«Wegen dir sind wir schon wieder zu spät», schnattert die sichtlich genervte Mutter und schiebt mit hochrotem Gesicht ihr ungefähr sieben Jahre altes Mädchen durchs Drehkreuz, um schnell zu der Gruppe Kinder zu kommen, die notabene bereits mit dem Kursunterricht begonnen haben. Alle Eltern kennen solche Stress­situationen, mit Kindern zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, bestens.

Es gelingt längst nicht immer, aber es ist doch völliger Schwachsinn, dem Nachwuchs den schwarzen Peter zuzuschieben, wenn unsereins wiedermal die Zeitplanung nicht im Griff hat. Ich frage mich manchmal ernsthaft, wieso wir eigentlich immer einen Schuldigen brauchen und ach so viel Energie aufwenden, um diesen zu finden. Überall wird heutzutage kostspielig geprüft und zertifiziert, was das Zeug hält. Produkte und Dienstleistungen, Systeme und ganze Unternehmen. Manchmal wünschte ich mir echt, auch unser Verhalten gegenüber den Mitmenschen würde ab und zu einer Prüfung unterzogen.

Sich überlegen aufzuführen, kann nicht zum Erfolg führen

Es wäre ausserordentlich schwierig, die Mess­latte anzusetzen, und was würde dann wohl passieren mit allen, die durch die Prüfung rasseln? Für mich persönlich sind gegenseitiger Respekt und Wertschätzung wichtige Faktoren. Ohne Anstand und respektvollen Umgang können Konversationen niemals auf Augenhöhe geführt werden. Sich dem Gegenüber überlegen aufzuführen, kann beim besten Willen nicht Erfolg bringend sein.

Und doch wird dieses Modell fleissig angewendet. Kürzlich habe ich in den sozialen Medien einen heftigen Schlagabtausch in den Kommentaren mitverfolgt. Es geht um den tragischen Vorfall von zwanzig toten Schafen auf der Alp Nüschlete im Sim­mental (Die BauernZeitung berichtete). Da macht sich doch tatsächlich eine Person aus dem politischem Umfeld darüber lustig, dass mit den Gänsegeiern nun nach Wolf, Luchs und Bär der nächste Feind gefunden wurde. Das geht definitiv viel zu weit und entsprechend fallen auch die Reaktionen darauf aus. Glücklicherweise gibt es jeweils auch Kommentare auf sachlicher Ebene, aber grobe Beleidigungen und Beschuldigungen gehören da zur Tagesordnung. Ich kann mich nicht an diese Umgangsform gewöhnen und will es auch gar nicht.

Am 13. November ist Welt-Nettigkeitstag

Bis zu den Parlamentswahlen im Oktober bekommen wir alle bestimmt noch manchen ähnlichen politischen Zwist mit. Ich werde jedenfalls, wenn es dann so weit ist, die Kandidatenliste sorgfältig prüfen und mich an solche Aussagen oder eben Kommentare genauestens erinnern. Gut drei Wochen nach den Eidgenössischen Wahlen findet am 13. November der Welt-Nettigkeitstag statt. Zu welchem Zweck ein solcher Tag gut sein soll, frage ich bei Doktor Google nach, und der antwortet prompt «Am 13. November ist nett sein und dementsprechend handeln Pflicht». Aha!! Keine Ahnung, ob wir tatsächlich einen solchen Tag nötig haben, weil einfach nett zu sein, ist trotz allem auch nicht die Lösung. Nur drei Tage später, am 16. November, ist der internationale Tag für Toleranz. Dieser Tag sollte viel öfter stattfinden.