«Die Ehe ist keine Altersvorsorge.» Dies wird am Mittwoch in Bern mehrfach deutlich gemacht. Die Fachstelle für die Gleichstellung von Frauen und Männern im Kanton Bern, hat zum Praxisforum zum Thema «Familienarbeit als Armutsfalle? Den Risiken bei Trennung und im Alter vorbeugen», ins Berner Rathaus eingeladen. Für einmal tagen nicht die Grossräte und Grossrätinnen im ehrwürdigen Saal sondern zahlreiche Frauen und ein paar wenige Männer. «Trotz rechtlicher Gleichstellung sind Frauen einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt», erklärt Barbara Ruf, Leiterin der Fachstelle. Den Anlass im Rathaus durchzuführen zeige daher, wie wichtig, dass das Thema sei.
Die Pensionskasse fehlt bei vielen
Bevor die Teilnehmenden sich zu den Workshops begeben, die alle ein unterschiedliches Thema in der gesamten Thematik eingehend beleuchten, hält Andrea Gisler ein Referat. Gisler ist Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht sowie Vorstandsmitglied von Alliance F, der Bund Schweizerischer Frauenorganisationen. Anhand Statistiken zeigt sie auf, dass von Armut meist alleinstehende ältere Frauen oder alleinerziehende Frauen betroffen sind. Schuld daran sind unter anderem die fehlenden sozialen Absicherungen vieler Frauen, wenn sie ihre Erwerbstätigkeit für die Familien- und Hausarbeit aufgeben oder nur in einem kleinen Pensum beibehalten. Zum Problem wird dies insbesondere bei einer Scheidung oder bei im Konkubinat lebenden Frauen, bei einer Trennung.
«Viele Frauen, junge Frauen, kümmern sich zu wenig um Finanzfragen.»
Andrea Gisler, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV.
Lösungen für Bäuerinnen
Auch bei Bäuerinnen sollte die Frage der sozialen Absicherung ein wichtiges Thema sein. Es gibt durchaus Möglichkeiten, um die Frauen auf den Betrieben gut abzusichern. Für Bäuerinnen empfiehlt es sich, folgende Punkte abzuklären: Risiken Tod und Invalidität sowie Alter: Grunddeckung über die staatlichen Sozialwerke AHV/IV. Um die Leistungen beanspruchen zu können, wozu auch das Mutterschaftstaggeld zählt, muss die Bäuerin einen eigenen Lohn ausweisen. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten:
- Für die Frau wird ein Lohn als Mitarbeiterin deklariert.
- Der Betrieb wird partnerschaftlich geführt, oder die Frau führt einen eigenen Betriebszweig, so muss sie sich als Selbständigerwebende anmelden.
Je höher das betriebliche Einkommen sowie die Arbeitsleistung und Verantwortung der Bäuerin auf dem Betrieb ist, desto wichtiger ist eine korrekte Zuweisung der Einkommen unter den Ehegatten (Aufteilung des Einkommens), heisst es auf einem Merkblatt der Agridea. Die Leistungen der 1. Säule bilden eine gute Grundversicherung. Um im Todes- oder Invaliditätsfall genügend vorgesorgt zu haben, bedarf es in der Regel einer Zusatzversicherung. Bei Fragen helfen bäuerliche Beratungsstellen weiter.
Weitere Informationen: www.landfrauen.ch | https://agridea.abacuscity.ch/de
Hier gibt es eine Checkliste, zur Überprüfung der sozialen Absicherung.
Die Benachteiligung finde vorallem in der zweiten Säule, auch Pensionskasse oder berufliche Vorsorge genannt, statt. Und ganz besonders betroffen sind Frauen, die im Konkubinat leben. Gisler bringt ein Beispiel: eine verheiratete Frau mit gut verdienendem Ehemann, ohne Kinder, die nie auswärts gearbeitet hat, bekommt wegen dem Splitting die maximale AHV-Rente. Ein ledige Frau, die immer gearbeitet hat, werde hingegen nie auf das Maximum kommen. Andrea Gisler erklärt, dass rund die Hälfte der in der Schweiz lebenden Frauen keine berufliche Vorsorge hat. Eine alarmierende Zahl. Verschärft wird die Armut im Alter. Wird bei der AHV das Guthaben im Rentenalte für Mann und Frau gesplittet, ist dies bei der Pensionskasse nicht der Fall. Bei der AHV fliessen auch Beiträge von mehreren kleinen Teilzeitjobs ein. Pensionskassenbeiträge werden aber erst für Löhne ab einem jährlichen Einkommen von aktuell 21'510 Franken versichert. Dabei können auch nicht mehrere Jobs zusammengezählt werden.
Das Bundesgerichtsurteil verbschiedet die Versorgerehe
Andrea Gisler ist der Meinung, dass auch bei der Pensionskasse das Guthaben gesplittet und die Eintrittsschwelle gesenkt werden sollte. Dazu sei nun die Politik gefragt. Die Teilzeiterwerbstätigkeit von Frauen hat stark zugenommen, die von den Männern geleistete Familienarbeit jedoch nicht. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Mehrfachbelastung für die Frauen gestiegen ist. Ein Bundesgerichtsentscheid hat sich zudem von der Versorgerehe verabschiedet. Beide Elternteile sollen nach Scheidung/Tennung finanziell auf eigenen Füssen stehen. Zum Abschluss zog Regula Rytz, Präsidentin Kantonale Fachkommission für Gleichstellumngsfrage, das Fazit: «Wir brauchen ein moderneres Sozialversicherungsmodell, das die Familien- und Betreuungsarbeit berücksichtigt.»
Die Standortbestimmung einmal im Jahr
Andrea Frommherz vom Verein Frac in Biel, einer Informations- und Beratungsstelle, leitet den Workshop «Raus aus der Teilzeitfalle – was ist bei der Wahl des Erwerbsmodells zu beachten». Das Ernährermodell, der Mann geht arbeiten, die Frau schaut zu Haus und Kindern, habe deutlich abgenommen. Zugenommen hat jedoch die Teilzeitarbeit von Frauen nebst Haushalt und Familie. Stark vertreten sind dabei Pensen unter 50 Prozent. Vielen sei nicht bewusst, dass Mini-Jobs mit Kleinpensen um 40 bis 50 Prozent für die soziale Absicherung der Frauen jedoch die gleich schlechte Ausgangslage bedeuten, wie wenn die Frau gar nicht auswärts arbeiten geht. Um das zu ändern, wäre ein Pensum von mindestens 70 Prozent und mehr erforderlich.
Nicht für ewig
«Die Doppelbelastung bei Mini-Jobs ist bei Müttern ein Risiko», weiss Andrea Frommherz. Denn meist bleibe die Arbeitsteilung zu Hause unverändert, auch wenn die Frau zusätzlich auswärts arbeitet. Das dritte Erwerbsmodell, das egalitäre Modell, bei dem beide Partner mindestens 70 Prozent auswärts arbeiten, werde eher in städtischen Gebieten gewählt. Sei einmal ein Modell gewählt, müsse das aber nicht «auf immer und ewig» so sein. Die Beraterin rät, mindestens einmal jährlich eine Standortbestimmung zu machen und offen über die eigenen Gefühle zur Situation, und nicht nur zum finanziellen Aspekt, zu sprechen. Dazu könne auch eine Beratung beigezogen werden. «Das Auto bringen wir ja auch regelmässig in die Garage», macht sie einen Vergleich.
Gut ist genug
Ganz wichtig ist der Beraterin, zu betonen: «Gut ist genug. Es muss nicht immer alles piekfein sein.» Das müssten die Frauen oft noch lernen. Wichtig sei auch, wenn Männer und Väter sich zu Hause einbringen, dabei nicht ständig korrigierend einzugreifen, sondern einfach machen zu lassen. Auch wenn die Männer einiges anders machen.
In drei Gruppen werden die Vor- und Nachteile der drei Modelle erarbeitet. Denn wie überall bieten sich auch hier bei allen drei Varianten Chancen und Risiken.