Anfang Juni: Zu diesem Zeitpunkt stellt man mir gerne die Frage: Wann habt ihr Alpaufzug? Ich überlege kurz und hole tief Luft – denn es gilt sechs verschiedene Daten zu nennen. 700 bis 800 Schafe, 120 Ziegen, 14 Pferde, 17 Mutterkühe und Kälber, 17 Yaks und 30 Esel werden an sechs verschiedenen Tagen aufgetrieben. Ein kunterbunter und arbeitsintensiver Haufen. Aber die Bestossung mit den verschiedenen Tiergattungen hat sich auf dieser in den letzten Jahrzehnten vorwiegend mit Schafen beweideten und arg verbuschten Alp bewährt, hauptsächlich bezüglich Weidepflege und Weidenutzung.

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Schlaflos vor Aufregung

Zugegeben, es hat auch einen persönlichen Grund. Um die Arbeit zu reduzieren, müsste ich mich von einer Tierart trennen – aber welche nur? Pferde und Esel sind super für die Weidepflege, Schafe und Ziegen beweiden das, was wir mit dem Grossvieh nicht beweiden könnten. Und eine Alp ohne Rindvieh könnte ich mir auch niemals vorstellen. Andere machen Sudoku – ich mache Weideplanung für sechs verschiedene Herden.

Mitte Juni: Bald ist es wieder so weit, morgen ist der aufregendste und aufwendigste der Alpaufzüge – der Schafalpaufzug. Vor Aufregung kann ich nicht schlafen. Ich gehe alles nochmals im Kopf durch: Stehen alle Netze, der Pferch, das Klauenbad? Habe ich alle involvierte Personen – Alpteam, Bauern, Gemeinde, Tierärztin – informiert? Zerstört die gefrässige Schafsbande wieder sämtliche Geranien vor dem Kloster?

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Es braucht eine minutiös Organisation

Seit sieben Jahren bin ich nun Hirtin auf dieser Alp in der Surselva und seit sechs Jahren auch selbst Alpmeisterin. Die Herausforderung ist spannend und schön, aber an gewissen Abenden wünsche ich mich oft zurück als angestellte Hirtin, wo man bloss auf der Alp gewartet hat, bis die Bauern und das Vieh und die feinen Kuchen von selbst heraufkamen.

Freitagnachmittag ist es so weit: Die Schafe werden abgeladen und direkt ins Klauenbad gesteckt. Begleitdokumente und Moderhinkebefunde wechseln die Hand. Es wird gefachsimpelt und gescherzt. Abends dürfen die Schafe auf eine Weide im Dorf. Ein Teil des Teams fährt wieder auf die Alp. Zwei Personen schlafen im Auto bei den Schafen im Tal.

Dann sind endlich alle oben

Abo An Gesprächsstoff fehlt es nicht: Kommen Wanderer, Touristen und Besucher vorbei, ergeben sich immer wieder gute Diskussionen. Älplerblog 2024 Das Alpleben kann schon süchtig machen Wednesday, 17. July 2024 Am nächsten Tag in der Morgendämmerung treffen wir uns bei der Weide im Dorf. Positionen werden verteilt: Wer läuft vor der Herde? Wer hinten? Wer blockiert die Hauptstrassen und wer beschützt den Blumenladen? Los gehts! Ich «lieb-hasse» diesen Moment. Einmal quer durchs ganze Dorf mit der ganzen Herde. Schafe überall. Hunde und Menschen mit Warnwesten kreuz und quer. Geblöke, Geschrei, Gefluche und jedes Mal irgendwelche waghalsige Fangaktionen abtrünniger Schafe. Im letzten Jahr entpuppte sich der Dorfpolizist als bester Schaf-fänger aller Zeiten – und er bewies Humor mit der Aussage (ans Schaf gerichtet): «Eigentlich müssten wir jetzt Ihre Personalien aufnehmen!»

Sobald wir aus dem Dorf raus sind, fahre ich mit dem Lada auf der engen Strasse hinter der Herde her. Ich mache die Auffangstation für Lämmer, Hunde oder Bauern, die nicht mehr laufen wollen. Im Kofferraum tummeln sich Herdenschutzhunde mit Lämmern. Auf dem Beifahrersitz sitzen unsere Border Collies, die eine Pause benötigen. Wenn dann alle Tiere oben sind, fällt mir ein Riesenstein vom Herzen. Ich merke erst dann, dass die ganze Anspannung von mir abfällt.

Ende Juni sind allle «unsere» Herden nun oben. Die Alpaufzüge sind gut verlaufen. Es kehrt ein wenig Routine ein. Ich habe Freude an meinem Dasein als Schaf-, Ziegen-, Yak-, Pferde-, Esel- und Mutterkuhhirtin und freue mich auf einen guten, abwechslungsreichen Sommer.

Alperlebnisse 2024
Im Älplerblog berichten Älplerinnen und Älpler aus den Kantonen Graubünden und St. Gallen in loser Folge von ihren Erlebnissen während des Alpsommers.