Als im Frühling die Corona-Pandemie die Schweiz erreicht hatte, war Backhefe eines der Konsumgüter, die von einem Tag auf den anderen gehamstert wurden und in den Verkaufsregalen zeitweise fehlten. Für einmal wurde deutlich, welche wichtige Rolle die äusserlich unscheinbare Grundzutat für zahlreiche Backwaren einnimmt.
Aus wenigen Zellen
Dass der kleine, beige Würfel mit der eigenartigen Konsistenz ausserdem eine Menge mit Landwirtschaft zu tun hat, dürfte vielen Konsumenten unbekannt sein: Um ein Kilogramm Hefe herzustellen, wird nämlich etwas mehr als ein Kilogramm Zuckerrübenmelasse benötigt.
Wie aus dem einen das andere wird, ist bei der Hefe Schweiz AG in Stettfurt TG zu erfahren, wo jährlich 5500 Tonnen des Backtriebmittels produziert werden. Beginnen wir im Labor: «Wenige Hefezellen reichen, um daraus eine ganze Charge zu produzieren», erklärt Geschäftsführer Thomas Gamper. Dabei wird eine zuckerhaltige Nährlösung im Reagenzglas mit einer Probe der Stammkultur geimpft, wo sie sich innert kurzer Zeit vermehrt.
Bei der Hefe (Saccharomyces Cerevisiae) handelt es sich um einen lebenden Zellorganismus, der biologisch gesehen zu den Pilzen gehört. «Hefe ist aber nicht gleich Hefe. Verschiedene Kulturen können sich beispielsweise darin unterscheiden, wie sie sich als Triebmittel im Teig verhalten», stellt Gamper fest. «Wir verwenden unsere eigene Hefestammkultur, die sich seit Jahren bewährt hat. Ihr Genmaterial ist an zwei Hochschulen deponiert, wovon wir regelmässig frische Proben erhalten.»
Zuckerfabrik Frauenfeld
Nach 48 Stunden wechselt die Hefe vom Reagenzglas in einen sterilisierten Laborfermenter, wo die Teilung erst richtig in Fahrt kommt. Die optimale Temperatur dafür liegt zwischen 32 und 34 Grad. Parallel dazu werden in den Produktionsräumen die Rohstoffe Melasse und Rüben-dicksaft aufbereitet. Diese sind Nebenprodukte der Zuckergewinnung, und stammen von der nahen Zuckerfabrik Frauenfeld. Diese Mischung, Würze genannt, dient als Nährgrundlage für die Hefe.
Zuvor allerdings muss sie zum Schutz vor Fremdkeimen pasteurisiert und sterilisiert werden. Ab jetzt findet die weitere Hefevermehrung in Grossfermentern statt, die bis zu 20 Tonnen Hefe fassen können. Damit dieser Prozess effizient ablaufen kann, werden zusätzlich Stickstoff, Sauerstoff, Phosphatnährsalze sowie Spurenelemente benötigt.
In der Schaltzentrale befindet sich das «Cockpit» der Anlage: Hier werden Parameter wie Temperatur oder Druck kontrolliert und geregelt. Die Gehalte von Melasse und Rübendicksaft können aufgrund von klimatischen Bedingungen von Jahr zu Jahr leicht schwanken: «Daher müssen bei jeder Rübenkampagne zunächst die Einstellungen neu eintariert werden», sagt Thomas Gamper. Innert weniger Tage sind nun aus wenigen Hefezellen insgesamt 20 Tonnen des sogenannten Stellheferahms entstanden. Jetzt beginnt die Produktion im grossen Stil: In den folgenden Tagen entsteht im Grossfermenter Charge um Charge der Verkaufshefe, wozu Wasser mit je 2000 Liter Stellheferahm geimpft wird. Die Hefezellen verdoppeln sich alle zwei Stunden, und nach 16-18 Stunden hat sich der sogenannte Heferahm gebildet. Dieser wird von der Nährlösung separiert, gewaschen und gekühlt. Anschliessend kommt der Heferahm in einen Vakuumdrehfilter, wo ihm Wasser entzogen wird.
Blöcke und Würfel
Übrig bleibt reine Hefe, die in der Konfektionierung in Blöcke von 500 Gramm oder Würfel von 42 Gramm geschnitten und verpackt werden. Bevor diese in den Verkauf gelangen, müssen sie für 48 Stunden bei 0–2 Grad im Kühlraum gelagert werden, damit sie stabil, frisch und triebfähig bleiben. Für die Brotherstellung hat die Hefe eine wichtige Funktion: Sie erzeugt im Teig Kohlensäure, lockert ihn dadurch und verleiht dem Brot Aroma.
Die Hefe Schweiz AG kann auf eine lange Firmengeschichte zurückblicken: Ursprünglich Ende des 19. Jahrhunderts als Brennereigenossenschaft für Landwirte gegründet, begann das Unternehmen im Jahr 1902 mit der Hefeproduktion. Bevor die nahe Zuckerfabrik Frauenfeld 1963 ihren Betrieb aufnahm, mussten die Rohstoffe vom bernischen Aarberg bezogen werden. 1993 kam es zum Zusammenschluss mit der Hefefabrik in Hindelbank BE, wobei der Standort Stettfurt weitergeführt wurde. Heute beschäftigt die Thurgauer Firma 37 Mitarbeiter und hält einen Marktanteil von 62 Prozent der inländischen Hefeproduktion. Sie ist schweizweit die einzige Firma, die das Triebmittel von Grund auf herstellt. Hauptabnehmer sind Bäckereien, die Brot- und Backwarenindustrie sowie der Detailhandel.
Gefragte Biohefe
Seit 2005 wird in Stettfurt auch Hefe nach den Richtlinien von Bio Suisse hergestellt. Heute macht die Biohefe mit jährlich 1000 Tonnen knapp einen Fünftel der Hefeproduktion der Firma aus, davon werden rund 500 Tonnen ins Ausland exportiert, hauptsächlich nach Deutschland und Frankreich. «Zu Beginn hätten wir nie zu träumen gewagt, dass die Bioproduktion, mit der wir klein angefangen haben, sogar im Ausland eine Chance hat», sagt Gamper. Die Firma stellt ausserdem Vorteige her und vertreibt Malzprodukte und Backmittel.
Vor eine besondere Herausforderung wurde die Hefe Schweiz AG gestellt, als das Backtriebmittel während der Corona-Pandemie im Frühling plötzlich knapp wurden. Gefordert war schnelles Handeln: «Innerhalb von zwei Tagen fuhren wir die Würfelhefeproduktion auf das Vierfache hoch», erzählt der Geschäftsführer. «Dies war nur mit Schichtbetrieb rund um die Uhr möglich.» Dabei sei das Leistungslimit nicht durch die Produktion selbst, sondern durch die begrenzte Kapazität der Verpackungsanlage erreicht worden. Heute hat sich der Betrieb wieder normalisiert und auch die Verkaufsregale sind längst wieder mit Hefe aufgefüllt worden.
Weitere Informationen: www.hefe.ch