«Der hat einen Dachschaden.» «Die ist plemplem.» «Der hat nicht alle Tassen im Schrank.» In der Umgangssprache haben wir für Menschen mit psychischen Problemen oder Krankheiten eine Vielzahl von abwertenden Bezeichnungen.
Das mag mit dazu beitragen, dass Erkrankungen der Psyche in der Gesellschaft noch immer tabuisiert werden, wenn auch nicht überall gleich ausgeprägt. In der Landwirtschaft scheint es vielmals je nach Betroffenheit unterschiedliche Einstellungen zu geben. Denn in der Schweiz gibt es rund 550 Höfe, die soziale Dienstleistungen anbieten (Green Care). Auf solchen Betrieben werden Menschen mit psychischen Themen mit viel Herzlichkeit und Offenheit aufgenommen und betreut.
Hart gegen sich selbst
Etwas anders sieht es aus, wenn Bäuerinnen und Bauern selbst von einer psychischen Störung betroffen sind. «In der Landwirtschaft kennt man kein Burnout», sagt etwa eine der drei Bäuerinnen, die in Videos auf der Website des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbandes von ihren psychischen Erkrankungen erzählen. «Für die ältere Generation war es nie genug», sagt eine andere Bäuerin in einem der Videos. Es galt nur «arbeiten, beten, schlafen».
In vielen Bauernfamilien ist es seit Generationen Usus, sich durchzubeissen, hart zu sich selbst zu sein, bis zum Umfallen. Das ist schwer abzuschütteln. Im Zentrum stehen der Betrieb und der Arbeitsaufwand, der dafür geleistet werden muss. Jede und jeder muss mitziehen und viel wegstecken, damit der Hof überlebt.
Fehlendes Verständnis
Streikt die Psyche, schämen sich die Betroffen, sie haben Schuldgefühle, verstecken ihr Leid, fürchten sich vor den Urteilen aus dem Umfeld. «Es fehlt das Verständnis», weiss Sabine Iseli. Sie arbeitet als Oberpsychologin auf der Station Integrierte Depressionsbehandlung am Psychiatriezentrum Münsingen. «Doch für Betroffene und Angehörige ist es von grosser Bedeutung, über ihre Sorgen und Nöte im Zusammenhang mit der Erkrankung sprechen zu können.» Sie rät daher, solche Gespräch proaktiv anzugehen. Dabei geht es auch um die Vermeidung von Suiziden.
Hartnäckige Vorurteile
Gerade bei psychischen Störungen halten sich zudem Vorurteile hartnäckig, was ebenfalls zur Stigmatisierung beiträgt. Dies hängt auch mit fehlendem Wissen zusammen, etwa beim Unterscheiden von Begriffen wie «Depression» und «Burnout». Wie eine Agroscope-Studie zeigte, betrifft Letzteres überdurchschnittlich viele Menschen in der Landwirtschaft.
Für Sabine Iseli ist es wichtig, die beiden Begriffe zu unterscheiden. «Burnout hängt meist eng zusammen mit einer Überlastung durch die Arbeitssituation», sagt sie. Doch klare Diagnose-Leitlinien gibt es nicht.
Bei einer Depression handelt es sich um eine weitverbreitete psychiatrische Störung, die sich unter anderem durch anhaltende Traurigkeit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie emotionale, geistige und körperliche Erschöpfung zeigt. Sabine Iseli: «Depressive Störungen werden anhand von gängigen Leitlinien diagnostiziert und behandelt.»
Verschiedene Ursachen
Nur einen Grund für eine psychische Störung gibt es selten. Man geht heute davon aus, dass meist mehrere Faktoren einen Einfluss haben, gemäss dem bio-psycho-sozialen Erklärungsmodell, wie Sabine Iseli erklärt. Das heisst, Körper, Psyche und soziales Umfeld spielen eine Rolle, ob wir uns krank oder gesund fühlen.
Bei der Behandlung setzt man meist auf eine Kombination von Therapie und zeitgemässen Antidepressiva. Im Zentrum steht dabei der Ansatz, dass die Patienten auch mit ihrer Krankheit ein möglichst erfülltes, selbstständiges Leben führen können. Da sehr viele Menschen von psychischen Leiden betroffen sind, werden zudem neue Ansätze geprüft. Dazu gehören der Einsatz von bewusstseinsverändernden Substanzen wie LSD oder der Einfluss des Darms auf die Psyche.
Fliessende Übergänge
In der Schweiz nimmt etwa eine Millionen Menschen Medikamente gegen Depression, Angststörungen und andere psychische Erkrankungen. Eine von zwei Personen erlebt mindestens einmal im Leben eine psychische Beeinträchtigung, die Übergänge von «gesund» und «krank» sind fliessend.
Wichtig ist, sich möglichst früh Unterstützung zu holen. Es zeugt daher von Stärke, zu seinen Schwächen zu stehen und darüber zu reden, wie es einem wirklich geht. Dazu gehört, sich selbst und das Gegenüber zu wertschätzen, nicht nur als Arbeitskraft für den Betrieb, sondern auch als Mensch.