Ich sitze abends vor dem Fernseher, sehe mir die Nachrichten an. Wir schreiben den Mittwoch, 16. Februar 2022. Der Bundesrat hat heute die Corona-Massnahmen drastisch reduziert, erfahre ich. Ab Mitternacht braucht es kein Zertifikat mehr, um ins Kino, Restaurant oder Fitnesscenter zu gehen. Auch die Maskenpflicht wird grösstenteils aufgehoben. Irgendwie kriege ich den Eindruck: Mit Schlag Mitternacht ist die Pandemie vorbei.

Ist der Albtraum endlich vorbei?

Ich fühle mich, als würde ich aus einem Albtraum erwachen. So lange schon wünsche ich mir den Moment herbei, der diese leidige Pandemie endlich für beendet erklärt und wir alle aus ebendiesem Albtraum erwachen. Na ja, beendet ist die Pandemie schon noch nicht. Denn der Bundesrat appelliert nun an die Selbstverantwortung jedes Einzelnen. Wenn das nur gut kommt.

Freude und Unsicherheit wechseln sich ab

Die Worte des Bundesrats haben in mir eine riesige Freude ausgelöst: Wir alle bekommen unser altes Leben zurück. Urplötzlich überkommt mich aber ein zutiefst ungutes Gefühl. Wie wird das werden? Wie sieht es mit der geforderten Selbstverantwortung der Menschen aus? Wir haben so lange Abstand gehalten, die Maske getragen. Haben keine Hände mehr geschüttelt, auf Umarmungen und Treffen verzichtet. Und jetzt kehren wir zurück in die Normalität.

Die Frage des Hände schüttelns oder eben nicht

Doch was ist die neue Normalität? Schütteln wir ab Morgen wieder jeder und jedem die Hand? Ermahnen wir die Kinder nun wieder «anständig» zu grüssen und Besuchern die Hand zu reichen? Ich weiss es nicht, es ist in diesem Moment unvorstellbar für mich. Ich sitze nun wie erschlagen da, merke, wie Emotionen in mir hochwallen. Tränen laufen mir übers Gesicht. Es sind zum einen Freudentränen, Tränen der Erlösung, aber auch Tränen der Unsicherheit. Nur schwer finde ich später in den Schlaf.

Der Maskengraben zwischen Jung und Alt 

Der nächste Morgen. Ich muss den Kühlschrank füllen und mache meine übliche Einkaufsrunde. Zuerst geht es in den Grossverteiler, der Joghurt und Quark aus Milch von unseren Kühen verkauft. Auch wenn die Maske nur noch in Gesundheitseinrichtungen getragen werden muss, steht für mich ausser Frage, dass ich das ungeliebte Ding zum Einkaufen dennoch trage. Ich treffe auf viele (vorwiegend ältere) Personen ohne Maske. Wir Maske tragenden Kunden und Mitarbeiterinnen sind in der Unterzahl. Das stimmt mich nachdenklich. Ich habe das Gefühl, von einigen mit einem Blick angesehen zu werden, der besagt: «Hey, hast du es noch nicht mitbekommen? Du musst das Ding nicht mehr tragen. Die Pandemie ist vorbei, wir können wieder so leben wie früher.» Oder bilde ich mir diese Blicke nur ein? Weiter geht es in unsere beiden Dorfläden. Auch da dasselbe Bild. Die zumeist Älteren tragen keine Maske, die Jüngeren schon.

Tanzen bis der neue Tag erwacht

Aber auch die Jugend geniesst am Wochenende die wieder gewonnen Freiheiten: Das legendäre Rütti-Fest geht über die Bühne. Ich mag das den Jungen, die auch auf so viel verzichtet haben die letzten zwei Jahre, von Herzen gönnen. Dennoch lassen mir Bilder und Videos, die ich am Sonntagmorgen in den Sozialen Medien sehe, den Atem gefrieren. Dicht an dicht wird getanzt und gefeiert, als ob es kein Morgen gäbe.

Mein Weg zurück in die Normalität ist noch lang

Wieder bin ich zwiegespalten. Überwiegt die Freude für die Jungen oder doch die Angst vor erneut explodierenden Coronazahlen und mögliche Ansteckungen von mir und meinen Liebsten? Ich bin immer noch unschlüssig. Eines aber weiss ich: Der Weg zurück in die neue, alte Normalität, der ist noch lang. Zumindest für mich.