Über Geschmack kann man bekanntlich nicht streiten. Über Sensorik hingegen schon, denn hier orientiert man sich an einheitlichen Grundlagen. Dann heisst es nicht einfach «Das schmeckt mir», oder nicht.
Zonen auf der Zunge sind Fake News
Die Sensorik-Wissenschaftlerin Christine Brugger von Aroma Reich räumt mit veraltetem Wissen auf. «Wir haben keine Geschmackszonen auf der Zunge», erklärt sie. «Überall, wo die Zunge weich ist, haben wir Geschmackssensoren». Soweit so gut. «Wissen Sie überhaupt, wie Ihre Zunge aussieht?», fragt Brugger darauf. Es folgt die Aufforderung, die eigene Zunge bei Gelegenheit vor dem Spiegel zu begutachten. Denn wer weiss schon so genau, wie die aussieht.
Wiederhaken zeigen Textur
Die menschliche Zunge ist rundherum weich und mit Geschmackspapillen ausgerüstet. Die Zone in der Mitte ist fest und trägt Widerhaken. «Damit können wir die Textur eines Bissens wahrnehmen und seinen Reibungswiderstand beurteilen», führt Brugger aus.
Ein Dreiteiliger Nerv im Gesicht
«Die Schärfe von Chili oder Zwiebeln aktiviert den Trigeminus-Nerv», so die Sensorik-Wissenschaftlerin. Diese dreiteilige Nervenbahn verläuft im Mundraum, um die Nase und die Augen. «Der Trigeminus ist der schnellste Nerv, weil er eine Warnfunktion hat. Er signalisiert: Das soll nicht in den Körper gelangen.» Die Expertin beschrieb das Gefühl als stechend, betäubend, einen leichten Schmerz. Neben der Textur und den Reizen des Trigeminus-Nervs bilden Geschmack und Aroma die Grundlage einer sensorischen Beurteilung.
«Der Trigeminus-Nerv warnt: Das soll nicht in den Körper kommen.»
Christine Brugger, Sensorik-Wissenschaftlerin, zur Funktion des dreitieiligen Nervs.
Der Unterschied zwischen Geschmack und Aroma liegt in der Art der Wahrnehmung. Während Ersterer im Mundraum registriert wird, passiert dies beim Aroma in Nase und Gaumen. Mit zugehaltener (oder verschnupfter) Nase bleibt also nur das Geschmackserlebnis ohne Aroma übrig. Reize des Trigeminus-Nervs treten vor der Empfindung von Geschmack oder Aroma auf.
Fünf Geschmacksrichtungen
Nicht veraltet ist die Information der fünf Geschmacksrichtungen: süss, sauer, bitter, salzig und umami. Letztere wird durch freie Glutaminsäure erzeugt, die entsteht, wenn Eiweisse zersetzt werden. «Das passiert beim Schmoren, Fermentieren, Trocknen oder Reifen, etwa bei Käse», so Christine Brugger.
Aber wie hält man verschiedene Geschmacksrichtungen auseinander? Dazu kann man sich auf körperliche Reaktionen verlassen, statt ins Blaue hinein zu tippen. Brugger erklärt das folgendermassen:
- Süsse verleiht ein weiches Mundgefühl.
- Umami fühlt sich mundfüllend, auskleidend an, wirkt lang anhaltend und verstärkt Geschmack und z. T. auch Aromen.
- Säure regt die Speichelproduktion an. Eine leichte Bitterkeit könne man leicht mit Säure verwechseln, Letztere beeinflusst aber nicht den Speichelfluss.
Einen interessanten Effekt hat lang gezogener Schwarztee: Er ist adstringierend, zieht also den Mundraum zusammen. Adstringenz ist allerdings keine Geschmacksrichtung, sondern ein chemosensorischer Reiz in den Backentaschen und hinten im Mund, der sich erst nach einigen Minuten bemerkbar macht.
Tipps für eine erfolgreiche Degustation und mehr Genuss beim Essen finden Sie im Artikel "Sensorik: Die richtige Technik".
Räder zum Sprechen
Es ist nicht einfach, über Aromen (Geruch und Geschmack) zu reden. Eine Hilfestellung sind Aromaräder. Das sind farbige Abbildungen in der Form eines Rads, das in mehrere Ebenen unterteilt ist. Agroscope hat etwa Aromaräder für Apfelsorten oder Käse entwickelt. So kann man in Worte fassen, ob ein Stück Hart- oder Halbhartkäse malzig oder vanillig, nach Baumnüssen, Sellerie, Zitronen oder gar nach Kuhmist schmeckt, indem man sich an den Speichen des farbigen Rades orientiert. Die Auswahl an zu einem bestimmten Lebensmittel passenden Begriffen macht es einfacher, sich auszudrücken.
Ein neutraler Gaumen ist wichtig
Wichtig ist beim Degustieren, nach jeder Probe den Mund zu neutralisieren. Denn beispielsweise Schärfe oder Süsse kann sich verstärken und so nach-folgende Happen beeinflussen. Daher gönnt man sich zwischendurch z. B. eine Scheibe Gurke oder einen Schluck heisses Wasser oder lauwarmen Kräutertee.
Interessant, aber anstrengend
So sensibilisiert dafür, was man alles wahrnehmen könnte, erlebt man Lebensmittel anders. Zudem kann man Geschmackseindrücke besser teilen und vergleichen, z. B. mithilfe eines Aromarads. Allerdings ist es anstrengend, sich auf diese doch ungewohnten Reize zu konzentrieren.
Zurück bleibt beides: eine geschärfte Wahrnehmung für Geschmack, Aroma und Textur. Aber auch eine gewisse Dankbarkeit darüber, dass man häufig unkritischer geniessen und sagen darf: «Das schmeckt mir!»
Sensorik ist eine Wissenschaft. Mehr dazu, was sie alles umfasst, lesen im Artikel "Sinne als Messinstrumente".