Hausaufgaben gehören zum Schulalltag dazu, sorgen aber oft für Spannungen zu Hause. Oder sie sind, wie Martina Brühlmann es sagt, «ein riesiges Thema.» Die Primarlehrerin hat vier Kinder und führt mit ihrem Mann einen Milchwirtschaftsbetrieb im Toggenburg. Als Lehrerin arbeitet sie 40 Prozent – das sei für sie genau richtig, so könne sie neben Familie und Hof «den Kopf lüften» und komme etwas raus.[IMG 2]
Ab August wird sie in Nesslau SG die erste bis dritte Klasse unterrichten. Die Klassenlehrerinnenfunktion hat sie bewusst abgegeben – bisher hatte sie eine fünfte und sechste Klasse in Wattwil. Ihre Fächer sind Deutsch, Mathematik, Werken, Musik, Zeichnen und Sport.
«Ein zweischneidiges Schwert»
Als Lehrerin erlebt Martina Brühlmann häufig, wie sehr Hausaufgaben Kinder und Eltern unter Druck setzen. «Für mich sind sie ein zweischneidiges Schwert.» Einerseits böten sie Eltern die Möglichkeit, in den Schulstoff hineinzuschauen. Andererseits könnte man das auch anders lösen. Sie findet aber auch: Kinder lernen durch Hausaufgaben, Verantwortung zu übernehmen – sich an einen Auftrag erinnern, etwas nach Hause nehmen, üben, vertiefen.
Was sie jedoch für unerlässlich hält: Hausaufgaben sollten zeitlich begrenzt und überschaubar sein. «Ich arbeite als Lehrerin gerne mit einem Wochenplan.» Zu Beginn der Woche erhalten die Kinder einen Zettel ins Aufgabenheft, der ihnen zeigt, was bis Freitag erledigt sein muss. So können sie sich ihre Zeit selbst einteilen. Sie plädiert auch für kleine Einheiten wie dreimal fünf Minuten Malreihen üben oder zehn Minuten lesen, vielleicht auch vor dem Schlafengehen. «Wenn ein Kind gleich drei Seiten Mathematik sieht, ist die Motivation schon weg, bevor es angefangen hat.»
Langer Schulweg, spät zu Hause
In ländlichen Regionen wie in Nesslau kommt ein weiterer Faktor dazu: Manche (Bauern-)Kinder sind nach Schulschluss noch 45 Minuten unterwegs – mit Bus und zu Fuss. Wenn sie erst um 17 Uhr nach Hause kommen, bleibt kaum mehr Raum für Freizeit. Hier findet Brühlmann Realismus wichtig – und offene Kommunikation. «Wenn es nicht mehr geht, muss das auch gesagt werden dürfen. Etwa mit einem Post-it ins Aufgabenheft, auf dem steht: ‹Wir haben 30 Minuten gearbeitet, dann war Schluss.›» Der Austausch zwischen Lehrpersonen und Eltern sei entscheidend, um unnötigen Druck zu vermeiden. Problematisch werde es, wenn Eltern meinen, die Hausaufgaben müssten unbedingt erledigt sein – koste es, was es wolle. «Dann sitzen sie mit dem Erstklässler zwei Stunden an einem Arbeitsblatt. Das bringt nichts.»
Mit Hausaufgaben beschäftigt sie sich nicht nur als Lehrperson, sondern auch als Mutter. Gerade jetzt, da ihr ältester Sohn im kommenden Jahr eingeschult wird, macht sie sich viele Gedanken darüber, wie sich die Schule mit dem Familienleben und den Anforderungen auf dem Bauernhof verbinden lässt.
«Mein Ältester ist am Abend am ruhigsten. Dann kann er gut zeichnen und malen, und er schaut sich gerne noch Bücher an. Ich denke, das wird auch der Moment sein, in dem wir künftig die Hausaufgaben machen.» Am Mittag komme er um 12.30 Uhr nach Hause und müsse schon um 13.10 Uhr wieder los – da bliebe keine Zeit zum Lernen. «Wenn ich in dieser kurzen Pause noch Hausaufgaben verlangen würde, würde ich ihm signalisieren: ‹Deine Bedürfnisse zählen nicht.› Und das würde uns in den Kampfmodus führen.»
Auch mal mit Pamir
Auch beim Lernort müsse man flexibel sein, findet Martina Brühlmann. Für manche Kinder passt der Küchentisch – gerade, wenn ein Elternteil in der Nähe ist. Andere brauchen Ruhe, vielleicht helfen Ohrschützer. Und wieder andere arbeiten am liebsten liegend am Boden. «Sie sitzen ja den ganzen Tag in der Schule auf einem Stuhl – warum nicht mal etwas anders machen? Entscheidend ist, dass das Ergebnis stimmt – nicht, wie es zustande kommt.»
Auch Fehler gehören zum Lernprozess. Brühlmann warnt davor zu viel zu korrigieren. In den unteren Klassen gehe es in erster Linie um die Freude am Schreiben – darum dürfe auch mal ein Fehler stehenbleiben. Besser sei es, auf häufig falsch geschriebene Wörter wie «die» gezielt hinzuweisen, sie aufzuschreiben oder auch aufzuhängen – z. B. am Kühlschrank, wo man sie immer wieder sieht. «Oder man forscht gemeinsam: ‹Wie schreibt man das richtig?›»
Auch externe Hilfe kann ein guter Weg sein. Hausaufgabenhilfen an der Schule, Oberstufenschüler(innen), Grosseltern – oft funktionieren andere Bezugspersonen besser, weil die emotionale Nähe nicht im Weg steht. «Mit den Eltern können die Kinder tun, wie sie wollen. Bei jemand anderem reissen sie sich mehr zusammen.»
Ein weiterer Punkt, der Martina Brühlmann wichtig ist: Überlastung durch Freizeitstress. Kinder, die jeden Nachmittag Programm haben – Tennis, Musik, Basteln, Frühenglisch –, seien in der Schule oft erschöpft. «Ein Instrument, eine Sportart – das reicht. Kinder brauchen unbedingt freie Zeit zum Spielen.» Viele würden dabei lernen. Sie müssten auch nicht immer bespasst werden. «Sich auch mal zu langweilen, fördert Eigeninitiative.»
9 Tipps
- Kleine Portionen statt grosser Brocken: Lieber mehrmals 5–10 Minuten üben als eine Stunde am Stück.
- Den richtigen Moment finden: Beobachten, wann das Kind konzentriert ist – z. B. nach dem Abendessen statt direkt nach der Schule.
- Fehler gelassen nehmen: Nicht jeden korrigieren – lieber punktuell auf häufige Wörter eingehen.
- Flexibler Lernort: Ob Küchentisch, Boden oder mit Kopfhörer – Hauptsache, es funktioniert fürs Kind.
- Kommunikation mit der Lehrperson: Wenn etwas nicht klappt: eine kurze Notiz im Heft genügt – gemeinsam Lösungen finden.
- Positive Haltung zeigen: Statt Stöhnen lieber sagen: «Komm, wir schauen’s uns zusammen an.»
- Externe Unterstützung nutzen: Hausaufgabenhilfe, ältere Schüler(innen) oder Grosseltern können helfen, Druck aus der Eltern-Kind-Beziehung zu nehmen.
- Freizeit nicht überladen: Weniger ist mehr: Zum Beispiel nur ein Instrument, eine Sportart – und Zeit zum Spielen lassen.
- Lob und Vertrauen: Das Kind unterstützen, ermutigen und Selbstständigkeit fördern.