«Es ist zwiespältig. In Cevio wurde die Brücke zerstört. Wir können den Ort zu bestimmten Zeiten in Richtung Locarno verlassen, allerdings nur in eine Richtung – zurückfahren konnte man anfangs nicht. Mittlerweile geht es, aber nur zu gewissen Zeiten. Die Leute, die Autos hier hatten, konnten diese holen. Aller Verkehr muss über die Velobrücke. Das ist eine umgebaute alte Eisenbahnbrücke. Kleinere Lieferungen für Coop kommen durch. Das Militär ist dran, eine provisorische Brücke zu bauen. Es geht uns hier aber relativ gut – wir haben einfach die ganzen Annehmlichkeiten nicht mehr. Viel schlimmer ist die Situation weiter oben im Tal, in den Gemeinden Lavizzara und Bavona. Da gibt es Bauernbetriebe, die total lahmgelegt wurden. Alle Maschinen sind weg, zum Teil wurden ganze Ställe weggerissen, auch Wohnhäuser wurden zerstört.
Die vom kantonalen Landwirtschaftsamt waren bereits da, um sich die Schäden anzuschauen. Sie sagten den Leuten, dass sie unbürokratisch mit den Räumarbeiten und dem Wiederaufbau beginnen können. Nun hofft die Bevölkerung auf Zivilschutz und Militär. Aber diese müssen sich erst durch das Tal hocharbeiten, den Weg müssen sie sich erst freiräumen. Das ist schwierig für die Bewohner oben im Tal. Sie haben das Gefühl, es komme niemand. Sie helfen einander jetzt gegenseitig. Aber mit Schaufeln und Schubkarren kommt man bei diesen Geröllmassen überhaupt nicht weiter. Man fragt sich, wie lange es dauert, bis das alles wegkommt. Man weiss es nicht.
Aber die Leute wollen wieder aufbauen und bleiben. Es hat im Tal nicht nur noch alte Leute wie andernorts. Hier sind viele junge Familien, die sich etwas aufgebaut haben. In einer Nacht haben sie alles verloren. Wenn ihnen nicht geholfen wird, ist die Abwanderung besiegelt. Aus dem warmen Büro in Bern oder Zürich kann man gut sagen, dass gewisse Täler nicht mehr bewohnt werden sollen. Es ist das gleiche wie mit jenen, die den Wolf willkommen heissen wollen. Sie wissen nicht, wie es ist, wenn man mit so etwas leben muss. Es ist immer leicht, einfach etwas rauszulassen. Die Leute sind hier geboren, haben geerbt, was ihre Eltern und ihre Grosseltern aufgebaut haben. Denen jetzt einfach zu sagen «Jetzt musst du halt nach Locarno und dort in der Fabrik arbeiten», so was hat man vielleicht im 19. Jahrhundert gemacht. Aber doch nicht heute, wo es immer heisst, alles solle «nahe an der Natur» sein.[IMG 2]
Als das Unwetter kam, waren die meisten Tiere zum Glück auf der Alp. Ein Landwirt hatte noch einige Tiere auf einer Weide, die nun nicht mehr erreichbar ist. Um über die Geröllhalde zu den Tieren zu kommen, braucht es jetzt eine provisorische Strasse. Diejenigen, die auf der Alp sind, fragen sich, wie sie herunterkommen sollen. Jeder ist sich am Organisieren, alle warten auf die grosse Hilfe. Im Moment geht vieles nur mit dem Helikopter. Zum Glück gibt es im Tal noch ein paar Baugeschäfte. In Prato-Sornico konnten sie mit einem Trax die Strasse räumen. Aber auf die Alp kommt man im Moment nicht.
Eine Kollegin von mir ist auf einer Geissalp. Sie hatten eine Forststrasse da hoch, die ist jetzt weg. Sie sagt, es sei wieder wie zu Zeiten ihrer Grosseltern. Wenn sie ins Tal will, muss sie vier Stunden zu Fuss gehen.»
