Lachen, Schmunzeln, Staunen, Ergriffenheit, Betroffenheit: Diesen Facetten waren die Teilnehmerinnen des Berner Bäuerinnen-Treffs vergangene Woche ausgesetzt. Drei Bäuerinnen sprachen unter der Leitung von Nicole Reusser zum Thema «Ich, die Bäuerin im Spannungsfeld von Familie, Betrieb und Gesellschaft». Zum Einstieg zeigte die Moderatorin Spannungsfelder auf. Durch künstliche Intelligenz (KI) liess sie zudem aus ihren Worten ein Lied über die Zerrissenheit von Bäuerinnen erstellen, das auch Mut machen soll. Zu hören ist das Lied hier.
In ihrem Referat, zeigte die moderatorin Nicole Reusser auf, wie sich das leben von Bäuerinnen in relativ kurzer Zeit verändert hat. Zwar gibt es heute technische Errungenschaften, die den Alltag einfacher machen. Dennoch ist der Arbeitsaufwand von Bäuerinnen nicht zurückgegangen - im Gegenteil, er ist gar noch gestiegen. Denn heute kommen nebst den anfallenden Arbeiten in Haushalt und Familie meist noch eine ausserbetriebeliche Nebenarbeit oder auch die Führung eines eigenen Betriebszweiges hinzu. «Wir sind vom zeitmanagmenert nich viel weiter, als früher», bilanziert Nicole Reusser, selbst Mutter und Bäuerin, welche mit ihrem Mann Agro-touristische Angeboten auf dem Hof anbietet. Und trotz dem Vorhandensein von Handy und Co, fühlen sich offenbar viele Bäuerinnen auf dem Hof isoliert. Eine Umfrage zeigte auf, dass aktuell 12 Prozent der bäuerlichen Bevölkerung Gefahr läuft an einem Burnout zu erkranken. Das seien doppelt so viele, wie in anderen Branchen. Diese Zahl stimmt nachdenlich. Dennoch macht Nicole Reusser deutlich: « Energie, die Spannungsfelder bieten, ist nicht per se nur negativ. es kann auch viel Innovatives, Neues daraus entstehen.»
Sonja Schilt und die Landfrauenküche
Aktuell läuft die 18. Staffel der SRF-Landfrauenküche. Sonja Schilt aus dem bernischen Iseltwald gewann 2016 die zehnte Staffel der beliebten Sendung. Rückblickend erzählt sie: «Wir Frauen hatten eine gute Zeit und erlebten viel. Es war das Beste, was ich machen konnte.» Das Mitmachen hatte aber auch Schattenseiten, wie sie verrät. Bereits die Teilnahme an der Sendung, aber auch der Sieg lösten grossen Druck auf die Bäuerin aus. Dieser war einerseits selbst auferlegt, kam aber auch von aussen. Wie sehr sie unter Druck stand, zeigt die Tatsache, dass sie acht Jahre später beim Erzählen immer noch emotional reagiert. «Der Sieg stellte mich enorm unter Druck. Ich dachte, ich dürfe nicht mehr ich selbst sein», erzählt sie. Geholfen und viel Druck genommen habe ihr damals ihr eigenes Motto: «Es isch, wies isch.» Nach dem Sieg hätten sie und ihr Mann lernen müssen, sich abzugrenzen und Anfragen zu Interviews und dergleichen abzulehnen. Sie entschieden von Anfrage zu Anfrage, ob sie diese annehmen wollten, oder nicht. Als Tipp gibt sie den Bäuerinnen mit auf den Weg: «Sprecht mit Kolleginnen über Probleme. Vieles geht danach besser. Lasst euch nicht blenden von den super Landfrauen in der Sendung.» Von einer Woche Dreh würden 45 Minuten zusammengeschnitten. «Das könnte jede von euch auch», betont Sonja Schilt. Und: «Macht einfach das, was für euch und eure Familie stimmt.»
Anita Herren-Brauens Schwiegermutter
Anita Herren-Brauen aus dem bernischen Rosshäusern, ist vielen als Politikerin bekannt. Seit vielen Jahren setzt sie sich als Grossrätin und Gemeinderätin ein. Sie sei als damals politisch unbekanntes Gesicht gewählt worden, weil sie vielen Frauen als Tupperware-Verkäuferin bekannt war. «Da musst du dich verkaufen können», erklärt die 57-Jährige und lacht. Die Wahl durch die Bevölkerung löste dann Druck aus, da sie deren Erwartungen erfüllen wollte. Sie habe jedoch mit der Zeit gelernt, mit dem Druck umzugehen und sagt heute: «Die bäuerlichen Familien in Bern zu vertreten, gibt mir grossen Ausgleich.»
All die Jahre über politisch aktiv zu sein, sei nur mit der Unterstützung ihrer Schwiegermutter möglich gewesen. Die Beziehung war aber nicht von Beginn an harmonisch. Anita Herren-Brauen kennt das Spannungsfeld, das zwischen Generationen auf dem Hof entstehen kann, gut. Denn anfangs habe es viele Reibereien gegeben. Die Schwiegermutter von Anita Herren-Brauen führte nach dem frühen Tod ihres Mannes den Betrieb viele Jahre mit Unterstützung selbst. Und dann war da plötzlich eine neue Frau. Die Frauen mussten sich erst finden, die Meinung der anderen kennen und akzeptieren lernen. Heute sagt die Politikerin: «Ich wäre nie Grossrätin geworden ohne sie.» Anita Herren-Brauen machte den Frauen Mut: «Sagt euch selbst: Ich kann das. Habt den Mut und geht euren eigenen Weg.»
Das Burnout von Agnes Betschart
Agnes Betschart, Küssnacht a. R. im Kanton Schwyz, trat aus eigenem Antrieb in die Öffentlichkeit. Ihr ist es eine Herzensangelegenheit, auf die Krankheit Burnout aufmerksam zu machen, unter der sie lange litt. «Ich muss mich nicht verstecken, es ist eine Krankheit», betont sie. Vorträge darüber halten könne sie aber nur, weil sie das Erlebte komplett verarbeitet habe. Sie sagt heute: «Ich war mir der unwichtigste Mensch meines Lebens.» Dies sei der Grund ihres Burnouts gewesen.
Agnes Betschart kam mit 22 Jahren auf den Hof ihres Mannes und war grossen Spannungen mit dem Schwiegervater ausgesetzt. Sie sei unerfahren gewesen und habe sich angepasst. Ein Fehler, wie sie weiss. Heute versteht die Bäuerin, dass ihr Schwiegervater aus traumatischer Angst vor einem Konkurs ständig Druck auf das junge Betriebsleiterpaar gemacht habe. «Heute verstehe ich ihn viel besser, als junge Frau nicht», erzählt sie aus ihrer Lebensgeschichte. Und: «Ich habe aber mit ihm lernen können, selbst für mich einzustehen und mich abzugrenzen. Heute sehe ich das Geschehene als Geschenk an», erzählt sie, während es im Raum mucksmäuschenstill ist. Agnes Betscharts Tipp lautet: «Erwartungen dürfen kommen. Aber ich selbst bestimme, welche ich erfülle. Dann geht es mir gut.» Und: «Schaut zuerst, dass es euch selbst gut geht. Erst dann kann es auch anderen um euch herum gut gehen.»