BauernZeitung: Herr Rimle, wie oft sind Generationenkonflikte in Ihrer Beratungstätigkeit eines der Themen der Betroffenen?

Cornel Rimle: Sehr oft. Etwa die Hälfte meiner Beratungen sind mit Menschen aus dem landwirtschaftlichen Umfeld. Fast bei all diesen sind Konflikte zwischen den Generationen ein Thema.

Wenn Sie ein Rating machen müssten: An welcher Position steht der Generationenkonflikt in einer Belastungsskala bei der bäuerlichen Bevölkerung, die eine Begleitung in Anspruch nimmt?

Menschen, die meine Begleitung in Anspruch nehmen, leiden unter einem Konflikt. Konflikte haben sehr oft damit zu tun, dass Menschen unzufrieden sind und dann häufig eine oder mehrere Personen aus der Umgebung dafür verantwortlich machen. Weil in der Landwirtschaft oft zwei Generationen nahe beieinander wohnen und arbeiten, steht der Generationenkonflikt meist sehr weit oben auf der Belastungsskala. Paarkonflikte, die Arbeitsüberlastung, das knappe Geld und Mitte-Lebenskrisen sind ebenfalls häufige Themen.

Wo orten Sie die Herkunft dieser Generationenkonflikte oder anders gefragt: Warum ist die Landwirtschaft derart stark betroffen?

In der Landwirtschaft arbeiten und leben die Menschen sehr nahe zusammen. Die unterschiedlichen Vorstellungen von Arbeit und Freizeit und vielem mehr treffen aufeinander. Es ist viel einfacher, unterschiedliche Ansichten stehen zu lassen, wenn wir die Schwiegereltern nur alle vier Wochen sehen, als wenn wir einander täglich sehen und die Grosskinder sich in beiden Haushalten bewegen.

 

Coach Cornel

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Cornel Rimle (56) ist Agronom und hat zusammen mit einer Partnerfamilie 30 Jahre einen Biobetrieb in der Ostschweiz geführt. Er machte Weiterbildungen in Coaching und Mediation und unterstützt seit 14 Jahren Einzelpersonen und Paare und hilft bei Generationenkonflikten. Er ist Vater von vier erwachsenen Kindern, wovon der älteste Sohn zusammen mit seiner Frau 2020 den Hof übernimmt. Rimle selber wird die restlichen Berufsjahre dem Coaching und der Mediation widmen. 

 

Welche Formen von Generationenkonflikten gibt es?

Man redet von Konflikten, wenn die Betroffenen einander nicht mehr richtig zuhören, nur noch die eigene Ansicht verteidigen, dem Gespräch ausweichen, schlecht übereinander reden, Drohungen aussprechen oder gar zu Gewalt greifen. Konflikte beginnen oft kaum merklich und werden dann immer schlimmer, wenn man sie nicht gut bearbeitet. Man redet dann von der sogenannten Konfliktspirale. Wenn mich jemand kränkt, dann ziehe ich mich zurück oder schütze mich irgendwie. Diese Abwehrmechanismen kränken wiederum mein Gegenüber. «Wenn Du mich nicht ausreden lässt, dann helfe ich Dir nicht mehr bei der Arbeit; wenn Du mir nicht mehr guten Morgen sagst, dann wasche ich auch das Auto nicht mehr», um einige Beispiele zu nennen.

Ab welcher Stufe raten Sie, externe Hilfe in Anspruch zu nehmen?

Als Faustregel gilt: Wenn uns etwas stark beschäftigt und wir nicht in einem fairen Gespräch, bei dem wir einander echt zuhören, befriedigende Lösungen finden, dann sollten wir externe Hilfe in Anspruch nehmen.

Stellen Sie in den Jahren Ihrer Tätigkeit als Berater Veränderungen im Bereich der Generationenkonflikte fest? Wenn ja welche und worauf führen Sie sie zurück?

Ja, Trennungen und Scheidungen sind häufiger geworden. Früher haben die Menschen die Möglichkeit einer Scheidung weniger in Betracht gezogen. Das heisst aber nicht, dass das Leid früher kleiner war. Die schwächeren Glieder in der Generationengemeinschaft haben dann einfach still gelitten und die stärkeren Glieder haben ihre Macht ausgebaut. Heute melden alle ihre Bedürfnisse mehr an. Und das ist auch gut so. Jetzt gilt es, zu lernen, gute Gespräche über die unterschiedlichen Bedürfnisse zu führen.

Und wie lernt man denn das?

Wenn es ohne Begleitung nicht geht, dann zum Beispiel in einer Mediation oder einem Coaching. Also mit einer Begleitperson, die stille Personen motiviert, ihre Bedürfnisse auszusprechen und die dominante Personen wohlwollend auf Vorteile des Zuhörens aufmerksam macht.

Wenn Sie nach einem Patentrezept zur Linderung oder Beseitigung der Generationenkonflikte gefragt würden, wie würde Ihre Antwort lauten?

Über die unterschiedlichen Bedürfnisse immer wieder respektvoll und «auf Augenhöhe» reden. Einander zuhören und gemeinsam Lösungen suchen, wo alle Bedürfnisse gleichwertig angesehen und so gut es geht umgesetzt werden.

Generationenkonflikte scheinen ihren Ursprung oft in der Beziehung «Schwiegereltern – Schwiegerkinder» zu haben. Ist der Grund dafür, dass der von aussen Kommende Störungen im angestammten Verhältnis bringt, oder sind noch andere Punkte relevant?

Die von aussen kommende Person wäre eine grosse Chance für das Zusammenleben auf dem Betrieb. Sie kann zum kritischen Denken anregen, indem sie Themen anspricht, die man schon 20 Jahre so macht und nie mehr hinterfragt. Die Schwiegereltern bemühen sich oft zu wenig um neue Lebensinhalte ausserhalb des Betriebes. Dadurch verteidigen sie zu stark die Erkenntnisse ihrer Generation. Der oder die HofnachfolgerIn ist von diesen Eltern auf diesem Hof erzogen worden und ist deshalb auch von dieser Geschichte geprägt. Bei einer solchen Ausgangslage ist es eigentlich logisch, dass der Konflikt zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkind ausbricht.

Man kann in Fachbeiträgen sehr oft auch lesen, dass es wichtig wäre, dass der Hofnachfolger (Sohn oder zunehmend auch die Tochter) sich bei Schwierigkeiten zwischen den Generationen hinter den Partner stellt. Quasi gegen die Eltern. Wie sehen Sie das und wie funktioniert das?

Der Hofnachfolger ist von diesen Eltern auf diesem Hof erzogen worden. Das heisst, vieles auf diesem Hof entspricht auch seiner Prägung, die er wenig hinterfragt. Sehr oft gilt auch noch der Grundsatz: "Ehre deine Eltern." Oder er oder sie ist auf die kostenlose oder günstige Mithilfe der Eltern angewiesen. Es ist also manchmal echt schwierig für diesen Hofnachfolger, zu seiner Partnerin zu stehen und gegen die Eltern vorzugehen.

Aber ja, genau dies muss er tun, wenn er die Meinung seiner Partnerin teilt! Aber Achtung: Zuerst muss immer ein sorgfältiges Paargespräch geführt werden, in dem ein gemeinsamer Konsens erarbeitet wird. Mit diesem fairen Konsens des jungen Paares muss der Hofnachfolger dann vor seine Eltern stehen und diesen vertreten. Noch besser wird dieses Gespräch zu viert geführt, bei dem das junge Paar diesen gemeinsamen Konsens voll und ganz gemeinsam vertritt.

Wie sieht es mit Generationenkonflikten aus, wo der Hofnachfolger keine Partnerschaft oder Ehe eingeht? Sind sie dort quasi inexistent?

Nein, es gibt auch dort Generationenkonflikte. In solchen Situationen geht es dann eher um Loslösungsprozesse oder um das Recht oder die Pflicht der Eltern, in den Ruhestand zu treten. Nicht selten findet der Hofnachfolger keine neue Partnerin, weil kein Platz da ist für sie. Da müssen wir in der Beratung einerseits das Loslassen der Eltern anpacken und andererseits den Mut zur Selbstständigkeit des Nachfolgers.

 

Hier gibt's Hilfe

Es gibt verschiedene Anlaufstellen, die Gespräche für Betroffene von Generationenkonflikten anbieten. So beispielsweise die landwirtschaftlichen Bildungszentren Inforama in Zollikofen BE und Strickhof in Wülflingen ZH. Daneben gibt es auch diverse private Anbieter. Auf der Webseite www.hofkonflikt.ch sind Fachpersonen und deren Kontaktadressen in der ganzen Schweiz aufgeführt.

 

Es gibt einige Rezepte, wie man Generationenkonflikte vermeiden kann. Was ist, wenn es aber bereits sehr schwierig ist und die Konflikte zur grossen Belastung geworden sind und es quasi kein Zurück mehr gibt?

Konflikte zehren sehr an unseren Energiereserven. Die Arbeit muss trotzdem gemacht werden. Wir werden also immer schwächer und gereizter. Es lohnt sich immer, Konflikte anzupacken, solange man noch miteinander reden kann! Und wenn man dies verpasst und der Konflikt bei gegenseitigem "Ladwächä" (Steine in den Weg legen) oder gar Gewalt angelangt ist, kann es sein, dass man sich besser trennt.

Was ist, wenn eine Seite gerne Hilfe von aussen in Anspruch nimmt, die andere diese aber verweigert?

Verweigerung ist ein Machtinstrument in der Konfliktspirale. Wenn man dies akzeptiert, lässt man das Machtinstrument zu. Man kann diesen Personen sagen: "Wenn ihr bereit seid, mit uns ein faires Gespräch auf Augenhöhe zu führen, wo alle am Schluss mit gutem Gefühl den Konsens stimmig finden, brauchen wir keine Hilfe. Wenn wir dies nicht können, erwarte ich (z. B. als Sohn), dass ihr Eltern uns mindestens die Zeit für eine erste Sitzung mit einer neutralen Unterstützung schenkt."

Oft sind organisatorische Dinge dahinter, die eine örtliche Trennung verhindern. Die ältere Generation ist auf das Leben auf dem Hof angewiesen, weil sie sonst quasi in Altersarmut leben müsste. Im Gegenzug ist die jüngere Generation oft auf die Mithilfe der Eltern angewiesen, die oft auch unentgeltliche Arbeit leisten. Welchen Einfluss haben solche Abhängigkeiten auf das Verhältnis?

Solche Abhängigkeiten haben einen schlechten Einfluss auf das Verhältnis. Wenn immer möglich, sollten klare Abgrenzungen abgemacht werden: Wohnen mit einem geregelten Mietvertrag. Arbeit gegen einen angemessenen Lohn. Wenn die Altersvorsorge der Eltern ungenügend ist, könnte man diese Situation auch mit der ganzen Familie, also mit den Geschwistern des Hofnachfolgers gemeinsam besprechen.

Zeitgemäss gebaute Wohnungen auf dem Betrieb können auch an fremde Personen vermietet werden. Mit diesen Einnahmen kann den Eltern eine ähnliche Wohnung in einer gesunden Distanz zum Hof finanziert werden. Auch wenn vielleicht noch eine kleine Differenz ausgeglichen werden muss, lohnt es sich, wenn dafür der Konflikt beendet werden kann.