Diese Geschichte beginnt dort, wo Hans und Erna Bürki-Schüpbach zu Hause sind, und zwar in Obergoldbach im tiefsten Emmental. Dort bewirtschafteten sie zusammen fast 40 Jahre lang einen Milchwirtschaftsbetrieb mit Viehzucht, Ackerbau und Schweinemast. Im Stall standen 16 Kühe, zwei Pferde und noch ein paar Mastschweine. Sie bildeten den Grundstock des 13 Hektar grossen Betriebes. Hans Bürki, der gebürtige Eggiwiler, hat eingeheiratet, er fand in Erna die grosse Liebe dort. «Wir haben uns an der Siehen-Chilbi kennengelernt, und da ich nur eine Schwester habe, waren meine Eltern natürlich froh, als ich einen Bauern nach Hause brachte», sagt Erna Bürki. Ihr Mann meinte nur, er sei halt immer ein guter Tänzer gewesen, so auch an der Siehen-Chilbi anno dazumal.

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Vor 47 Jahren passiert

Jetzt reisen wir zurück ins Jahr 1978, wo vor genau 47 Jahren Hans Bürki sich bereit machte dafür, in den Militärdienst einzurücken. Zu Hause geblieben ist seine Frau Erna mit ihren fünf Mädels. Doch allein war Erna Bürki nicht: Denn während der WK-Zeit ihres Mannes wurde die Bäuerin von ihrem langjährigen Knecht Hans Hofer (selig) und vom 23-jährigen Betriebshelfer Alfred Lehmann aus Signau unterstützt. Ganze 47 Jahre lang haben sich Hans und Erna Bürki und der damalige Betriebshelfer Alfred Lehmann nicht mehr gesehen, letzten Herbst kam es überraschenderweise zu einem Wiedersehen. Die BauernZeitung hat die drei nun zu einem Gespräch in ihrem heimeligen Stöckli in Obergoldbach getroffen und wollte wissen, wie es vor 47 Jahren war, als Lehmann, der Betriebshelfer, zu Bürkis in den Obergoldbach kam.

Also kehren wir noch einmal zurück ins Jahr 1978 und schwelgen in Erinnerungen: «Am Montagmorgen rückte damals mein Mann in den WK ein, am Abend wusste ich immer noch nicht, ob überhaupt jemand zum Melken kommt oder nicht», weiss Erna Bürki noch. Um 16 Uhr sei noch weit und breit kein Betriebshelfer in Sicht gewesen, um 16.30 Uhr sei endlich ein roter Opel Kadett vorgefahren. Ausgestiegen, mit einer Tasche in der einen und ein paar Gummistiefeln in der anderen Hand sei Alfred Lehmann, 23-jährig, aus Signau. Den ersten Winterkurs hat der junge Mann frisch auf der Bäregg absolviert, den Sommer hindurch war Lehmann als Betriebshelfer unterwegs. Erna Bürki ist sofort begeistert vom 23-jährigen, ihr Knecht Hans Hofer hingegen meinte nur: «Sicher scho wider so nä hochnäsige». Zwei Wochen lang musste Lehmann auf dem Hof von Bürkis den Meister ersetzen. Melken, Eingrasen, Mist ausführen, Bschütten oder auf dem Feld zu den Saatkartoffeln und zu den Futterrüben schauen, das waren die Hauptaufgaben des neuen Betriebsleiters im Jahr 1978.

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Von Hand melken

«Es gab damals immer viel zu tun», weiss Alfred Lehmann heute noch. Lehmann, der zwei Sommer lang als Betriebshelfer im Einsatz stand, hatte in dieser Zeit viel erlebt. «Auf 47 Betrieben war ich tätig, von schönen und weniger schönen» weiss er zu erzählen. Es gab Betriebe, da musste er die Kühe noch von Hand melken, und es gab Betriebe, die besassen nicht einmal einen Kühlschrank in der Küche. Er war sogar einmal auf einem Betrieb, da hatte man frisch ein Schwein geschlachtet. Wegen des fehlenden Kühlschrankes wurde das Fleisch im Brunnen im kalten Wasser gelagert. «Na vierzäh Tag hets Fleisch scho afe chli komisch gschmöckt», erinnert er sich. Bei der Familie Bürki in Obergoldbach habe er es aber immer gut gehabt: «Er hatte einen Narren an unseren Kindern gefressen, vor allem an den jüngsten, den Zwillingen Ursula und Pia», weiss die Bäuerin Erna Bürki noch. Am Abend vor dem Schlafengehen habe Alfred Lehmann jeweils die zweijährigen Zwillinge mit auf den Stallrundgang genommen, sie auf die Strohballen gesetzt, während er den Kühen die «Streui» zwäg machte. «Das habe ich immer genossen», weiss Alfred Lehmann noch. Und wo hat er dann übernachtet? «Also bei mir nicht», sagt die Bäuerin sofort. «Nein», lacht Lehmann. «Im oberen Stock im Gaden, neben dem Knecht Hans Hofer», weiss er noch. Um in sein Zimmer zu gelangen, musste er zuerst durchs Knechtenzimmer. «Hans Hofer lag da immer schon im Bett, in der Hand eine Tafel Schokolade, die er am Morgen immer noch in den Händen hielt, wenn ich um 5 Uhr in den Stall ging», erzählt er.

Der Knecht Hans Hofer war mit 18 Jahren auf den Betrieb zur Familie von Erna Bürki oder besser gesagt schon zu ihren Eltern der Familie Schüpbach gekommen. Er blieb 58 Jahre bei ihnen, bis er 1996 starb. «Er war eine treue Seele, hat in seiner Jugend viel erlebt», sagt Erna Bürki rückblickend. Er habe ihr einmal während des Rübenputzens auf dem Feld erzählt, wie er zu Hause aufgewachsen sei. Abgelegen im Eggiwil im tiefsten Emmental sei er gross geworden. Seine Eltern waren arm, sehr arm sogar. Auf einem kleinen «Heimetli» sei er aufgewachsen, die Eltern hatten elf Kinder, vier Kühe und ein paar Hühner, die sie versorgen mussten.

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Tot in der Emme

Bei der Gemeinde Eggiwil konnte sich jeweils melden, wer eine Arbeitskraft suchte oder eine solche weiterzugeben hatte. So war es auch bei Hans Hofer, als er 18 Jahre alt war. «Die Eltern waren froh, hatten sie ein Maul weniger zu stopfen», weiss Erna Bürki noch vom Erzählten. Hans Hofer wurde ihrem Vater Adolf Schüpbach zugeteilt. So kam er als 18-jähriger Jüngling zu ihnen nach Obergoldbach. Am 1. Januar 1940 wurde Hans Hofer von Vater Schüpbach mit Ross und Bärnerwägeli in Eggiwil abgeholt. Hofer habe auch einmal zwei Schwestern in ganz jungen Jahren verloren. Damals gingen die Mädchen gemeinsam mit einem Korb Eier hinunter nach Eggiwil, um diese dort zu verkaufen. Die Mutter habe zu ihnen noch gesagt, sie sollten dann aufpassen, wenn sie über die Emme gehen würden. Denn nach den starken Gewittern führe der Fluss sehr viel Wasser. Die Mädchen gingen damals trotzdem über den Steg, und prompt wurden sie von den Wassermassen mitgerissen. Hans Hofer erzählte, dass die Feuerwehr damals das dreieinhalbjährige Röseli an einer Buche hängend bei der Aeschausäge tot aus der Emme gezogen habe. Drei Tage später wurde Änneli, die Schwester, damals in der 7. Klasse, in der grossen Schwelle in Schüpbach tot freigelegt. «Eine traurige Geschichte, die mir kürzlich der jüngste Bruder von Hans Hofer, Samuel, der heute 88 Jahre alt ist, bestätigte», erzählt Erna Bürki. Dieses Unglück geschah übrigens am 12. April 1935.

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Ein Fremder und Zuzüger

Wie es vor 50 Jahren auf vielen Betrieben noch üblich war, gab es in den 1970er- und 1980er-Jahren immer noch viel Handarbeit auf den Höfen, das sei auch bei ihnen in Obergoldbach so gewesen. Die Saatkartoffeln wurden mit dem Pferd gepflanzt, das Gras für die Kühe holte man zweimal am Tag mit dem Rapid-Selbstfahr-Ladewagen. «Damals hat man die Kühe noch nicht geweidet, das kam erst später», erinnert sich der 84-jährige Hans Bürki noch. «1971 kauften wir die erste Melkmaschine, vorher haben wir jeweils die 16 Kühe von Hand gemolken», sagt Erna Bürki. Ihr Mann Hans kam 1966 auf den Betrieb, hatte es am Anfang nicht leicht, als «Fremder» und Zuzüger in Obergoldbach Fuss zu fassen. «Ich durfte zum Beispiel nicht in den Jodlerklub, fand dann aber in der Musikgesellschaft 66 Jahre lang meine Berufung», sagt Hans Bürki zufrieden.

Viel Unterstützung auf dem Betrieb fand Bürki neben seiner Frau Erna auch beim Schwiegervater: «Wir hatten es immer gut zusammen, er war ehrlich und unterstütze mich, wenn ich auf dem Betrieb was ändern wollte», sagt er. Hingegen habe er mit der Schwiegermutter doch einige Grabenkämpfe ausgetragen. «Sie hat immer gedacht, ich sei nur ein ‹langsamer Eggiwiler›, sagt er rückblickend. Hans und Erna Bürki sind heute zufriedener denn je: «Wir sind immer noch gut zwäg», sagen sie. Und wie ist es Alfred Lehmann, dem ehemaligen Betriebshelfer ergangen? «Auch ich habe später eingeheiratet und führte zusammen mit meiner Familie einen Betrieb in Bowil BE», hält er fest. So haben sich die drei nach 47 Jahren endlich wiedergefunden und wollen auf jeden Fall weiterhin in Kontakt bleiben.