Mieter können sich keine Ferien mehr leisten, weil die Nebenkosten als Folge des steigenden Gaspreises in die Höhe schiessen, war kürzlich im «20 Minuten» zu lesen. Was allerdings nicht bedeutet, dass die Leute jetzt den Sommer pausenlos durcharbeiten. Aber «Ferien» ist mittlerweile derart ein Synonym für «Verreisen» geworden, dass kaum jemand über diese Formulierung gestolpert sein dürfte.

Bauernfamilien machen anders Ferien

Was man heute unter Ferien versteht, ist ein Spiegel unserer Gesellschaft – und sollte meiner Meinung nach hinterfragt werden. Bauernfamilien schwimmen da oft gegen den Strom, schliesslich können sie nicht einfach die Koffer packen und wegfahren. Während andere vor einer längeren Abwesenheit lediglich für einen leeren Kühlschrank und die Betreuung von Pflanzen und Katze sorgen müssen, sind auf einem Landwirtschaftsbetrieb eine Fülle von Arbeiten im Stall oder auf dem Feld zu erledigen, die sich kaum vertagen lassen. Die Hürde für eine Urlaubsreise ist ungleich höher.

Für Ferien zu Hause gibt es eine charmante Abkürzung: «Uhu» steht für «ums Haus herum». Das praktizierten im Corona-geprägten letzten Jahr viele Menschen. Nun sei das Fernweh aber gross, man wolle wieder reisen, hiess es, sobald die Pandemie abflaute. Und tatsächlich: Am Flughafen herrscht nicht nur wegen knappen Personals ein Gedränge.

Es gibt bessere Möglichkeiten

Muss das sein, frage ich mich. Offensichtlich nicht, letztes Jahr ging es auch ohne. Und es muss sich ja nicht jeder Daheimgebliebene einen Hund kaufen, nur um ihn anschliessend wegen Über-forderung in ein Tierheim abzugeben. Ausserdem gibt es in der Schweiz genug Möglichkeiten, seinen Horizont zu erweitern (ein beliebtes Argument für Auslandsreisen). Ich denke zum Beispiel an Agrotourismus oder all die sehr unterschiedlichen kleinen und grossen Sehenswürdigkeiten in verschiedenen Kantonen. Es ist viel sinnvoller, einen Einblick in die hiesige Landwirtschaft zu bekommen oder die Luft ennet dem Röstigraben zu schnuppern, als Kokosnüsse und Hotelzimmer auf Hawaii zu besichtigen.

Ein schmerzhafter Zusammenhang

Dass man Ferien im Ausland verbringen sollte, ist eine Ansicht, die uns schon früh beigebracht wird. Freie Tage kennzeichnen wir im Kalender mit einer Palme, Plakate werben mit Erholung und Entspannung am Strand und die erste Frage vor Ferienbeginn ist die nach dem Reiseziel. Urlaub ist im höchsten Masse kommerzialisiert worden. Leider gibt es mit dem bisher ungebremsten Klimawandel einen schmerzhaften Zusammenhang zwischen sonnenhungrigen Touristen und den Menschen, die in Westafrika nach jahrelanger Dürre nur dank internationaler Hilfe überleben, weggeschwemmten Häusern in Japan, brennenden Wäldern in Spanien und Müllinseln auf den Malediven. Da kann ich vor mir selbst nicht damit argumentieren, dass es mir zu Hause halt zu langweilig sei. Was im Übrigen nie der Fall war.

Worüber die Werbung schweigt

Der Kern der Sache ist die Frage, was Ferien eigentlich sind und sollen. Laut Duden kommt das Wort aus dem Lateinischen und bezeichnete ursprünglich für religiöse Handlungen bestimmte Tage. Es ging also mehr um innere Einkehr als um Erlebnisse. Heute sind Ferien eine Flucht aus dem Alltag. Der moderne Mensch scheint sich durch seine Arbeitstage zu hangeln, um am Wochenende kurz aufzuleben und sich wenn immer möglich in den Urlaub zu retten. In unserer Leistungsgesellschaft müssen Ferien etwas für Instagram hergeben. Erfolgreich wurde uns weisgemacht, Entspannung finde man am besten im Liegestuhl am Strand. Wovon die Werbung nie erzählt, sind die Strapazen der Vorbereitung, die mühsame Anreise, Sonnenbrand und Magenverstimmungen. Und zu Hause dann als Erstes Auspacken und Waschen – keine idealen Bedingungen für einen entspannten Start in die neue Arbeitswoche.

Bauernkinder erleben Ferien anders. Nicht selten heisst es Mithelfen bei der Ernte von Kirschen oder Kartoffeln, in Stall und Haushalt. Auch wenn man das als gemeinsame Familienzeit sehen kann und die Kinder viel lernen, erholsam ist es nur bedingt. Der Vorteil des Verreisens ist klar: Die Arbeit ist auch rein physisch weit weg. Wiederum gibt es junge Leute, die gerne mitanpacken – Generalisieren macht keinen Sinn.

Der Sinn von Ferien 

Also, was machen mit den Ferien? Letztlich geht es darum, Abstand zu gewinnen vom Alltag, den Kopf zu lüften und zur Ruhe zu kommen. Der Weg zu diesem Ziel ist wahrscheinlich bei jedem anders. Nur hochstilisieren zur einzigen Zeit, in der man richtig leben kann, sollte man Ferientage nicht. Es muss einen Weg geben, auch im Alltag Entspannung zu finden, denn kein Urlaub verhindert ein Burn-out. Dann braucht es keine grandiosen Schnappschüsse am azurblauen Meer, sondern es reicht zum Beispiel ein Ausflug in die Berge, in einen anderen Kanton oder ganz einfach die lauen Sommerabende mit gemütlichem Beisammensein zu verbringen. Das ist Balsam für die Seele, schonend für die Umwelt, kostengünstig und durchaus Stoff genug für bleibende Erinnerungen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer!