Tag 1: Leichter Schnupfen, feines Kratzen im Hals und ein ungutes Gefühl haben mich zum Corona-Test bewogen. Das positive Ergebnis ist ein Schock und wirft mich komplett aus der Bahn. Eines ist klar: Ich werde an Weihnachten nicht am Familientisch sitzen. Ich lasse den Emotionen freien Lauf, derweil mein Mann die Organisation meiner Isolation sowie seine Quarantäne und die unserer Kinder an die Hand nimmt. Da ich zu unserem Lehrling auch am Tisch immer genug Abstand hatte, dürfen wir ihn, bestätigt von offizieller Stelle, nach Hause schicken. Ich beziehe mein Quartier in der kleinen Zweizimmerwohnung im Nebengebäude, die sonst als Lehrlingsunterkunft dient.
Tag 2: Ich starte nach einer schlaflosen Nacht mit Kopfschmerzen in den Tag. Die Emotionen kommen immer wieder hoch. Schön ist es zu spüren, wie viele Menschen an mich denken. Ich sollte noch einen Artikel schreiben, komme aber nicht dazu. Meine Familie versorgt mich mit allem, was ich brauche. Auf brutale Weise lerne ich loszulassen, die Verantwortung für unseren Junghund und die Verpflegung der Familie abzugeben. Ein Lichtblick sind die negativen Corona-Testergebnisse meiner Familie.
Tag 3 und 4: Es macht mir zu schaffen, für alles, was ich benötige, jemanden bitten zu müssen. Kann ich Schoggipulver und Milch haben, um Kakao zu kochen? Oder Medikamente, um meine Kiefer- und Stirnhöhlenentzündung zu lindern? Ein Schemel vor der Türe meiner Behausung dient als Übergabeort. Unsere Kinder, besonders unsere Grosse, halten das Zepter in Küche und Haushalt fest in der Hand. Und es funktioniert. Ich bin unendlich stolz auf die beiden, wie sie die Situation, die auch für sie schwierig ist, meistern. Es gelingt mir, meinen Artikel zu schreiben und zu schlafen. Aber der Geruchssinn hat sich verabschiedet. Ich rieche nicht einmal die Zwiebel, deren Dämpfe mir helfen sollen. Und immer wieder wallen starke Emotionen hoch.
Tag 5 und 6: Halbzeit. Nun hat sich auch der Geschmackssinn weitgehend aus dem Staub gemacht. Ich gönne mir einen Kaffee. Wuää. Ich hab ganz vergessen, dass der auch nur wie heisses Wasser schmeckt und sich nicht vom Lindenblütentee unterscheiden lässt. Naja, soll ja vorbei gehen. Dafür geben Schnupfen und Halsschmerzen etwas nach. Ich bin froh, kann ich in meinem temporären Domizil bei der Produktion der letzten Ausgabe der BauernZeitung im 2020 etwas mithelfen. Zwar ist es sehr ermüdend und mein Hirn kann mit der gewohnten Geschwindigkeit absolut nicht aufwarten. Alles dauert viel länger. Das ist frustrierend. Zwischendurch rufen Familie und Freunde an, schicken Nachrichten oder stellen Geschenke ans Fenster. Und mit Zeitung lesen, Fernsehen, und etwas dösen, verstreicht wieder etwas Zeit.
Tag 7: Heute kann ich sagen, ja, es geht aufwärts. Mein Mann hat mir unseren Computer gebracht. So kann ich alle offenen Rechnungen begleichen und Buchhaltung machen. Dazwischen immer wieder Ruhephasen und fernsehen. So geht die Zeit rum, ohne dass sich Langeweile einstellt.
Tag 8 und 9: So, nun ist die gefürchtetste Zeit der Isolation da: Heilig Abend und Weihnachten. Doch es ist nicht ganz so schlimm wie befürchtet. Ich werde durch Familie und Freunde durch die Tage hindurch getragen. Kurze Besuche am Fenster mit grossem Sicherheitsabstand verkürzen die Zeit ungemein. Abends darf ich alles was es für ein tolles Fondue Chinoise braucht, in Empfang nehmen. Unsere Tochter hat an alles gedacht. Sogar ein weisses Tischtuch ist da. Sie hat gut geplant, was sie benötigt und eine umfangreiche Einkaufsliste nach draussen gesandt. Grosi, Tante und Gotti bringen alles, was sie bestellt. Mit meiner Familie per Videotelefonie verbunden, essen wir dann gemeinsam und packen Geschenke aus. Ein sehr spezielles Weihnachten, das ich bitte dennoch nie, nie wieder so erleben möchte.
Tag 10: So, heute bricht der hoffentlich letzte Tag meiner Isolation an. Die Hoffnung zerfällt am Vormittag jäh mit dem sehnlich erwarteten Telefonanruf des Kantonsarztamts. Da ich morgens eine verstopfte Nase habe und immer noch leichten Husten, wird die Isolation um einen Tag verlängert. Dass ich die verstopfte Nase auch ohne Covid jeden Morgen habe, zählt nicht. Die Ärztin will auf Nummer sicher gehen, dass ich nicht noch ansteckend bin. Ist ja auch richtig so, aber trotzdem fällt für mich in dem Moment die ganze Welt zusammen. Meinen Frust, Wut und Trauer reagiere ich am Badezimmer ab. Nein, ich schlage es nicht kurz und klein. Ich putze es. Nach meiner Attacke erstrahlt es in frischem Glanz.
Tag 11: Auch heute wieder das Warten auf den Anruf vom Kantonsarztamt. Dann, um neun Uhr morgens die Erlösung: Ja, ich darf nachts um 23.59 Uhr die Isolation verlassen. Jetzt gilt es, diese Stunden auch noch über die Runden zu bringen. Es sind gefühlt die längsten der ganzen elf Tage Isolation. Kurz vor Mitternacht packe ich mein frisch bezogenes Bettzeug. Ich umarme meine Familie, lasse meinen Emotionen neuerlich freien Lauf und sinke erschöpft aber glücklich in mein eigenes Bett.