen auch dem Beziehungsaufbau und zeichnen sich dadurch aus, dass sie keinen offiziellen Charakter haben.
Ein möglicher Einstieg könne etwa die Frage sein: «Warum habe ich das Gefühl, ich sollte mit dir sprechen?» Die schnellste und heilsamste Form sei nämlich, wenn Jugendliche selbst erzählen können, so Matthias Rauh. Wenn sich ein Lernender einem selbst aber nicht öffnen will oder will, kann es hilfreich sein, Personen ins Boot zu holen, zu denen grosses Vertrauen besteht.
«Wem könntest du dich öffnen?»
Anne Stettbacher rät dazu, die Jugendliche nicht zu fragen: «Hast du jemanden?» Sondern zu fragen: «Wem könntest du dich öffnen?» Es wird aber auch betont, dass nicht immer alles gelöst werden könne, eventuell ein Lehrabbruch folgt. Dinge, bei denen man alles versucht habe, die aber dennoch nicht geändert werden können, gelte es so anzunehmen, betont Martina Buchli.
David Zumkehr zieht auf Nachfrage ein positives Fazit des Kurses. In Anbetracht der relativ kurzen Anmeldefrist sei er mit 15 Teilnehmenden zufrieden. Die jetzige Situation könne Spannungen auslösen, die so niemand erwartet habe, weiss Zumkehr. Daher war es ihm ein grosses Anliegen, etwas zur Hilfestellung anbieten zu können.
Das nehmen Teilnehmer mit
Katrin Marthaler, Zollikofen, nimmt vom Kurs den Gedankengang mit, dass sich Berufsbildner davon lösen sollen, das Gefühl zu haben, Probleme selbst lösen müssen. Annamarie Meister, Zollikofen, hat der Satz: «Warum habe ich das Gefühl, ich sollte mit dir sprechen?», sehr beeindruckt. Sie fand sehr gut, dass ein solches Onlineangebot erarbeitet wurde. Markus Schumacher, zuständig für den Bereich Gemüsebau der Stiftung Tannenhof, Gampelen, hätte sich gerne am Kurs mehr eingebracht, hatte aber mit dem Mikrofon zu kämpfen.
Hier gibt es Hilfe
Das Inforama hat eine eigene Beratungsstelle für Lernende und deren Umfeld. Anne Stettbacher, 079 823 16 42 oder E-Mail: anne.stettbacher@be.ch, ist zuständig für EFZ- und EBA-Lernende, Heidi König, Tel. 031 971 20 82, E-Mail: hm.koenig@bluewin.ch, betreut die BMS-Lernenden. Zudem gibt es im Kanton Bern die Stiftung Berner Gesundheit (www.bernergesundheit.ch). Sie bietet auch in gesicherten Online-Chats Hilfe an. Auch die Lehraufsicht kann bei Fragen oder Unsicherheiten weiterhelfen. Sie ist kantonal geregelt.
Rund um die Uhr sind die Beratungsstellen von Pro Juventute erreichbar. Kinder und Jugendliche wenden sich kostenlos und vertraulich per Telefon (Nummer 147), Chat, SMS oder Mail: www.147.ch