Gut Ding will bekanntlich Weile haben. Dieses Sprichwort trifft auf die Apfelzüchtung besonders zu. Von der ersten Kreuzung bis zur vermarktungsfertigen Sorte dauert es gut 15 Jahre. Beat Lehner ist trotz dieses langen Zeithorizonts fasziniert von der Apfelzüchtung. Gemeinsam mit ­Markus Kobelt züchtet er seit 25 Jahren unter anderem neue Apfelsorten. Lehner hat auf seinem Betrieb auch eine Baumschule. Er sagt von sich selber: «Ich bin in erster Linie Obstbauer und Baumschulist für den erwerbsmässigen Obstbau. Mit der Züchtung von Apfelsorten verdienen wir zwar inzwischen auch Geld, doch ist dies vor allem ein grosses Hobby.»

Faszination für Genetik

Die Kombination von genetischem Material hat Beat Lehner schon immer fasziniert. «Ich habe lange damit geliebäugelt, Biologie zu studieren», erzählt Lehner. Erst machte er eine Lehre als Landwirt. Danach besuchte er das Technikum für Obst und Weinbau in Wädenswil. Während mehrerer Jahre arbeitete er im Verkauf einer grossen Baumschule in Holland, wo er viele internationale Kontakte knüpfen konnte. 1998 zog es ihn mit seiner Frau zurück in die Schweiz. In Felben-Wellhausen pachteten sie Land und bauten eine eigene Baumschule mit Jungpflanzenproduktion auf. Zeitgleich entstand eine enge Zusammenarbeit mit Markus Kobelt, den Lehner aus Studienzeiten kannte.

 

Betriebsspiegel Lehner Obstbau

Ort: Felben-Wellhausen (Thurgau)

Fläche: 50 ha

Kulturen: Äpfel (17 ha), Kirschen (11 ha), Heidelbeeren mit Partnern (9 ha), Baumschule (10 ha)

Arbeitskräfte: 12 Festangestellte, im Sommer bis zu 90 Kurzaufenthalter

Von Anfang an den Fokus auf Resistenzen

 

 

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Markus Kobelt führt die Lubera AG im st. gallischen Buchs, eine Firma, die Obst- und Beerenpflanzen züchtet und über den Hausgartenmarkt verkauft. Zusammengebracht hat Lehner und Kobelt die gemeinsame Passion für die Züchtung und die unterschiedliche Zielgruppe: Kobelt züchtet für den privaten Gartenbau, Lehner für den Erwerbsobstbau. «Der Fokus lag von Anfang an auf Sorten, die gewisse Resistenzen haben, gut schmecken und schön fürs Auge sind», sagt Lehner. Sie gründeten 2007 die Firma Fruture, an der Lehner und Kobelt zur Hälfte beteiligt sind.

«Fruture entwickelt die von der Lubera AG gezüchteten Sorten und Zuchtnummern für den Erwerbsanbau und vertreibt sie international über ein Netzwerk von Partnern», erklärt Lehner. Das sei vor allem wichtig, wenn es um den Sorten- und Markenschutz gehe. Die Züchtung selber ist nach wie vor bei der Lubera in Buchs angesiedelt, teilweise aber auch in Felben-Wellhausen.

 

Gezüchtet wird in zwei Stufen

Der Züchtungsprozess ist bei Äpfeln kompliziert. Grundvoraussetzung ist, dass die Sorte schorf-resistent ist. Weitere Zuchtziele sind für Lehner und Kobelt eine möglichst breite Resistenz (z.B. Mehltau- und Feuerbrandtoleranz) sowie die hohe Qualität. Aufgrund dieser Eigenschaften werden die Eltern ausgewählt. Die erste Teststufe lässt sich wie folgt zusammenfassen:

 

Erste Teststufe

  1. Kreuzung: Die Blüten werden von Hand mit einem Pinsel bestäubt und im Gewächshaus in kleine Töpfe ausgesät. Daraus entsteht der Mutterbaum, der mehrfach mit Schorfpilz infiziert wird, um eine Feldresistenz zu erzielen.
  2. Sämlinge: Nach dem ersten Jahr werden bei den Sämlingen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht fruchtbar sind, die Spitzen geschnitten. Diese werden dann auf einer Unterlage veredelt und im Sortengarten gesetzt.
  3. Mutterbaum: Jährlich werden in Buchs ca. 15'000 Sämlinge ausgesät und fortlaufend selektioniert. Kriterien sind Geschmack, Ertrag, Krankheitstoleranz, Aussehen und Lagerfähigkeit. So entstehen pro Jahr 5000 bis 8000 Mutterbäume. Jeder Baum ist eine potenzielle neue Sorte.
  4. Selektion im Muttergarten: Ab dem zweiten Jahr fruchten die Bäume. Einmal pro Woche werden sie visuell beurteilt. Fällt bei einer Sorte etwas Positives auf, erhält der Baum eine Zuchtnummer. Im Muttergarten bleiben die Bäume während fünf bis neun Jahren. Es wird minimaler Pflanzenschutz gemacht.

In der zweiten Teststufe werden die Bäume in Felben-Wellhausen oder Buchs im Sortengarten gepflanzt. Die Zuchtnummern werden beim Pflanzenpass angemeldet. Pro Zuchtnummer oder Favorit werden immer fünf Bäume gesetzt. Einmal wöchentlich wird gepflückt, die Äpfel kommen in kleine Kisten. Der Baum wird beurteilt und der Säure- und Zuckergehalt beim Apfel gemessen.

Geerntet wird zu drei unterschiedlichen Zeitpunkten. Die Kisten werden im Kühlraum gelagert, im Dezember und Februar werden die Äpfel noch einmal beurteilt. «Wenn da etwas positiv auffällt, melden wir die Zuchtnummer an», führt Lehner aus. Es werden sogenannte Reiser geschnitten und daraus Bäume gemacht. Nach zehn Jahren hat man dann erste Testbäume, die man an potenzielle Kunden im In- und Ausland abgeben kann.

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Apfelzüchtung ist ein internationales Geschäft

Erst jetzt beginnt der Teil, der für Beat Lehner und Markus Kobelt finanziell rentabel ist. Lehner schildert: «Wir geben diese Testbäume gratis, aber mit einem Testvertrag, an Partnerbetriebe im Ausland ab.» Im Vertrag ist festgehalten, dass mit diesen Bäumen nicht vermehrt werden darf. Erst, wenn die Partnerbetriebe in einem Apfel ein Marktpotenzial sehen, kann Lehner beginnen, Bäume zu produzieren. Parallel dazu werden die Favoriten als Reiser an den Nuklearstock in Wädenswil gegeben. Dort ist ihre Gendatenbank.

Auf die Frage, ob er die Apfelzüchtung als Königsdisziplin sehe, sagt Lehner:

«Das ‹auf den Markt bringen› einer neuen Sorte kann man schon als Königsdisziplin bezeichnen.» 

Um einen Gala im Regal zu ersetzen, brauche es enorm viel. Die Einkäufer von Grossverteilern seien prinzipiell eher konservativ. «Die machen lieber nochmals das Gleiche wie letztes Jahr als etwas Neues auszuprobieren.» Apfelsorten sind ein internationales Geschäft. Lehner sagt, es sei schwierig, nur etwas für die Schweiz zu machen. Hier hilft ihm sein grosses Netzwerk. Und trotzdem: Weil die Entwicklung einer neuen Sorte mehrere Jahre braucht, besteht immer das Restrisiko, dass man darauf sitzen bleibt.

Viel Fantasie bei Namenwahl

Beat Lehners Ausführungen zeigen: Es braucht viel Ausdauer und Leidenschaft, bis man mit der Apfelzüchtung Geld verdienen kann. Kobelt und Lehner sind seit 25 Jahren in diesem Business tätig. Mittlerweile haben sie schon ein paar erfolgversprechende Sorten auf dem Markt gebracht: Der rotfleischige Apfel Redlove, Julka (eine extrem frühe Sorte für den Bioanbau) oder Galant sind drei solcher Eigenzüchtungen.

Der Crispino ist ein weiteres Produkt, in dem Lehner viel Potenzial sieht, insbesondere für die Direktvermarktung. Es handelt sich um einen kleinen Snack-Apfel, etwa so gross wie eine Cherry-Tomate. «Der Apfel ist sehr gut haltbar, geschmacklich fantastisch, aber von den Produktionskosten her höher», sagt Lehner.

Im Verarbeitungsbereich sind im Moment gelbe Äpfel sehr gefragt, so Lehner. «Gerade im Babybrei-Bereich will man hellschalige Äpfel, die möglichst keinen Pflanzenschutz brauchten.» Lehner und Kobelts Galant ist ein Apfel, der diese Anforderungen erfüllt. Er wird im italienischen Trentino angebaut. Die Namen für ihre Äpfel sind vielfach Wortspiele: Julka beispielsweise, weil er im Juli reif ist. Oder Galant als Anspielung auf den Gala, ergänzt mit den Buchstaben N und T für Neue Technologie.

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Offen für neue Methoden

Die Kosten für den Züchtungsprozess in Zahlen zu fassen sei sehr schwierig, sagt Beat Lehner. «Ich würde sagen ein niedriger sechsstelliger Betrag. Es ist finanzierbar, da über die Baumschule Bäume verkauft werden können.» Sein Vorteil ist, dass die Arbeiten teilweise in jene der Baumschule einfliessen. «Wir machen in der Baumschule über 200'000 Handveredlungen über den Winter. Dazu kommen noch etwa 5000 Zuchtnummern. Durch diese grosse Menge, wird der Arbeitsprozess günstiger.»

Heute gibt es Methoden, um die Eigenschaften eines Apfels rasch zu optimieren. Mit Crisper-cas, der sogenannten Genschere, kann man zum Beispiel einen Gala schorfresistenter oder röter machen, ohne jahrelange Kreuzungen durchführen zu müssen. Dies ist wegen dem Gentechmoratorium in der Schweiz aber nur der Forschung vorenthalten. Lehner würde sich wünschen, dass das Moratorium endlich fällt. Er sagt: «Die heutige Gentechnik ist nicht mehr dieselbe wie vor 30 Jahren.» Er sieht die Gentechnik auch nicht als Bedrohung für die herkömmliche Züchtung. «Für eine neue Sorte braucht es immer die traditionelle Züchtung, die freie Kombination von Genen.»

 

Sommerserie

Für die diesjährige Sommerserie besucht die Regionalredaktion Ostschweiz/Zürich verschiedene Betriebe aus der Region der vorgelagerten Branchen.