Bereits das dritte Mal hat Tamara Vogel eine Agriprakti-Jugendliche auf dem Hof. Sie selbst hat Kauffrau gelernt und anschliessend die Bäuerinnenschule absolviert. Die Jugendliche, Vivien Schönbächler, hat die Schule mit gerade einmal 14 Jahren abgeschlossen. Sie hatte eine Lehrstelle zur Floristin in Aussicht, die ein Zwischenjahr erforderte. Parallel dazu erfuhr sie von einer Kollegin vom Agriprakti-Angebot.
Ländlich orientiert
Die nun 15-Jährige sieht sich selbst als ländlich orientiert. Ihre Grosseltern führten einen Landwirtschaftsbetrieb, wo sie als kleines Kind häufig zu Besuch war. Und auch in ihrem Kollegenkreis seien eher Dorfkinder, das Städtische sei nicht so ihres, erzählt sie. Der Betrieb von Familie Vogel war der dritte, bei dem sie «schnupperte». Und wie das Sprichwort so schön heisst: «Aller guten Dinge sind drei» – es habe für sie wie auch für die Familie mit den beiden Kleinkindern wunderbar gepasst. Zudem finde sie es toll, eine etwas andere Gegend kennenzulernen als diejenige zu Hause.
Die Ausbildnerin erklärt, sie habe Schnuppernde meistens drei Tage auf dem Hof. So könne ein recht umfassendes Bild von Hof und Haushalt mit den vielseitigen Aufgabengebieten gezeigt werden. Auch das aus-wärtige Übernachten, das im Zwischenjahr üblich ist, könne so bereits einmal geübt und das zukünftige Zimmer besichtigt werden.
Die Chemie ist wichtig
Für Vogel ist es denn auch sekundär, ob der Kuchen, den die Schnuppernden backen, gelingt oder nicht. Viel wichtiger ist es für sie, dass die Chemie untereinander stimmt und der Wille sowie die Motivation spürbar sind. Denn die Jugendliche sei dann «mitten in der Familie drin», das müsse, insbesondere mit den Kindern, einfach funktionieren.
Vorkenntnisse seien keine nötig, meint Tamara Vogel. Es sei sehr unterschiedlich, was die Jugendlichen an Erfahrungen mitbrächten. Von solchen, die bereits in vielen Aufgaben sehr sicher seien, bis hin zu Jugendlichen, die kaum Vorwissen hätten, sei alles dabei. Das bestätigt denn auch Vivien Schönbächler, wenn sie an ihre Mitschülerinnen denkt.
Sicherlich sei es so, dass die Jugendlichen am Anfang eine Eingewöhnung und Anleitungen bräuchten, erklärt die Bäuerin. Ihr sei es gleichzeitig wichtig, dass sie alle Arbeiten zeigen und dann der Jugendlichen nach und nach mehr Verantwortung übergeben könne. Spannend sei für sie, dass die Jugendlichen auch immer wieder Inputs von der Schule oder von den eigenen Familien einbringen würden. So könne man gegenseitig profitieren.
Schönbächlers Kollegen hätten sie anfänglich etwas geärgert: «Haha, gehst du ein bisschen putzen?» Nachdem sie sich dann eingelebt und im Ausgang von ihren Erlebnissen und Aufgaben erzählt habe, sei ihr viel Staunen entgegengebracht worden. Denn die Aufgaben sind sehr vielseitig: Reinigungsarbeiten, Kinderbetreuung, Gartenarbeit, Kochen, Wäsche und vieles mehr.
Am liebsten hole sie auf dem Nachbarhof Milch. Oder betreue die Kinder, je nach Laune der Kleinen, fügt Schönbächler augenzwinkernd hinzu. Sie sei mit vier Geschwistern und Tageskindern aufgewachsen und möge Kinder sehr, meint sie. Etwas weniger gerne falte sie grosse, unhandliche Wäschestücke. Die Wäsche sei mittlerweile nämlich ihr «Jöbli», das sie bereits selbstständig und in Eigenverantwortung ausführen könne. Auch die Kinderbetreuung und das Kochen seien ein fester Bestandteil der täglichen Arbeiten geworden.
Sie werden selbstständiger
Für die Bäuerin wird die Agriprakti-Jugendliche im Verlauf des Zwischenjahres zu einer immer grösseren Unterstützung, die sie bei den vielfältigen Arbeiten in Haus und Hof entlastet. Beruhigend sei auch, dass sie die Kinder gut betreut wisse, wenn draussen etwas Unvorhersehbares passiere, sagt Tamara Vogel. Zudem sei ihr wichtig, dass sie beispielsweise das Brot selber backe, die Konfitüre oder Kuchen selber mache. Das sei etwas, was gekauft werde, wenn sie keine Zeit dazu habe.
Durch die Unterstützung der Agriprakti-Jugendlichen könne sie dies nach ihren Werten umsetzen und ihnen gleichzeitig wiederum vieles zeigen. So hat Vivien Schönbächler auch gelernt, Brotteig über drei Tage anzusetzen, was sie vorher nicht kannte. «Ich finde, am Ende sollen die Jugendlichen lernen, Verantwortung zu übernehmen, Selbstvertrauen aufzubauen und zu stärken und die Selbstwirksamkeit zu erleben. Und für mich ist es wertvoll, dass ich ihnen gewisse Aufgaben übergeben kann», erklärt die 32-Jährige.
«Ich habe einen besseren Start in die Berufswelt.»
Vivien Schönbächler, Berufswunsch Floristin.
Vivien Schönbächler findet, sie würde das Agriprakti auf jeden Fall weiterempfehlen. Man lerne viel, werde ein Jahr älter, ein Jahr reifer, und somit habe man einen besseren Start in die «echte» Berufswelt. «Es bringt nichts, wenn ich mit knapp 15 Jahren in die Lehre gehe und nach dem Lehrabschluss nicht einmal weiss, wie ich meinen Haushalt führen muss.» Für die Lehrstellensuche bekommen die Jugendlichen fünf Tage zum Schnuppern zur Verfügung. Zudem werden sie in der Schule unterstützt, um Bewerbungen zu schreiben und Telefonate zu führen. Das Ziel ist, dass der weitere Weg nach dem Zwischenjahr klar ist.
Neben dem Schulischen ist es auch Selbstvertrauen, das die Jugendlichen dazugewinnen. Sie lernen, Hemmschwellen zu überwinden und Dinge zu erledigen. Auch das Auge werde geschult, erklärt Tamara Vogel. Die Jugendlichen würden lernen, zu erkennen, wo noch etwas gemacht werden könne. Auch die individuelle Zeiteinteilung, etwa beim Zubettgehen oder bei den Hausaufgaben, liege nun an den Jugendlichen selbst, und sie dürften bzw. müssten selbst herausfinden, was für sie stimmig sei.
Verschiedene Betriebe
Zusammenfassend sei es eine spannende und lehrreiche Zeit, finden die beiden. Gerade auch die Diversität der verschiedenen Betriebe, auf denen das Absolvieren des Zwischenjahres möglich sei, sei super. Die Jugendli-chen können auswählen zwischen Betrieben mit oder ohne Kindern, solchen, auf denen mehr drinnen oder draussen gearbeitet wird, oder solchen mit Direktvermarktung – die Optionen seien vielfältig, schwärmt Tamara Vogel. Eines müsse man beachten: Je früher man schnuppern gehe und sich für ein Agriprakti entscheide, desto mehr Auswahl habe man noch.
Agriprakti
Agriprakti ist ein privates Bildungsangebot für Jugendliche und wurde vor über zehn Jahren vom Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverband lanciert. Während eines Jahres wohnen und arbeiten die Jugendlichen vier Tage in einem bäuerlichen Haushalt und besuchen einen Tag pro Woche am BBZN Sursee die Schule. Dort werden sie in praxis- und theorieorientierten Fächern unterrichtet und bei der Lehrstellensuche unterstützt. Im Hauswirtschaftsjahr erweitern die Jugendlichen ihre fachlichen und persönlichen Kompetenzen.
Das Bildungsangebot